Nächtliche Kunsterlebnisse

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Diese Nacht konnte ich lange nicht einschlafen - weiß nicht warum. Vielleicht der Wetterwechsel. Also nahm ich resigniert den Knopf ins Ohr und lauschte noch ein bisschen Radio. "Neue Musik"heißt eine Sendung, die ab 0.00 Uhr bei www.dradio.de läuft.

Vorgestellt wurde ein Musikwissenschaftler, Moderator im Rundfunk gefürchteter Berichterstatter über etliche einschlägige Festivals und Komponist namens Arno Lücker komposition.system.at/index.html

Ehrlich - es war hochinteressant. Zum einen, weil ein kluger Kollege und Mitkomponist namens Johannes Kreidler www.kreidler-net.de/

die aktuelle Sendung über Lücker gestaltet und dabei viel erklärt hat.

Der Wechsel vom Tonalen zum Atonalen

Die Loslösung der Musik von ihrem tonalen Rahmen und Regelwerk bei gleichzeitiger Verwendung von Instrumenten, die aber noch nach diesem Rahmen funktionieren wurde erklärt.Die kompakte Speichermöglichkeiten auf der Festplatte und die dadurch möglichen unglaublichen Misch- und Kompositionsmöglichkeiten waren ein Thema. Alles sehr spannend. Und - so das Credo des Komponisten selbst - dass der Übergang von der tonalen zur atonalen Musik auch begleitet sein muss von größerer Individualität, wenn diese nicht im Klischee erstarren will. Ich muss sagen, ohne diese ganzen Einlassungen hätte ich das, was dann kam, als absolut irritierend und blöde abgetan. Aber so...

„Ich...nicht“ mit Kotzgeräuschen

Das Stück um dessen Aufführung vorher so viele Worte gemacht wurde, hieß: „Ich ....nicht.“ Den Hintergrund erklärte der Schöpfer in einem Interview: Er hat einen Liebesschmerz vertont. Eine vertraute, gemeinsam mit der einstigen Geliebten gehörte Musik - nämlich Robert Schumanns "Ich grolle nicht" - wird mit Streichern angedeutet, „ausgelegt“ oder in dekonstruierter Form „aufgegriffen“. Das quietscht ein bisschen, aber ist doch noch plausibler Geigenton.

Zunehmend unterlegt werden diese Streicherquietscher mit den Geräuschen, die ein Mensch erzeugt, wenn er sich erbricht. Der Komponist nannte das unfrisiert: "Kotzgeräusche". Ich sage Euch, das war ein Klangerlebnis. Gemeint ist, dass ein solch vertrautes Lied, wenn es einen so schmerzvoll erinnert, dann zum Kotzen ist. Punkt. Und es endet folgerichtig auf den ersten tonalen Takt des Schumann-Liedes.

Wirklich ein aufstörendes Erlebnis. Zum Einschlafen hat es mich nicht gebracht, sondern eher ein bisschen zum Lachen. Aber der Komponist hatte vorher schon einmal erklärt, ihm sie wurscht, wie die Zuhörer reagieren.

Eigene Kompositionsideen

wieder ad acta gelegt

Meine Reaktion hatte damit zu tun, dass nebenher auch noch ein bisschen das Schnarchen des Gatten zu hören war. Mich hat das zu der Erwägung gebracht, mal ein eigenes Werk - vielleicht mit diesem Hintergrund - zu erschaffen. Aber ich nahm Abstand, denn eigentlich stört mich dieses leichte Schlafgeräusch nicht. Es wohnt ihm also nicht die erforderliche Dramatik inne.

Ohne verbale Einführung

geht alles nicht

Genug gekaspert: Es war trotzdem noch interessant.

Nur ohne den entsprechenden verbalen Rahmen versteht der Rezipient das einfach nicht. Wobei: Darum gehts auch nicht. Es geht dem Autor einzig um eine für ihn authentische wahrhafte Gefühlsäußerung. Was die Leute damit anfangen ist ihm, wie schon erklärt, völlig egal.

Das nächste vorgestellte Werk war eines für Trompete mit Einspielung.

Der Komponist hat die in sämtlichen Bruckner-Sinfonien zu hörenden Blechbläserparts und alle tutti aus denen das Blech deutlich herauszuhören war, herausgeschnitten und zusammenkomponiert.

Das war gar nicht mal so uninteressant.

Hier der ausladende Name des Werkes:

I was like: "Oh my God!"
And she was like: "What the fuck!"
And we were like: "Oh my God, what the fuck!"
(für Trompete und Zuspielung) (2008/2009)

Und ganz spannend war ein Grunge für Klavier, bei dem ein Stück der Popband Nirwana - mehroktavig - zugrunde gelegt oder - wie man will - auch -gerichtet, verwendet wird.

Also das klang gut, aber ich war dann schläfrig.

Ich bin weit davon entfernt, den kleinbürgerlichen Schöngeist rauszuhängen und zu jammern, dass das ja alles so...usw. ist.

Kurzerhand auch „ich grolle nicht“. Aber, anfreunden ist auch schwer.

Das Einzige was man mit Fremdem tun kann ist: Verstehen lernen, lieben muss man das nicht.

Andererseits: Es gibt ein ganz wunderbares Komponiersystem im Internet. "Ludwig" heißt das. Damit kann man Töne kompositorisch bearbeiten. Allerdings, soweit ich das übersehe, nur tonal.

www.komponieren.de/?gclid=CPXM3PzP058CFQGA3godwzL4cw

Ich habe es mal ausprobiert, aber ich bin nicht mehr firm genug in der Musiklehre Andere schaffen damit ganz epochale Werke. Bei mir waren es nur drei Töne, dann blieb sie hängen die Anwendung, die ganz schön viel Arbeitsspeicher braucht.

Atonal aber geht da wohl nichts - dasist, wie ich gelernt habe, an keine Regel gebunden, sondern immer ganz individuell.

Individuell muss ich noch berichten, dass ich trotz der gehabten neuen Einsichten und Einhörungen dann doch eine ruhige Nacht verbracht habe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden