Sky Walk II

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Grenzen

Sky Walker – Himmelsläufer müssen die Sprayer selbst gewesen sein, denn anders kann ich mir nicht erklären, wie sie den Riesenschriftzug "Sky Walk" so hoch an diese Brandmauer gekriegt haben. Vielleicht eine Mutprobe.
Immer wenn ich mit der U-Bahn die Schönhauser entlang fahre, fällt mein Blick auf dieses Graffito.
Die Wand gehört zu einem Seitenflügel in der Schivelbeiner und, weil das Haus davor fehlt ist der Blick ganz frei.
Sky Walk - dort oben, genau hinter diesen Schriftzeichen liegt die Wohnung, in der ich viele Jahre lebte und sie war tatsächlich ein Himmelsgeschenk. Damals hieß die Strasse noch "Willi-Bredel-Strasse" , vorher hieß sie Schivelbeiner Strasse und jetzt heißt sie wieder so.

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Von meiner Wohnung ging kein Fenster in Richtung U-Bahn. Ich wohnte mit Blick auf einen der Hinterhöfe, die durch halboffene Ziermauern und andere teilende Bauelemente von einem weiteren großen und begrünten Innenhof abgegrenzt waren.
In Berlin, wo es ohnehin die dunkelsten Hinterhöfe gibt, die man sich denken kann, war dieser durch Entkernung entstandene weiträumige Hof ein zusätzlicher Gewinn. Um zu meinem Seitenflügel zu gelangen, musste man zwei Türen auf- und wieder zuschließen. Deshalb gingen wir meist durch das Nachbarhaus, dessen Ein- und Ausgänge auf den gleichen Hof führten. Die waren nicht so zickig mit der Eingangstür. Sie gehörten zur kommunalen Wohnungsverwaltung. Wir hatten einen privaten Besitzer und der wollte sein Anwesen sichern. Dass er uns dadurch im Quergebäude ohne Klingelanlage einschloss, war ihm egal und wir nahmen es hin.

War alles verschlossen, konnte man um den Block gehen und durch einen großen Torbogen über den großen Innenhof zu meinem Haus gelangen. Allerdings musste man sich schon ein wenig auskennen. Wenn ich Leute zum ersten Mal einlud, erklärte ich immer lange und ausführlich, welche Wege zu mir führten. Wenn ich auf jemanden wartete, dann hockte ich nervös am Fenster und hoffte, dass der Weg nicht verfehlt wurde. Nicht in allen Fällen war das tragisch, aber es gab doch Besuche, von denen erwartete ich nichts geringeres als mein Lebensglück. Jedenfalls dachte ich das damals öfters. Bald guckte ich nicht mehr so oft aus dem Fenster, ich kannte inzwischen das Geräusch, wenn die Tür zu unserem Hof geöffnet wurde und vor allem, wenn sie wieder ins Schloss fiel. Unüberhörbar war das. Erst dann stand ich manchmal auf, um nachzusehen, ob es der angekündigte Besuch war.

Man besuchte sich oft unangemeldet in diesen Zeiten. Es gab kein Telefon, jedenfalls hatte ich damals noch keines, man musste die Dringlichkeit begründen und dann musste man fünf bis 10 Jahre warten, um eines genehmigt zu kriegen. An vielen Türen hingen kleine Schreibblocks, auf denen man eine Nachricht hinterließ, wenn niemand zu Hause war .
Wenn ich nachts vom Spätdienst nach Hause kam, fürchtete ich mich manchmal. Von jedem Treppenabsatz ging nur eine Wohnung ab und ich wohnte ganz oben. Auf der Bodentreppe konnte man sich gut verstecken und jemanden auflauern, aber mir ist – von einer selbstverschuldeten Ausnahme abgesehen – nie etwas passiert..
In der Wendezeit stand an einer der Hauswände „Faschismus = Stalinismus“. Die Kripo oder ihr politischer Ableger, die Stasi, ermittelte. Sie klingelten auch bei mir. Ob ich was gesehen hätte oder so. Ich hatte nichts gesehen, und deshalb zogen sie auch wieder ab. Kurz nach der Wende zogen wir aus in eine größere Wohnung um die Ecke.

Geöffnete Grenzen – geschlossene Türen

Sehr bald nach der Öffnung der Grenzen bekam der bisher freie Zugang zum Innenhof ein Tor und ist seitdem Tag und Nacht fest verschlossen. Den Bewohnern ist das viel lieber sagen sie. Den neuen Eigentümern sowieso. Der Durchgang sei vor allem bei den vietnamesischen Zigarettenhändlern beliebt gewesen, die dort ihre Waren gebunkert hatten, sagten die Leute. Die Teppichhändler hätten auch viel zu leicht in die Häuser gekonnt. Einer von ihnen hatte eine Frau vergewaltigt, aus Wut, weil sie ihm keinen Teppich abgenommen hatte.
Kurz nach der Währungsreform hing an den Hauswänden ein Fahndungsblatt der Polizei. Sie suchten einen Mörder. Der Täter hatte in einem der Hauseingänge sein Opfer aufgelauert und es erstochen. Als die Rede von viel Geld war, nahmen wir an, dass der Täter und das Opfer sich gekannt haben mussten, denn normalerweise haben die Leute in dieser Gegend nicht so viel Geld, und schon gar nicht tragen sie es mit sich herum.
Die angrenzenden Häuser halten ihre Türen jetzt ebenfalls alle verschlossen und sind mit ordentlichen Klingelanlagen versehen. So ohne weiteres kommt man nicht mehr rein. Kürzlich wollte ich mal wieder durch diesen Innenhof gehen, an dem ich so viele Jahre gewohnt hatte. Ich drückte auf irgendeinen Klingelknopf und als ich gefragt wurde, wer da sei, brummelte ich undeutlich: „Prospekte“. Man muss jetzt schwindeln, wenn man einfach so durch diesen Hof gehen will.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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