SONNTAGS– UND ALLTAGSRITUALE

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Wenn es sich machen lässt mache ich jeden Sonntagmorgen über eine Stunde einen Spaziergang - allein. Es hat sich irgendwann so ergeben. Heute führte mein Weg durch den frühlingserwachenden Schlosspark an der Panke vorbei. picasaweb.google.de/lh/photo/Ai4SSSvNMCnzfaPVTbA8pA?feat=directlink
Wenn wir dann noch in Stimmung sind, das Wetter gut und wir nichts weiter geplant haben, dann gehen wir nach dem klingenden Sonntagsrätsel, das wir seit vielen Jahren mit Erfolg mit lösen, www.sonntagsraetsel.de/pageID_3005140.html
zum Trödelmarkt am Kupfergraben.

Zwischen Pergamonmuseum über das Bodemuseum bis zur Friedrichstraße sind die Buden aufgebaut.
Wegen der Touristen ist immer viel Schnickschnack dabei. Offiziersmützen, Orden aus der DDR-Zeit oder aus der ehemaligen UdSSR. Ich habe dort aber auch schon mal ein prima Fernglas erworben, mit dem ich von hier oben in alle Himmelsrichtungen gucken kann. Massenweise gibt es Bücherstände. Beinahe hätte ich "Die Verwirrung des Zöglings Törleß" von Robert Musil erworben, aber ich verlor die Lust. Genug solche Deformations-Sachen.
Mein Mann - der mal kurz im Foyer des Pergamon-Museums war - berichtete bei der Rückkehr, es sei dort - sicherlich eine Folge des danieder liegenden Flugverkehrs - beträchtlich ruhig gewesen.
Auch der Markt war ruhig. Wenn wir an den vielen Bücherständen vorbei sind, dann kommen wir meist zu einem Händler, der Messinggewichte vertreibt. P. sammelt so etwas und ist hochbeglückt, wenn er ein Gewicht gefunden hat, das wieder eine Lücke in dem Holzkasten füllt, der dafür dient. Sehr lustig finde ich den Stand mit den medizinischen Werkzeugen: Pinzetten, na gut, auch allerlei zahnmedizinische Geräte gibt es zum Beispiel diese spitzen Dinger, mit denen der Zahnstein entfernt wird. Auch Sachen, die mich in der Vorstellung bestärken, es gäbe so etwas, wie Freizeit- und Hobbychirurgen.

Wenn man es genau nimmt, richtig schönen Trödel gibt's weniger, aber ich bin gar nicht so sehr interessiert an den Sachen, ich liebe das Ritual als solches, den Weg an der Spree, die heute ganz lebhaft von den Ausflugskähnen - einer nach dem anderen - durchfahren wird. Die Leute, befreit vom Winter, blicken alle besonders heiter in die Gegend oder widmen sich der Frage, wie viel noch im Bierglas ist. Manchmal winken sie auch.
Lange sahen wir uns das Treiben an, als wir auf der Behelfsbrücke am Bode-Museum standen. Dann gingen wir zur anderen Spreeseite. Dort gibt es seit einiger Zeit Strandcafes mit Liegestühlen, von denen man die Schiffe ebenfalls gut beobachten kann. Träge, freundliche junge Leute lagen da und freuten sich der Sonne. Zu den Ritualen gehört auch, dass wir - ein bisschen ironisch - einige Informationen austauschen oder Erinnerungen auskramen, die in einer langjährigen Ehe für den anderen nicht neu sind. P. erinnert sich an seinen Großvater, der - nicht weit - in der Ziegelstraße ein Schulpedell war. Nach der Machtergreifung der Nazis ist er aufs Land gezogen, er war gerade pensioniert und flüchtete vor dem Brimborium. Aber auch dort - mitten in einem uckermärkischen Dorf - suchte ihn der Krieg heim, als eine Fliegerbombe in sein Hausdach einschlug.
Das alte Gebäude der gynäkologischen Klinik der Charite ist leer. Ich blicke - wenn wir vorübergehen - auf einen Balkon im ersten Stock. Vor vielen Jahren stand ich dort und sah hinüber zur Straßenbahn, die - von der Friedrichstraße kommend - quietschend einbog zur Endstation Kupfergraben. Ich dachte damals, wie glücklich ich wäre, wenn ich - wie noch kurz zuvor - jeden Tag und ganz normal in dieser Straßenbahn säße und zur Arbeit führe. So als wäre nichts gewesen. Glückliches Einerlei, glücklicher Alltag, wenn man einmal so aus allem rausgerissen wurde und nicht wusste, ob man je wieder in diesen ruhigen Fluss eintauchen würde. Daran denke ich also immer und auch daran, dass es gekommen ist, wie ich gehofft habe. Und dann sagt P immer "Ja, sei froh". Ich liebe das. picasaweb.google.de/lh/photo/jeniBUR9VZH9rQa_wlQdkQ?feat=directlink

Am Hackeschen Markt war Schienenersatzverkehr - eine Abwandlung des Rituals -und hochwillkommen, denn wir fuhren so per Bus ein Stück durch diese hier zerbröselte, da zermörtelte, zugestaubte und anderswo mit Beton verbaute und versperrte Stadt. In der Kastanienallee saßen sie sonnen- und blickehungrig fast mitten im Bauschutt. Hochkomisch das Ganze. Wir bahnten uns den Weg durch so eine Straßenterrasse von szenetypischer Schäbigkeit, hin und wieder waren die Teller auch auf dem Boden abgestellt. Ein großstädtisches Wirrwarr. Herrlich, aber nicht unser Begehr, sondern die hier startende Straßenbahn Richtung Pankow. Einige Minuten - und wir waren wieder in unserer zwar auch etwas verkramten aber ruhigen Gegend.
Das nächste Sonntagsritual betrifft ein Gläschen Rotwein, mit dem man das Kochen ein bisschen gesellig gestaltet. Heute war es mehr ein Vorwand, denn es war eigentlich nur was aufzuwärmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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