TAG 1 "Wir sind allein"

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Zwei Bücher über die Ehe zwischen Kurt Tucholsky und Mary Gerold

Im November 1917 lernt ein junger Soldat im kurländischen Alt-Autz, wohin es ihn als Schreiber des Stabes und Leiter der Kompaniebibliothek verschlagen hat, eine 19 jährige junge Frau kennen und verliebt sich in sie.

Er - seit Jahren verlobt mit einer jungen Berlinerin - hat Dutzende von Affären hinter sich und ist dennoch immer und immer auf der Suche. In Alt Autz wirbt er fast verzweifelt um diese junge Frau, kämpft um ihre Zuneigung und versucht, die ihrem Wesen eigene Reserve und Introvertiertheit zu überwinden. In einem Gedicht fragt er:

„Gibst Du dich keinem-? Bist Du nur blond und kühl?

Demütigt Dich ein starkes, heißes Gefühl?

Wir sind allein.-“

Sie ist fasziniert von ihm. Sie verbringen die Zeit bis zu seiner Abkommandierung zu einem anderen Standort in wachsender Liebe und Leidenschaft. Dann kehrt er zurück nach Berlin, sie nach Riga. Ihr Name Mary Gerold, sein Name Kurt Tucholsky.

Sie kommtJanuar 1920 nach Berlin, er hat inzwischen eine Verlobung gelöst. Die beiden aber finden nicht zusammen. Es sei wie Glas zwischen ihnen moniert Tucholsky. Er, der im Gedicht fragt, ob ein starkes Gefühl sie demütige, ist der Nähe der ihn kompromisslos Liebenden nicht gewachsen. Er macht ihr Vorwürfe, sie sei zu reserviert, aber eigentlich ist er es, der die Grundmelodie dieser Beziehung anstimmt und immer wieder meint, er liebe sie am meisten, wenn sie fern sei. Tucholsky nähert sich Mary wieder, obwohl er inzwischen die Ärztin Else Weil geheiratet hat. „Er ist damals vier Monate zu früh nach Berlin gekommen – ich hatte gar kein Geld und wusste nicht weiter“, schreibt er ihr. Mit „Er“ ist Mary gemeint, eine Anrede, die eine Art von freundschaftlichem Abstand erzeugen soll und eine der vielen Anreden ist, mit der er sie bedenkt. „Meli“, „Mätzchen“, „Er“ und am Ende „Mala“.

Die Ehe mit Else Weil scheitert und wird geschieden. Tucholsky heiratet Mary Gerold, aber auch die Eheschafft keine wirkliche Nähe.

„Was ist der Nagel jeder Ehe ? Zu langes Zusammensein und zu große Nähe.“ heißt es im Gedicht „Ehekrach“.

Tucholsky, der über die Berliner Frauen meinte; es sei so schade, dass „man sie nicht alle haben“ könne ist ständig auf der Suche, hat ständig neue Affären und ist – ein inzwischen bekannter Autor und Chefredakteur – auch sehr umschwärmt von den Berliner Chansonnetten und Kabarett-Damen. Er bereist mit Mary die Pyrenäen, ein Buch entsteht, aber für Mary ist es eine einsame, traurige Erfahrung. Ein Foto zeigt sie mit resigniertem Blick. Lange Zeit war gar nicht bekannt, dass sie mit auf der Reise war.

Sie gehen gemeinsam nach Paris, aber das von Tucholsky gewünschte idyllische Nest für zwei Liebende, ist ein Traum, der gar nicht Wirklichkeit werden soll. Ständig wechselt er das Quartier immer auf der Flucht vor einer Liebe, die ihn fesselt und erschreckt. Mary ist ihm eine geschätzte Mitarbeiterin, Kameradin, Freundin. Eine Geliebte ist sie immer nur temporär. Er wendet sich Lisa Matthias zu, einer Berliner Journalistin, der die Lydia aus „Gripsholm“ nachempfunden ist. Und es folgt die Trennung der Ehe.

Und doch und doch... Es gibt keine andere Frau, die Tucholsky so geliebt, der er sich – auf seine prekäre und widerstrebende Weise – so nahe gefühlt hat. Am Ende – im Exil 1935 - schreibt er ihr jenen berühmten Brief aus Schweden, in dem er sich anklagt:

„Hat einen Goldklumpen in der Hand gehabt und sich nach Rechenpfennigen gebückt, hat nicht verstanden und hat Dummheiten gemacht, hat zwar nicht verraten, aber betrogen, und hat nicht verstanden. ...

Will Ihn nur noch um Verzeihung bitten. Hat nicht verstanden. Wünscht Ihm alles, alles Gute – und soll verzeihen.“

Wer kann das ohne Bewegung lesen.

„Unser ungelebtes Leben“ heißt die von Fritz J. Raddatz herausgegebene Briefsammlung an Mary. Diesen Band nebst einer biografischen Momentaufnahme zum gleichen Thema und vom gleichen Autor las ich dieser Tage erneut mit Bewegung, Diese Furcht vor zuviel Nähe, dieses Abstand halten, diese Angst vor der Aufgabe mehrerer Möglichkeiten zugunsten der „Einen“ und der Horror vor Selbstaufgabe. Wer kennt das nicht.

Mancher schöner Traum wird, wenn er wahr wird, erst zum Albtraum. Und die Gedichtzeile „Wir sind allein“ entfaltet einen noch anderen Sinn, als den Gemeinten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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