Selbsternannte Lebensschützer - Ein Tagungsbericht

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Blick aufs Podium 1

Rechtswidrig aber nicht immer strafbar

Hierzulande ist Abtreibung rechtswidrig, aber nicht in jedem Falle strafbar und deshalb müssen alle, die sich mit dem Thema beschäftigen, an einer Balancierstange entlang hangeln. Gründliche Rechtskenntnis, Vorsicht vor selbsternannten Lebensschützern und den von ihnen erkannten juristischen Fallstricken und die eigene Verantwortung für die jungen Frauen, die Beratung und Sicherheit wollen sollten sich die Waage halten.

Deshalb – weil alles so schnell ins Kippen geraten kann, denken sich viele Frauen, die sich für ein liberales Abtreibungsrecht engagierten: „Lieber nicht an die Sache rühren, wer weiß, ob es im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima nicht eher zu einer Verschärfung des Abtreibungsrechts kommt . Inzwischen überziehen die Lebensschützer Beratungsstellen, Kliniken und Ärzte mit Anzeigen wegen Strafvereitelung und anderen Delikten im Zusammenhang mit deren ärztlicher Tätigkeit. Einschüchtern, einschüchtern – so die Devise und die Politik schaut weg oder zu oder sendet auch gern mal eine Grußbotschaft. Es scheint, als sei durch das zwielichtige, uneindeutige Abtreibungsrecht in Deutschland auch die Courage entschwunden, über das Thema neu zu diskutieren. Oder ist es überhaupt so, dass die gesellschaftlichen Diskurse versiegen?

Eine Fachtagung, die ich kürzlich hier ankündigte – beschäftigte sich gestern mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung in Deutschland.

Zum Einstieg aber war der Blick über den deutschen Tellerrand nützlich, wie es Anne Thiemann vom Institut für Menschenrechte tat. Sie ging noch einmal auf die wesentlichen Dokumente und Konferenzen ein. Sie erinnerte an die UNO-Weltbevölkerungsnkonferenz in Kairoim Jahre 1994, an die Aktivitäten des Vatikans, die sich damals mit den arabischen Staaten verbündeten, damit Schwangerschaftsabbrüche nicht ins Dokument aufgenommen werden. Immerhin wurde das Recht auf reproduktive Gesundheit festgeschrieben. Die Folgekonferenzen waren vom Bestreben bestimmt, Schwangerschaftsabbrüche, auch wenn sie unter dieses Recht fielen, zu verhindern. Sie verwies auf die – vonEvangelikalen Christen beeinflussten - Bestimmungen zur Entwicklungshilfe in den USA, die ihr Engagement von der Frage abhängig machen, ob in den Ländern, in denen sie aktiv werden, das Abtreibungsrecht rigoros genug ist oder nicht. Aus der Grunderfahrung, dass da wo Frauen der Weg zu einem sichern und risikoarmen Abbruch verwehrt wird, die Frauensterblichkeit steigt, wird nichts aber auch gar nichts gelernt. Und auch nichts gewonnen, vor allem kein Leben.

Anne Thiemann erinnerte auch noch an die 1948 ergangene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in der festgestellt wird:„Das Recht auf Leben beginnt mit der Geburt“. Für die „Lebensschützer“ beginnt es mit dem Tage der Zeugung.

Gisela Notz vom Arbeitskreis Frauengesundheit... sprach mit Blick auf genau diesen Streit um Definitionsmacht über die Perspektiven sexueller Selbstbestimmung in der Familienplanung. Ihr Rückblick unterstrich erneut:

Im Namen des Schutzes des ungeborenen Lebens ging und geht es immer wieder darum, weibliche Sexualität und Fortpflanzung. zu kontrollieren. Nichts anderes.

Sehr spannend, der Vortrag von Hartwig Hohnsbein*, Pfarrer i.R. und Politologe aus Göttingen, der sich mit der wachsenden Vernetzung der Evangelikalen beschäftigte, mit ihrem sich ausbreitenden Einfluss, ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis. Die Bibel „wörtlich“ zu nehmen, gegen die historisch-kritische Forschung der Theologie, schafft einen Hintergrund, der zum Kampf gegen Homosexualität, gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ebenso aufruft, wie zum Kriegszug gegen Schwangerschaftsabbruch. Wenn mans genau nimmt, ist diese Bibelauffassung der Schariah, die immer so warnend in muslimischen Ländern angeprangert wird, nicht unähnlich.

Vernetzt sind die Evangelikalen u.a. in der Evangelischen Allianz Deutschland, www.ead.de/

Diese Bewegung – zu der in Deutschland mindestens eine halbe Million Gläubige geschätzt werden, - wird, so vermelden die Medien, zu einer nicht zu unterschätzenden Macht. Zu ihnen gehört beispielsweise Volker Kauder, CDU. Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz, steht auch der „Jungen Freiheit“ Rede und Antwort. *

Klaus Günter Annen, ein Aktivist in dieser Szenerie, stellt Parallelen her zwischen Holocaust und dem Schwangerschaftsabbruch (Holocaust - Babykaust)

Die Vorsitzende der Frauen-Union, Maria Böhmer, und der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff aber schickten Grußworte, als christliche „Lebensschützer“mit tausend weißen Holzkreuzen in der Berliner Innenstadt gegen Abtreibungen einen„Marsch für das Leben“ inszenierten.

Das Ganze ist ein weites Minenfeld, wie alle, die sich damit beschäftigen, schnell erfahren. Auch hier zeigt sich, dass es sich durchaus um einen Geschlechterkampf von rechtskonservativ bisrechts handelt. library.fes.de/pdf-files/wiso/07054.pdf

In der Podiumsdiskussion sprach Dr. Christian Fiala – von FIAPAC : Er erinnerte an das letzte Todesurteil, das in Wien gegen eine abtreibende Frau ergangen ist : Das war im Januar 1945. Das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen ist aus seiner Sicht verbunden mit Monarchie, Diktaturen, und kriegführende Staaten sind dabei immer in der vordersten Linie.

Seine Feststellung– in diesem Umfeld der Unsicherheiten, Grauzonen und ständigen Verdunklung von Tatsachen - ist wohltuend eindeutig:

Ein Embryo ist so fest verbunden mit dem mütterlichen Körper, dass niemand anderes als die betroffene Frau selbst entscheiden kann. Jede Art von Fremdbestimmung ist schädlich, sinnlos und entmündigt Frauen“.

Gutgemeinte politische Kommentare

Was die Politikerinnen zum Thema anmerkten, war gut gemeint, aber nicht sehr wesentlich. Man möge ihnen das doch bitte melden und sagen, wenn sich bestimmte Aktivitäten in Berlin, die sie bislang noch nicht wahrnahmen, häuften.

In der Debatte verwies Gisela Notz ebenso wie ein Frauenarzt auf zunehmende Strafandrohung und Denunziation im Internet www.abtreiber.com/genossen/bilder/notz/20100302.htm

Ein Vertreter der Lebensschützer rief Kathrin Lompscher auf, doch einen solchen Kongress wie diesen auch für die Lebensschützer im Roten Rathaus zu ermöglichen.

"Ich bin hier nicht Hausherrin", beschied sie ihm. "Da müssen Sie Herrn Wowereit fragen."

Anmerkungen:

*Hartwig Hohnsbein ist in der Auseinandersetzung mit evangelikalen Christen, aber auch in der Politik generell sehr aktiv. www.linksnet.de/de/autorin/Hohnsbein_Hartwig

**www.muslim-markt.de/interview/2006/annen.htm In dieser Sache wurde Annen auch vom Portal Muslim-Markt – zwar durchaus kritisch, aber auch mit einer gewissen Empathie - interviewt. Zusammenarbeit mit den Muslimen hielt er in dieser Frage für durchaus möglich und nützlich. Mir fiel dabei ein, dass sich diese christlich-muslimischen Allianzen immer dann ergaben, wenn es um die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und um das Recht auf sicheren, legalen Schwangerschaftsabbruch geht, wie es in Kairo geschah.

Links und Credits

Veranstalter der Tagung:

Das Berliner Netzwerk Frauengesundheit

Berliner Familienplanungszentrum – BALANCE

Arbeitskreis Frauengesundheit in der Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF)

Berliner Landesverband des Humanistischen Verbandes (HVD)

Die Input-Rererate hielten:

AnneThiemann

Gisela Notz,

Hartwig Hohnsbein

Im anschließenden Podium saßen:

Sarah Diehl – pro choice

Dr. Christian Fiala – FIAPAC

Christine Bergmann Bundesministern a.D. und

Katrin Lompscher, Senatorin für für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz

Elfi Jantzen Bündnis90/Grüne

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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