Tetanus - nur bei uns kein Problem mehr

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Vor vielen Jahren erzählte mir ein Freund: "Ich saß in der Küche, bekam den Mund nicht mehr auf und erinnere mich noch, dass meine Mutter mir ein Stück Sandkuchen - sehr dünn geschnitten - seitlich in den Mund steckte. Dann wird meine Erinnerung lückenhaft."

Er hatte als Kind eine Tetanusinfektion überstanden. Es muss sehr bald danach der erste Krampf eingesetzt haben, denn das häufigste Symptom bei Tetanus ist diese Mundsperre. Die verkrampften Zungen- und Kiefermuskeln führen dazu, dass das Gesicht des Kranken eine merkwürdige Grimasse zeigt. Neben den schweren Krämpfen zählen Schluckbeschwerden. Herzrasen, Blutdruckanstieg zu den Symptomen.

Die größte Gefahr aber ist das Aussetzen der Atmung, deshalb stand mein Freund unter ständiger Beobachtung. Die medizinische Ausrüstung war damals - in den fünfziger Jahren in Rostock - noch nicht so gut. Vielleicht hatte er auch Glück und die Atemkrämpfe verschonten ihn.

Man brachte ihn in einen weit abgelegenen, durch dicke Türen abgedämpften Raum und bettete ihn in einer Art von halbstabiler Hängematte. Jedes Geräusch, jede kleinste Erschütterung und auch visuelle Reize lösten die entsetzlichen schmerzhafen Krämpfe aus. Daran erinnert er sich trotz hoher Gaben von Medikamenten, von denen er nicht mehr wusste, was sie enthielten. Nach einer Weile ließen die Krämpfe nach und die Ärzte waren überglücklich, dass es ihnen gelungen war, den jungen Patienten über den Berg gebracht zu haben. Nach einiger Zeit machten sie ein EKG und stellten erleichtert fest, dass auch die gefürchtete Herzschwäche, die den Patienten oft nach der überstandenen Krankheit ein Leben lang daran erinnert, sich nicht eingestellt hatte. Er war ein kleiner, etwas schmächtiger Mann, aber ich weiß nicht, ob das mit der Erkrankung zusammenhing. Ich weiß noch, dass mich sein Bericht lange Zeit stark beschäftigt hat. Dieses Ringen gegen den Tod, es hat seine Persönlichkeit und seine Weltsicht geprägt. Es war ein Sieg, er war ein Überlebender. Einer mit zwei Geburtstagen.

Der Wundstarrkrampf ist in Deutschland dank umfassender Impfungen weitgehend besiegt. In den letzten Jahren wurden unter 15 Tetanus-Fälle jährlich verzeichnet, überwiegend bei älteren Erwachsenen. Vor 1970 waren es noch weit über 100 Tetanus-Erkrankungen pro Jahr.

Alle neun Minuten stirbt auf der Welt ein Kind an Tetanus. Es war eine Promimeldung, die über dieses Faktum berichtete. Ein Schauspielerehepaar, unterwegs im Kongo, ist Pate für die Aktion eines namhaften Windelherstellers und "Unicef". Für jede verkaufte Windelpackung wird eine Impfdosis gegen Tetanus gespendet. Das Serum kostet nur 5,3 Cent. Auch in Pakistan erkranken immer mehr Kinder an Tetanus, eine der entsetzlichen Folgen der Flutkatastrophe.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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