Schwierige Wahrheiten

Medien und Meinungen Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, erklärte die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Aber, die Versuchung, eindeutige Wahrheiten zu konstruieren ist groß.

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Der Schriftsteller Akif Pirincci hat Anzeige erstattet, weil man eine Passage aus seiner Rede falsch zitiert hat. Angeblich soll er KZ's für Ausländer gefordert haben.Aber, er hat – anders – deutschen Obrigkeiten eher unterstellt, sie bedauerten, dass man keine solchen für Gegner der Flüchtlinge zur Hand habe.

Es geht ungerecht zu auf der Welt. Pirinccis Rede war - auch ohne diese KZ-Passage – fürchterlich, aber da wo er recht hat, hat er recht. Vorwürfe müssen halt stimmen.

Es gibt immer wieder Fälle, bei denen man sich wünscht, es wäre alles so, wie man es beklagt und behauptet.

Ein Beispiel: In den vergangenen Tagen und Wochen wurde sehr oft auf ein Video – z. B. in diesem Kommentar von Bernd Ebert - verlinkt, das ein Interview von RT mit Julian Assange vom 26. September 2015 zeigt. Bernd Ebert meint, Assange mache („dankenswerterweise deutsch transkribiert“) u.a. zu Syrien deutlich, was da im Hintergrund gelaufen ist, dem Exodus vieler, vieler Menschen von interessierter Seite konsequent nachgeholfen wurde.

Das verlinkte Video trägt dort auch den bezeichnenden Titel: Wikileaks vorliegende Depeschen zeigen Plan zur strategischen Entvölkerung Syriens

Kein Wort über das

Thema "Flüchtlinge"

Aber, aber ... in dem Interview kommt zwar sehr viel über die Strategie der USA in Nahost – vor allem in Syrien und auch dem Irak - zur Sprache nur nichts über die „Flüchtlingsfrage“.

Hier ist eine gute Zusammenfassung von Sönke Paulsen auf seiner Seite.

Assange verweist auf sein neues Buch „The Wikileaks Files“, das im Vordergrund zu sehen ist.

Der Text unter dem Video ist keine Transkription, sondern eine Mischung aus Zitaten und Kommentaren und noch dazu ein Verweis auf ein weiteres Interview das Costas Efimeros vom griechischen Portal thepressproject – mit Assange geführt hat.

Dieses Video ist allerdings nur ein Audio, das begleitet ist von einem kursorischen englischen Text und einer griechischen Übersetzung. Die sehr verrauschte Fassung auf dem Portal wurde offensichtlich entzerrt und nun gibt es auch ein Podcast, dem man lauschen kann. Vieles von dem, was auch im Video von RT besprochen wurde, wird hier noch einmal thematisiert.

Flüchtlingsstrategie

als Spekulation

Und dann kommt – endlich – auch die Flüchtlingsfrage. Der Reporter fragt nach einer „interessanten Spekulation“ über die Flüchtlingsbewegung. Der Begriff „Cables“ fällt auch im Interview, aber zur Zeit des Syrienkrieges war Assange schon geflohen und hatte keinen Zugang mehr zu aktuellen Dokumenten und Depeschen.

Assange erklärt dazu: „Occassionally opponents of a country would engage in strategic depopulation, which is to decrease the fighting capacity of a government so you can try to make the people to flee the country.“ -Ziemliche Möglichkeitsform ist das.

Dieses Statement blendet RT in sein eigenes Video ein, aber es gehört zu dem griechischen Interview.

Die immer am Rande des Alarmismus agierenden Deutschen Wirtschaftsnachrichte titeln daraus:

Entvölkerung von Syrien ist Teil der US-Strategie

Da heißt es: „Wikileaks-Gründer Julian Assange glaubt, dass die Massenflucht aus Syrien Teil der US-Strategie gegen die Regierung Assad sei: Die Entvölkerung des Landes bringe das Land an den Rand des Kollaps, weil vor allem die gebildete Mittelschicht vertrieben wird. Europas Strategie der offenen Grenzen spiele den US-Interessen in die Hände.“

In diesem Zusammenhang verweist der "verrauschte" Assange auch auf Angela Merkels angebliche “Einladung” an die Syrer, so als sei sie in eine Strategie eingebunden. Aber, das ist sehr undeutlich.

In Bezug auf Syrien sei es besonders die Mittelklasse, die flieht, Ingenieure, Mediziner, Beamte,die die Regieurng am Funktionieren halten. Syrer werden dazu ermutigt ihr Land zu verlassen, „indem Deutschland zu verstehen gibt, dass es sehr, sehr viele Flüchtlinge aufnehmen wird und indem die Türkei bereits drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat, und so die syrische Regierung signifikant schwächt“

Das ist eine Schlussfolgerung aus der obigen Spekulation. Denn – was Assange völlig außen vor lässt – die Menschen sind nicht zur Flucht ermutigt, sondern der Krieg hat sie vertrieben. Und dessen Dauer, Länge und Intensität waren nur bedingt voraussehbar.. Aus den Flüchtlingslagern der Umgebung sind viele geflohen, weil sie dort durch immer weitere Verknappung der Nahrungsmittelrationen kaum noch überleben konnten, wie der UNO-Flüchtlingskommissar dieser Tage erklärte. Es ist auch nicht so, dass besonders die Mittelklasse flieht, es gibt sehr gegensätzliche Aussagen über den Bildungsstand der hier Ankommenden.

Merkwürdige

Irak-Vergleiche

Assange zieht dann noch eine merkwürdige Parallele, indem er erklärt, die Irakische Regierung habe 2006 von den Deutschen gefordert, Iraker nicht länger zu ermutigen, das Land zu verlassen. Er fügte noch ironisch an, niemand würde jetzt behaupten, dass Deutschland versucht hätte das irakische Regime zum Kollabieren zu bringen. Das wäre auch höchst unpassend und unlogisch gewesen, denn zu der Zeit war die irakische Regierung – durch Wahlen – an die Macht gekommen und fing an sich – reichlich prekär – zu stabilisieren. Die USA waren im Abzug. Hingegen wurde Europa und hier auch die Bundesregierung von entsprechenden Initiativen eher dafür kritisiert, dass sie den Status von Flüchtlingen aus dem Irak nicht sicherer machte. Es war eine völlig andere Situation. Assange liegt daneben.

Es sei – vom moralischen Standpunkt aus - beschämend, dass die Vereinigten Staaten kaum Flüchtlinge aus Syrien aufnähmen, erklärt Assange noch sehr zurecht. Großbritannien nehme ja wenigstens 4000 im Jahr auf. Die Situation sei das Ergebnis der USA-Politik Englands und Frankreichs im Nahen Osten in Zusammenarbeit mit Verbündeten in der Region, erklärte er.

Es wird in weiteren Quellen, die sich als „alternativ“ verstehen, immer mehr der Eindruck erweckt, dass die USA einen großen Plan zur Entvölkerung Syriens hatten, Die Variante von Hinterfragt ist noch schärfer. Das stimmt so einfach nicht. Es ist der entsetzliche – von den USA, Großbritannien und auch Frankreich – beförderte - Krieg, der die Menschen vertreibt. Er ist es, der "dem Exodus der Menschen konsequent nachgeholfen hat", wie Bernd Ebert oben formuliert.

Aber, den Wahrheiten helfen vor allem Beiträge auf youtube nach, bei denen Eva Herrmann, Jürgen Elsässer und andere Protagonisten der Enthüllungsmedien und -portale eine Panik und einen Unsinn verbreiten, dass man innerlich zusammenzuckt.

Assange selbst hat im Interview erklärt, „Oft werden Depeschen so geschrieben,das man zwischen den Zeilen lesen muss oder schaut, was nicht geschrieben steht.“

Das hat er halt streckenweise getan. Aber so wird - in einer Mischung aus ernsthafter Warnung und entsprechenden manipulativen Girlanden drumherum - Propaganda zur Gegenpropaganda und nichts ist es mit den ganz anderen Wahrheiten. Gar nichts.

Anmerkungen:

  1. RT deutsch spinnt den selbst gestrickten Faden dann gleich noch weiter zu einem Interview mit Christoph Hörstel – da ist dann die blanke Merkel-Verschwörung auf dem Tisch.

  2. KenFM hat kürzlich auch ein Interview mit Willy Wimmer geführt, in dem der erklärt, dass natürlich Flüchtlingsströme immer Gegenstand der militärischen Planung sind. Wer würde das bestreiten. Aber, das hat nur bedingt mit der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik zu tun. Wimmer nimmt die Jebsen Frage zum Anlass für andere, durchaus vernünftige Üerlegungen zum Hintergrund der Nahost-Kriege.

  3. Vor kurzem hat Wimmer ja sogar Angela Merkel für ihr Minsk II Engagement belobigt. (Das habe er aber zurückgenommen, hat mir Albrecht Müller von den NDS kürzlich mitgeteilt. Warum hat er mir nicht erklärt.) Wimmer glaubt, dass sie es darum mit Querschüssen aus den USA – im Zusammenhang mit dem Abhörskandal NSA usw. - zu tun hat. Das ist eine merkwürdige Schlussfolgerung, die ich nicht einordnen kann. Würde mir auch gefallen, aber ist einfach nicht zu belegen.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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