Seltsames zwischen Wedding und Pankow

Buchrezension Emine Sevgi Özdamar beschreibt einen Lebensabschnitt, den sie zwischen zwei Welten verbrachte. Ihre Erinnerungen sind poetisch und zugleich realistisch

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Die Harzburger Straße - noch immer unansehnlich und noch immer donnern die Flieger nach Tegel über die Häuser
Die Harzburger Straße - noch immer unansehnlich und noch immer donnern die Flieger nach Tegel über die Häuser

Nichts ist lehrreicher und hilfreicher für das Selbstverständnis als wenn einmal ein komplett anderer, fremder, aber von Empathie und Vorurteilslosigkeit geprägter Blick auf dem ruht, was wir für selbstverständlich, bekannt und wenig hinterfragbar halten.

Dies kam mir in den Sinn, als ich durch die Harzburger Straße in Pankow ging. Es ist nicht weit von mir. Einmal um die Ecke und dann fünf Minuten. Diesmal bin ich ganz bewusst dort vorbeigegangen und stellte fest, dass die früher so begehrten maroden Altbauten im Revier fast alle saniert sind und dies eigentlich keine Straße, sondern eine kurze, reichlich unansehnliche Sackgasse ist.

Eine junge Schauspielerin namens Gabriele Gysi, Tochter des damaligen Botschafters der DDR in Italien, Klaus Gysi, und Schwester des jungen Rechtsanwaltes Gregor Gysi, wohnte einige Zeit dort. Mit ihr zusammen – 1976/1977 – für eine Weile auch die junge Türkin und Schauspielerin Emine Sevgi Özdamar, die aus der politisch unruhigen Türkei und auch vor einer Ehekrise geflohen war, um an der Ostberliner Volksbühne – in der Benno Besson seine legendären Regietriumphe feierte – Studien zu treiben. Die Aufzeichnungen und Dokumentationen von aufgeführten Stücken – u.a. Heiner Müllers „Die Bauern“ – waren ihr Forschungsgegenstand.

Bevor sie ein Halbjahresvisum für Ostberlin bekam, lebte sie – zwischen den beiden Berlins hin – und her pendelnd - in einer WG in einer Weddinger Fabriketage.

Die Erfahrungen in der WG beschreibt sie mit Ironie und Abstand. Das Bemühen, das fast „eiserne“ Bestreben jener Zeit, sich keinen Zwängen zu ergeben schafft neue Zwänge und immer wieder finden sich Leute, die, die andere unter ihren Einfluss zu bringen suchen. Befreiungsexperimente werden propagiert oder manchmal auch diktiert oder drohen in neue Diktatur zu münden. Eine Erfahrung, die mir seit 1989 immer wieder in den Sinn kommt.

Man berichtet ihr, dass es vor der WG hier eine AA-Kommune (Aktionsanalytische Kommune) gegeben habe, deren Mitglieder beim Begründer Otto Mühl zum Selbsterfahrungsseminar waren und danach ständig den Urschrei übten. Die aber seien von anderen Kommunarden vertrieben worden. Otto Mühl – einer, der umstrittenen Figuren jener Zeit – wurde 1991 im Zusammenhang mit pädosexuellen Taten genannt und deswegen zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Über ihn hat einer der damaligen Kommunarden ein Buch geschrieben.

Die jungen Leute, die schon damals aus allen Teilen der Bundesrepublik nach Westberlin kamen, flohen von provinzieller in eine weitläufigere Enge, wie sie nur diese Inselstadt, umgeben von der DDR, besaß. Für sie war es kein Eingesperrt sein – sie konnten ja jederzeit wieder weg – für sie war es ein Liebes– und Experimentierareal, ein endloser Debattier- und Lebensplatz, obwohl in die Etage dauernd die Kälte kroch und darunter die Maschinen surrten. Aber, die Kommune im Weding geriet auch ins Visier der Terrorfahnder.

Es ist vieles seltsam in beiden Berlins, nicht nur die Sterne. Der Überladenheit an Wortbotschaften, an allen Mauern, an Toilettenwänden, an Hauswänden in Westberlin entkommt sie in die Spärlichkeit Ostberlins, eine öffentliche Wortkargheit, die nur von etwas Werbung und Propaganda-Losungen unterbrochen wird. Sie erlebt die Kneipen am Alex, in denen sich Westberliner Gastarbeiter ihre Lebensabschnittsfreundinnen aussuchen können, denn ihr Geld ist gefragt. Bald aber bekommt sie das Dauervisum für die DDR und teilt für eine Weile das östliche Leben mit ihrer Mitbewohnerin.

Die Arbeit an der Ostberliner Volksbühne ist ihr eine Quelle der Freude, Erfüllung und des Glücks. In der Harzburger Straße im Altbau, über dem die Flugzeuge nach Tegel so dröhnend einfliegen, dass man kurze Zeit das Gespräch unterbrechen muss, erklärt ihr Gabriele Gysi: „aber Dein Glück ist nicht das Glück der anderen. Du normalisierst die Mauer. Für dich bedeutet, hier zu sein eine Erweiterung deiner Möglichkeiten zu arbeiten und zu leben. Andere aber sehen ihre Möglichkeiten beschränkt. Selbst wenn nicht alle erträumten Möglichkeiten der Menschen realistisch sind, wird doch die Beschränkung in der DDR als wirklich empfunden“.

Dies ist der Schlüsselsatz des Buches: Alles, was den Menschen in der DDR wirklich gefehlt hat, war Freizügigkeit, aber die konnte das Land ihnen nicht geben, bei Strafe seines Unterganges. Und dieses Verhängnis erlebt Özdamar nicht. Sie erlebt auch das Grenzregime anders. Ein Buch wird beschlagnahmt, sie protestiert und erlebt Willkür und auch Dummheit, aber auf der anderen Seite schleppt sie Karpfen massenweise aus dem Kaufhaus am Alex an den Grenzern vorbei in die Weddinger Kommune, obwohl das verboten ist. Es interessiert die nicht, sie kennen sich inzwischen. Die Grenze ist Routine geworden für sie.

Emine Sevgi Özdmar assistiert Benno Besson bei der Inszenierung des „Bürgergenerals“ und bei „Hamlet“. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns im November 1976 und die Debatten um Protest oder Konformismus, Gehen oder Bleiben bestimmten die Zeit. Özdamar erlebt – mit Abstand auch hier – die Debatten in einer Familie von überzeugten Genossen. Vater Klaus Gysi, ein charmanter und liebenswürdiger Mann von Welt, aber auch Bruder Gregor, von dem Schwester Gabi sagt, dass er viel eher Schauspieler hätte werden sollen und können, sie alle reden über eine DDR, von der Vater Klaus Gysi meint, dass die Kinder den Staat zu sehr an ihren eigenen Utopien messen. Sie sind kritisch, aber nicht feindlich.

Eine andere. lebensvolle

Seite des damaligen Ostberlin

Weil Emine Sevgi Özdamar fremd ist, weil sie Abstand hat, sieht sie auch die anderen, lebendigen, lebensfrohen Seiten in Ostberlin. Wohnungen, die fast nichts kosten, billige Grundnahrungsmittel. Bauarbeiter in einer Buchhandlung, die dort ewig zwischen den Regalen suchen – in der Türkei unvorstellbar. Wenn sie diese Welt beschreibt, dann fühle ich auch mein eigenes Lebensgefühl von damals gut beschrieben. Es ging wesentlich offener und auch unbeschwerter zu in diesen Jahren als es heute kolportiert wird. Gerade die heftigen Auseinandersetzungen dieser Zeit brachten „Leben ins Leben“, waren nicht nur verbitternd, sondern weckten auch Hoffnung. Rudolf Bahro wird verhaftet und Gabriele Gysi sagt zu dessen Frau Gundula, die in die Harzburger Straße gekommen ist: „Ich werde mit meinem Bruder Gregor sprechen, er ist Anwalt. Wir werden uns von keinem Ereignis schlagen und traumatisieren lassen. In zehn Jahren wird hier vielleicht eine Straße nach Bahro benannt. Jetzt trinken wir in Ruhe Pfefferminztee und warten“. Eine Gesellschaft, die wartet, aber nicht ohne Hoffnung. Das erinnert mich, das war so. Das waren Zeiten des Übergangs.

Bei Emine Sevgi Özdamar kommt dazu die künstlerische Arbeit und Begegnung mit Schauspielerinnen und Schauspielerinnen und Schauspielern wie Heide Kipp, Hermann Beyer, Winfried Glatzeder und vielen anderen, Der Gedankenaustausch und auch das "Geplänkel" mit Dramatikern und Regisseuren wie Heiner Müller, Matthias Langhoff und Benno Besson. Flirts und Kantinenbesäufnisse – eine kollegiale Welt, eine Welt der Kreativität, in der die „Reisefrage“ allerdings auch längst keine mehr war. Sie geht am Ende mit Benno Besson nach Paris für eine Zeit als Regieassistentin. Ihr Buch aber ist poetisch und doch realistisch und erzählt von einem Lebensabschnitt zwischen den Welten.

Diese Welten, ein Ort beschrieben mit Verszeilen von Else Lasker Schüler:

„Seltsame Sterne starren zur Erde,

Eisenfarbene mit Sehnsuchtsschweifen,

Mit brennenden Armen, die Liebe suchen...“

Emine Sevgi Özdamar

"Seltsame Sterne starren zur Erde"

Wedding-Pankow 1976/77

KIepenheuer & Witsch 2003

Und als ich dies fertig geschrieben hatte, sah ich, dass es im Freitag schon einmal eine Rezension des Buches gab. Vielleicht sogar interessant, zu lesen, wie anders die Rezensentin es sah.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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