Stasi-Kasperle

Krimi In „Oktobernacht“ lümmelt und grölt das Böse
Ausgabe 19/2020

Der Autor Volker Backert hat bislang Krimis mit regionalem Bezug geschrieben. Er ist Deutschlands „einziger krimischreibender Standesbeamter“, liest man, der Verwaltungswirt war auch Sozialarbeiter im Coburger Sozialamt (und hier 1989 mit der Auszahlung des Begrüßungsgeldes befasst). Anschließend war er fast 20 Jahre als Abteilungsleiter für Öffentliche Sicherheit bei der Stadt Coburg tätig. Immer genug Stoff aus dem Leben also für einen Krimi. Mit Oktobernacht vollzieht Backert nun eine Grenzöffnung, von der Provinz, dem Zonenrandgebiet, dorthin, wo sich das große Rad der Geschichte gedreht hat.

30 Jahre nach der Wiedervereinigung soll die Fernsehmoderatorin Hannah Steiner eine Livesendung am Brandenburger Tor moderieren. Sie ist in heftige Scharmützel über die Nachfolge für Anne Wills Talkshow verwickelt und lebt mit einer Frau zusammen. Auf der Suche nach ihren familiären Wurzeln macht sie schockierende Entdeckungen, trifft dabei auf den recherchierenden Journalisten, wobei sie sich sehr nahe kommen. Dass sie ihre Liebesbegegnung mit Pennälerwitzen über „Rauchen nach dem Verkehr“ feiern und die Rückkehr zur Heterosexualität begrüßt wird, ist auch unfreiwillig komisch zu lesen.

In der Nacht der deutschen Einheit geschieht ein Mord in der Nähe von Coburg. Dort lebt ein ehemaliger Stasi-Mann in einem ererbten? Haus, der samt Familie von einem Auftragskiller erschossen wird. Er hatte vorher bei der Truppe um den Chef der KOKO (Kommerzielle Koordinierung), Alexander Schalck-Golodkowski, mitgewirkt. 30 Jahre später ist der Stasi-Killer ein kleines Licht bei der AfD Plauen, während der Auftraggeber reicher Immobilienhändler geworden ist. David Rosinsky, ein Journalist aus Israel, will – über seine Recherchen zur „Roten Fini“ – dessen finstere Vergangenheit erkunden (übrigens wirklich eine interessante Geschichte, die Geschichte der Rudolfine Steindling, die zur politischen Elite der DDR gehörte und viele DDR-Millionen auf die Seite brachte).

Alle Protagonisten, ob Stasi-Leute, Verantwortliche vom BND oder der öffentlich-rechtlichen Medien, sind solche unsympathischen Typen, dass sie – gleich ob Ost oder West – gar nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Fast alle sind plump und „lümmeln“, „grinsen“ oder „grölen“, als wollte der Autor die ganze triviale Dummheit dieser Figuren in die immer gleiche Sprache gießen.

Sicher, sicher: Die DDR-Stasi-Leute sollen vom Stil der „Großen Welt“ ziemlich weit entfernt gewesen sein, aber ihre Fiesheit und Finsternis drückten sie wohl nicht so aus, wie der Autor das fantasiert – und die komplizenhaften Wessis sind ihnen auch zu ähnlich. Es fehlt in diesem Roman mindestens ein Sympathieträger als Gegengewicht für die „Bösen“. Aber da ist niemand, bei dem zu ankern wäre. Hingegen gibt es eine Ossi-Dame beim MDR, die Anki Beerbaum heißt, die auch unsympathisch ist und sich dem Produktionsleiter anbietet, damit sie den Anne-Will-Job bekommt. Eine trotzige #Metoo-Anmerkung? Alles endet dramatisch – so halbwegs.

Schöpferischer Marxismus

Die Machenschaften der legendären KOKO sind inzwischen im Netz nachzulesen, die hatten durchaus kriminelle Energie. Die „Rote Fini“ ist vor einigen Jahren gestorben und die Stasi-Monster kommen einem vor wie Kasperlefiguren aus dem Rezeptbuch. Es scheint nicht um spannende Geschichten zu gehen, sondern um eine Art Bildungsveranstaltung rund um ein böses, böses System. Am Anfang steht darum eine Tafel der Ereignisse – genannt Honeckers Highway to Hell –, damit die tatsächlichen Ereignisse von den vollständig erfundenen auch unterschieden werden können. „Es gibt einen dogmatischen Marxismus und einen schöpferischen Marxismus“, erklärt der trübe Stasi-Intrigant. Kein schlechter Spruch, aber er beruft sich dabei auf Stalin. Der war aber nun wirklich selbst im Osten „out“.

Resümee: ein Schmöker. Der dreißigste Jahrestag der deutschen Einheit hätte einen ernsthafteren Zugang verdient. Es sei denn, der Autor will per Krimi oder Thriller mitteilen, dass das Ganze kein Grund zum Feiern sei.

Info

Oktobernacht Volker Backert Emons-Verlag 2020, 256 S. 16 €

Ende, Anfang

Die Bilder unserer Krimibeilage stammen vom Fotografen Yorgos Yatromanolakis, dem Zeit seines Lebens Naturwanderungen halfen, Inspiration und seinen Frieden zu finden. Die Serie The Splitting of the Chrysalis and the Slow Unfolding of the Wings entstand während eines Heimataufenthaltes des griechischen Künstlers, der hier immer wieder das Thema der Metamorphose behandelt, so ist auch der Titel der Reihe an den Lebenszyklus des Schmetterlings angelehnt. Mehr über Yorgos Yatromanolakis und sein Projekt erfahren Sie auf seiner Internetseite www.yatrom.net

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Geschrieben von

Magda Geisler | Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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