Sommer 1966

Memoiren 1966 war für mich das Jahr des Abschieds aus meiner Geburtsstadt Leipzig.

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Bis zum Herbst lebte ich in der Stadt noch ein wildes, verrücktes Leben oder was ich dafür hielt. Die Messe schwappte ab und zu herein und hinterließ mit jeder Welle auch ein bisschen Weltläufigkeit.

Sonnabends zog ich mich partymäßig an und ging in die Stadt, um zu sehen, was sich tut. Das war das Schöne am Leipzig von damals, man durchstreifte ein paar Straßen und wusste was los ist. Wenn man dann niemand getroffen hat oder in der Stammkneipe keiner zu finden war, dann wurde das nichts mehr, dann waren „die“ woanders. „Die“, das waren zu der Zeit ein paar gute Bekannte, Freundinnen und Freunde - ein loser Kreis. Er fand sich eher zufällig zusammen oder auch nicht. Und dann saßen wir zusammen – z. B. in der örtlichen Milchbar, die sehr „angesagt“ war oder im „Erdener Treppchen“, wo man gut essen konnte, manchmal auch in einer kleinen Bar, die sich „Bodega“ nannte und wir gingen manchmal noch auf eine Privatparty bei einem aus diesem Freundeskreis.

Andauernd hatte ich irgendeine neue „Geschichte“ laufen, nichts wirklich Ernstes, aber in einem ständigen, merkwürdigen Gefühlstrab, immer hektisch zugange immer auf der Suche, aber nicht aufzuhalten, wenn sich etwas Neues anbahnte immer auf der Flucht vor allzuviel Verbindlichkeit. Ich wusste, dass ich bald nicht mehr hier sein würde.

Dann aber im Sommer verliebte ich mich ziemlich heftig und es war der Liebe wegen, dass ich mich für Gedichte interessierte. Ich hatte mich höllisch verknallt in einen jungen Dichter, der am Literaturinstitut Johannes R. Becher studierte. Wir sahen uns zuerst im legendären Kaffee „Corso“, wo sich die Künstler trafen, auch die Intellektuellen oder auch solche Gemüter wie ich, die nichts wollten, als sich ein bisschen amüsieren, nach eines langen Tages Arbeit oder dem Abendkurs in der Volkshochschule, wo ich das Abitur nachholte. Ich weiß bis heute nicht, wie ich das – nach den vielen Abhaltungen und Zerstreuungen – überhaupt geschafft habe.

Ich weiß noch, ich kam die alte eichene Wendeltreppe hinauf, die zum obersten Stockwerk führte, wo die „Boheme“ zu finden war, blickte direkt auf den gegenüberliegenden Tisch, traf auf seinen Blick und der Blitz schlug ein. Nein, so war das nicht: Es schlug nichts ein, er schlug nur vor, dass wir – meine Kollegin und ich – uns an seinen Tisch setzen. Das war nett, denn das „Corso“ war damals immer unendlich voll.

Aber trotzdem war das ein Ereignis, das war der Auftakt zum letzten und heißesten Sommer in Leipzig, bevor es mich nach dem nüchternen Berlin verschlug, das - schon in der östlichen Variante - die meisten Leute erst mal daran erinnert, dass das Leben ein Kampf ist.

Aber Leipzig – in diesem Sommer. Ich war nach zwei fürchterlichen Jahren als pummliges und pickliges Ding plötzlich schlank geworden – getan hatte ich nichts dafür. Ich wurde nur – hormonell bedingt wahrscheinlich – rastlos und suchte das „Abenteuer“ oder auch das „Leben“ oder auch jemanden, der das viele Gefühl in mir zu abenteuerlichem Leben brachte.

Und das war G. E. Ein schöner Mensch. Ich sehe mir sein Bild gerade noch mal an. Er könnte einer aus den gegenwärtigen Zeiten sein. Hat eine jeansähnliche Jacke an, die kenne ich, und die blonden Haare ein bisschen zerzaust. In der Hand eine Zigarette. Blickt nachdenklich von unten in die Kamera. Sein Bild ist in der kleinen Lyrikedition enthalten, die damals regelmäßig erschienen. Diese hieß auswahl 66 und in ihr war auch von ihm etwas veröffentlicht. Er schenkte mir ein Exemplar und schrieb mir ein Gedicht hinein. Ich habe es leider – mit den Umzügen der Jahre – verloren. Heutzutage kann man alles wiederbeschaffen, nur die Widmung leider nicht. Ich erinnere mich nur an die letzte Zeile: Einen goldenen Vogel geht’s Du einkaufen/ und suchst in ihm etwas, das in den Köpfen der Krähen umgeht“. Ich ahne heute, dass er meinen profanen Blick auf die Welt kritisch verarbeitet hatte.

Wir saßen viele Abende zusammen. Er machte allerlei Scherze und fragte mich z. B. ob ich auch PG sei. „Wie“, „was“ fragte ich nach. Nach einer entsprechenden Kunstpause erklärte er: „PG bedeutet - plenumgeschädigt .Er meinte das Plenum von 1965,das Kahlschlagplenum

Auch Dichter waren in die Mühlen dieser kulturpolitschen Aufräumarbeit geraten – aber er nicht. Für ihn war das nur ein Anknüpfungspunkt, ein Scherz eben. „Unverstanden auf Ruinen/ haben wir heut abgedankt/In die Zukunft auf zwei Schienen/ ist ein bisschen viel verlangt/ servierte er mir eine Variante auf die Nationalhymne.

Wir sind viel zusammen spazieren gegangen, viel haben wir beim Wein gesessen – der war damals nicht teuer. Er kam mit zu mir nach Hause – meine Mutter schlief schon und er drehte unter der Bettdecke - die Kaffeemühle, damit es nicht zu laut wurde.

Meine Mutter wachte auf, erschien in der Tür zu meinem Zimmer und ersuchte ihn, das Haus zu verlassen. Das tat er und ich ging mit.

Nach einigen Wochen, gestand er mir, dass er verheiratet sei. Das war ein Schlag, ein Kahlschlag.

(wird fortgesetzt)

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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