Regina Jonas – die weltweit erste Rabbinerin

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Heute wird – so berichten die Medien – die zweite Rabbinerin in Deutschland gewählt. Ihr Name Alina Treiger. Die erste Rabbinerin Deutschlands hieß Regina Jonas. Sie war auch weltweit die erste. In der Wanderausstellung des Pankower Frauenbeirats „...der Zukunft ein Stück voraus. Pankower Pionierinnen in Politik und Wissenschaft“ ist sie vorgestellt.


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(Hier bei der Eröffnung der Wanderausstellung im Rathaus Pankow)

Der Text stammt von Claudia von Gelieu, die in Berlin bekannt ist für ihre Frauentouren

Regina Jonas - 3.8.1902-1944 ermordet in Auschwitz

„Fähigkeiten und Berufung hat Gott in unsere Brust gesenkt und nicht nach dem Geschlecht gefragt. So hat ein jeder die Pflicht, ob Mann oder Frau ... zu wirken und zu schaffen. – Wenn man die Dinge so betrachtet, nimmt man Weib und Mann als das, was sie sind: als Menschen.“

Nach dem Tod des Vaters 1913 zog Sara Jonas 1916 mit ihrer Tochter Regina und deren Bruder Alexander in die Heinersdorfer Straße 14 (ab 1925: Heinrich-Roller-Straße) im Prenzlauer Berg. Hier lebten sie bis 1932 in einer kleinen Wohnung auf dem zweiten Hof. „Aufgeopfert“ haben soll sich die Mutter, um ihrer Tochter den Besuch des Oberlyzeum in Weißensee zu ermöglichen. Dort legte Regina Jonas 1923 die Reifeprüfung ab und erwarb 1924 die Lehrbefähigung für Lyzeen. Mit Hebräisch- und Religionsunterricht finanzierte sie sich das folgende Studium.

Die Familie war streng jüdisch religiös und besuchte regelmäßig die Synagoge in der Rykestraße. Der Rabbiner Max Weyl ermutigte die „ungemein strebsame Dame“, Rabbinerin zu werden.

1924 immatrikulierte sich Regina Jonas an der Berliner „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ und wies 1930 in ihrer Abschlussarbeit „Kann eine Frau das rabbinische Amt bekleiden?“ nach, dass „außer Vorurteil und Ungewohntsein fast nichts“ dem entgegen steht.

1935 von Dr. Max Dienemann zur Rabbinerin ordiniert, wurde sie 1937 von der Jüdischen Gemeinde Berlin als Religionslehrerin eingestellt und ihr „die rabbinisch-seelsorgerische Betreuung in den Sozialstationen der Gemeinde“ übertragen. Durfte sie zunächst nur Vorträge, aber keine Predigten in den Synagogen halten, wurde sie, nachdem immer mehr Rabbiner verhaftet worden bzw. emigriert waren, von der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ beauftragt, jüdische Gemeinden in ganz Deutschland zu betreuen.

Weil sie Mitmenschen, vor allem aber ihre Mutter nicht zurücklassen wollte, entschied sich Regina Jonas, trotz der zunehmenden Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Nazi-Deutschland zu bleiben. Ab 1941 musste sie wie alle Juden Zwangsarbeit leisten und im November 1942 wurde sie zusammen mit ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt deportiert. Auch hier beteiligte sie sich am Widerstand und half anderen Verfolgten. Am 12.10.1944 wurden Sara und Regina Jonas ins Massenvernichtungslager Auschwitz-Birkenau überführt und dort wenige Tage später ermordet."

Eine Anmerkung über die Kunst des Vergessens

Weltweit wurde lange Zeit eine Amerikanerin als die erste Rabbinerin der Welt erwähnt. Erst nach der Wende wurde es möglichin den Archiven der DDR zu suchen und man fand die spärlichen Spuren des Wirkens von Regina Jonas. Aber es gab wichtige, prominente Zeitzeugen, die ihr Wirken ebenfalls verschwiegen. Einer von ihnen ist Leo Baeck, der sie – obwohl er sie gut kannte - nach seiner Rettung aus Theresienstadt niemals erwähnte.

In einem Beitrag fürhagalil schreibt Rabbinerin Sybil Sheridan über bittere Erfahrungen im Umgang mit der Geschichte von Regina Jonas:

„An einem Tage im Oktober des Jahres 1993 veränderte sich mein Leben. Dr. Hermann Simon, der Direktor des Berliner Centrum Judaicum, kam ans Leo Baeck College nach London und brachte ein Geschenk mit: eine Fotografie und das Zertifikat über die Ordination von Regina Jonas, die 1935 in Deutschland Rabbinerin geworden war.

„Nach der Präsentation wandte sich Hans Hirschberg – ein Londoner, der entdeckt hatte, dass die Zertifikate von Rabbinerin Regina Jonas noch immer in Berlin existierten – insbesondere an die anwesenden Rabbinerrinnen in einer Rede, die uns bis ins Herz traf: Warum habe sie das nicht interessiert? Warum hatte sich niemand die Mühe gemacht und nach Spuren von Leben und Sterben der Regina Jonas geforscht? Eine sprachlose Zuhörerschaft antwortete wie aus einem Mund: Wir wussten nichts von ihr.

Fünfzig Jahre sind nicht eben eine lange Zeit. Wie ist es möglich, dass eine Gestalt, die uns so nah ist und eine solche bedeutsame Rolle für die Entwicklung im Modernen Judentum gespielt hat, so vergessen wird?

Hier muss man Fragen stellen.

Was ist mit ihren Zeitgenossen? Obwohl Rabbinerin Jonas in Auschwitz starb, entkamen oder überlebten ihr Lehrer Rabbiner Dr. Leo Baeck und viele andere Kollegen die Nazi-Unterdrückung und fanden eine Zuflucht in England, in den Vereinigten Staaten, in Australien. Warum haben sie sie nie erwähnt? Oder, falls sie es taten: warum nahm von ihr niemand Notiz?

Ein Grund ist sicher, dass ihre Ordination nicht anerkannt war. Ihre private Smicha in Offenbach von Rabbiner Max Dienemann, der selbst am äußersten liberalen Ende der Reformbewegung stand, würde Widerspruch hervorrufen, nicht nur derer, die Rabbinerinnen ablehnten, sondern auch gegen ihn selbst und seine Ansichten. Ein anderer Grund sind schlicht die Umstände: Warum sollten Überlebende über sie reden? So viele hervorragende Lehrer und Führer gingen in der Schoa verloren. Denjenigen, die ihrem neuen Leben, in einem neuen Land, in einer neuen Weltordnung einen Sinn gaben, kann man vergeben, wenn ihre ehemalige Kollegin nicht merklich in ihren Köpfen spukte.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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