"Rätselhafte“ Ost-Ost-Begegnung im Radio

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Wenn es sich ergibt, höre ich mir von Montag bis Freitag bei kulturradio vom rbb www.rbb-online.de/ das nachmittägliche Rätsel an. Es läuft nach den 15-Uhr-Nachrichten, einer Zeit zu der ich meist ein bisschen auf der Couch herum liege und lese.

Das Rätsel ist eine hübsche Institution geworden: Eine weibliche oder männliche Stimme beschreibt in Annäherungen und Anspielungen einen Begriff oder eine Person. Gestern war es der Schauspieler Anthony Quinn, der zu erraten war. Ich hätte es nicht erraten, weil ich gerade eingeschlafen war.

„Den haben wir ja im Osten nicht gesehen“, meinte der erste Anrufer und das weckte mich sofort auf. Aber er habe immer bedauert, dass er in schwarz-weiß gedreht war. Er sprach über Quinns berühmtesten Film „Alexis Sorbas“. Der Moderator griff das gleich auf und meinte, es habe damals die Regel gegeben, dass 12 Filme im Jahr aus dem kapitalistischen Ausland von Progress-Filmverleih eingekauft werden durften. Immerhin habe man Filme wie „Tootsie“ mit Dustin Hoffmann, aber auch „Jenseits von Afrika“ mit Meryl Strepp sehen können und schon früher „Cabaret“. Meist seien die im „Kosmos“ oder „International“ gelaufen. So „outete“ er sich beiläufig als Ossi mit Sachkenntnis.

Taras Bulba war kein Sowjetfilm

Ja, meinte der Anrufer, aber auch in den kleinen Kinos habe es gute Film gegeben, übrigens auch russische. Er meine jetzt nicht die ideologischen „Klopper“, aber zum Beispiel „Taras Bulba“, das sei ein fantastischer Film gewesen. Bis dahin belauschte ich ein bisschen gerührt wie sich zwei Ost-Insider da begegnet waren. Aber „Taras Bulba“ ist leider ein amerikanischer Film, den kann er im Osten nicht gesehen haben. Was kann er gemeint haben mit unideologischen russischen Filmen: Ich würde nennen: „Andrej Rubljow“. Egal, ich lauschte weiter den beiden viel zu lange schnackenden Ossis am Mikro- und am Telefon.

Kalina Krasnaja - wunderbar

„Und dann gab es diesen wunderbaren Gefängnisfilm“, sinnierte der Anrufer weiter, aber – „Mensch ich komme nicht drauf“. Der Moderator auch nicht. „Hier ich“, hätte ich am liebsten gerufen“, „ich weiß es“. Er meint „Kalina Krasnaja“, diesen so berührenden Film von Wassilij Schukschin, der mit einer Gefängnisszene beginnt, in welcher der „Chor der Rückfalltäter“ „Oh Abendklang“ singt. Den haben in der DDR alle gesehen, die ein bisschen was erspürren wollten vom realen sowjetischen Leben. Aber es gab auch Filme, die zwar vom Titel her, abschreckend wirkten, obwohl sie- wie mir einmal ein objektiver und kompetenter Kollege bestätigte durchaus künstlerisch anspruchsvoll waren. „Ein Kommunist“ ist so ein Werk, das man zu Unrecht mied, weil es sehr realistisch und hart das Leben zeigte.

Bewegende Filme über den Krieg

Ich dachte auf meiner Couch an Filme über den Krieg, die mir damals sehr nahegegangen waren. „Im Morgengrauen ist es noch still“, über das Schicksal einer nur aus Frauen bestehenden Nachrichteneinheit, die in einem sinnlosen Einsatz an der Front ihr Leben lassen. Oder „Die Kraniche ziehen“ – aus den fünfziger Jahren mit der umwerfenden Samoilowa.

Der Moderator erinnerte dann noch an den hervorragenden Film „Bahnhof für zwei“ von Eldar Rjasanow. Auch einer, den man damals gesehen haben musste. Wir dachten, als wir den Film sahen „Jetzt isses soweit, jetzt wird es ernst in der Ruhmreichen Sozialistischen ....und nicht lange danach... war sie untergegangen.

Viel länger als sonst hatten sich Anrufer und Moderator unterhalten, als es üblich war. Und auch ich memorierte noch lange sowjetische Filme vor mich hin, die mir einmal gefallen hatten. „Klarer Himmel“ von Grigori Tschuchrai, der sich zum ersten Mal mit dem Schicksal ehemaliger Kriegsgefangener beschäftigte. „Moskau glaubt den Tränen nicht“, ein Frauenschicksal. Und die vielen Klassikerverfilmungen...Diese kurze Radio-Episode hatte allerlei in mir geweckt.

Der größte ideologische „Klopper“?

Aber was war eigentlich der größte ideologische Klopper? „Wie der Stahl gehärtet wurde“ – oh Mann, bei uns fällt manchmal noch ein ironisches Wort über „die Eisenbahnlinie nach Schepetowka“, den habe ich als Kind gesehen, weil er ab sechs Jahren erlaubt war. Und – viel später – habe ich bei dem berühmten Germanisten Hans Mayer gelesen, dass er die Memoiren von Nikolai Ostrowski als ein nobles Erinnerungsbuch einordnet. Auch ich erinnere mich noch an die lange Passage: „Das Wertvollste, was der Mensch besitzt ist das Leben...“ (Zitat unten) Na und so weiter, es wurde auch in der Schule gelehrt.

Dies war ein Film, der mir immer klargemacht hat, dass religiös und kommunistisch in der Sowjetunion zusammen gehören. Und auch die Stahl-Metapher ging mir nach bis in die Zeit, da ich Ernst Jünger nachlas.

Aber auch dieser Film ist von einem sehr groben Realismus bestimmt. Oder „Optimistische Tragödie“ nach Wsewolod Wischnewskis Bühnenstück - mit surrealen Einfällen und manchmal auch Schnickschnack.

Wo ist er der größte Sowjet-Ideologie-Knaller? Am meisten und am dicksten war eigentlich „Schlacht unterwegs“ – Hilf Himmel, der Kampf um funktionierende Ausgleichsgewichte an Traktoren – auf 600 Seiten im Buch und im Film auch zwei Stunden. Aber ein bisschen Leben war da auch noch drin. Ich finde keinen. Vielleicht hat ein Sammler was.


Zitat aus: „Wie der Stahl gehärtet wurde“.

„Das Wertvollste was der Mensch besitzt, ist das Leben. Es wird ihm nur ein einziges Mal gegeben, und nützen soll er es so, daß ihn zwecklos verlebte Jahre nicht bedrücken, daß ihn die Schande einer niederträchtigen Vergangenheit nicht brennt und daß er sterbend sagen kann: Mein ganzes Leben, meine ganze Kraft habe ich dem Herrlichsten in der Welt´, dem Kampf für die Befreiung der Menschheit gegeben.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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