Ohne uns

Generationen Manchmal ist es ganz gut, wenn die Familienverhältnisse ein bisschen weniger bürgerlich sind. So sind "Unsere Mütter unsere Väter" bei mir ziemlich übersichtlich

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Ohne uns

Foto: privat (aus dem Beitrag)

Erzählt habe ich das hier schon an anderer Stelle. Anlässlich der allgemeinen Generationenbefragung wiederhole ich es in groben Zügen.

Meine Mutter (1906-1985) war - ohne Wenn und Aber und schon immer - gegen die Nazis. Für sie gabs da nichts zu überlegen. Ganz einfach war das. Sie ist katholisch erzogen und der Pfarrer der Leipziger Kirchgemeinde war ein entschiedener Nazigegner. Vor allem aber war sie rein gefühlsmäßig entsetzt über diese laute, stiefelknallende, brutale Politik, die plötzlich in Deutschland herrschte. So hat sie es erzählt.

Dass die Nazis Verbrecher waren, so sagte sie immer, habe doch jeder sehen können. Und weil sie das auch mal laut gesagt hat, wurde sie denunziert und hatte ein Verfahren am Halse wegen "Führerbeleidigung". Es ging glimpflich aus, aber sie musste sich einmal im Monat bei der Gestapo melden.

Sie lernte in den 1940er Jahren - bei ihrer Arbeit - einen Fremdarbeiter kennen, einen Franzosen, von dem sie ein Kind bekam. Der wurde auch ganz normal als Vater eingetragen. Sie hat dem Kindesvater und seinen Kameraden berichtet, wie die Lage im Krieg war. Sie hörte BBC und wurde noch 1944 - wieder hatte sie jemand denunziert - verhaftet. Das Urteil fiel auch hier verhältnismäßig mild aus, der Krieg galt ja schon als fast verloren. Ihre Gesundheit wurde - auf dem Transport durch viele Zuchthäuser in Deutschland - endgültig ruiniert. Nach fast zehn Monaten "Irrfahrt" "landete" sie im Zuchthaus Bremen Oslebshausen, wo die Briten sie befreiten.

Ihren Sohn hatte sie in den Schwarzwald an eine Pflegemutter übergeben, weil sie ihn vor den Bombenalarmen schützen wollte.
Ausgestattet mit Dokumenten, einem sogenannten

KZ-Schein

https://lh3.googleusercontent.com/-hgtZmVPm4Xs/UVAhWclRgTI/AAAAAAAAFFw/fBHlU5tW26I/s720/Entlassungsschein.jpg

reiste sie wochenlang wieder durch ganz Deutschland in den Schwarzwald, um ihr Kind abzuholen. Der Kindesvater war längst wieder in Frankreich. In Lörrach lernte sie einen Elsässer kennen, der zur dortigen französischen Besatzungsgruppe gehörte. Das ist mein Vater.

Das sind doch
Kommunisten

Alles keine Nazis. Dafür aber, dass meine Mutter nun mal zu denen gehört hatte, die nicht nazifreundlich waren, galten wir bei vielen Nachbarn in Leipzig, wohin meine Mutter zurückgekehrt war, als "Kommunisten". Sie engagierte sich auch im VVN, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, eine Organisation , die später aber aufgelöst wurde. Es gab da immer Querelen zwischen den Emigranten, den inneren Emigranten und denen, die aus Moskau gekommen waren.

Der einzige Großnazi:
ein "illegitimer" Großvater

Allerdings habe ich unter meinen Vorfahren auch einen Großnazi. Mein "Großvater", aber der ist illegitim. Meine Mutter ist das uneheliche Kind eines der damaligen Reichsstatthalter, die Hitler 1933 eingesetzt hatte. Der war auch Mitglied der NSDAP-Fraktion im Deutschen Reichstag. Meine Mutter hat ihn einmal in Dessau aufgesucht und er hat ihr eine Arbeit in Leipzig besorgt. Dafür war sie ihm dankbar.

Er ist 1935 gestorben und wurde mit großem Pomp begraben. Über ihn habe ich auch allerlei geschrieben, obwohl ich erst, seit es das Internet gibt, überhaupt mal ein Bild von ihm gesehen habe. Sein Lebenslauf ist fast prototypisch für die Generation, die nach dem 1. Weltkrieg bei den Nationalsozialististen ihr "Heil" suchte.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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