Therapie in einem Lebensabschnittsland

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Ein Patientenrückblick zum „Tag der deutschen Einheit“

Vorspann
Im Jahr 2002 sind die Präsidenten zweier Landespsychotherapeutenkammern
(Baden-Württemberg und Niedersachsen) im entsprechenden Fachjournal auf die 100jährige Geschichte der Psychotherapie in Deutschland eingegangen. Die Geschichte der Psychotherapie in der DDR wurde dabei vollkommen ignoriert.

Auch auf der Gründungsveranstaltung der Bundespsychotherapeutenkammer
im Juni 2003 würde ein Vortrag gehalten, bei dem die DDR-Geschichte keine Rolle spielte.

Ein solches Vorgehen sei sachlich und moralisch nicht gerechtfertigt und für die betroffenen Kammermitglieder kränkend gewesen, kritisiert Inge Frohburg im Psychotherapeutenjournal von 2003 und nimmt einen eigenen Rückblick
vor.
Ich bin auf diesen Beitrag gestoßen, weil ich mich in diesen Tagen und aus verschiedenen Anlässen noch einmal an ein schwieriges Kapitel in meinem Leben erinnerte. Das Ergebnis ist – leider – etwas umfangreicher, aber wie ich hoffe, trotzdem interessant. Eine psychotherapeutische Einheitsbilanz, gewissermaßen

Auch wenn es noch so sehr verpönt ist, es gehört zur menschlichen Natur, dass man die Vergangenheit hin und wieder verklärt.
Andererseits aber kann einen die Gegenwart daran erinnern, dass man den eigenen Erinnerungen doch trauen kann.
So geht es mir, wenn ich Aussagen über Befindlichkeiten ehemaliger DDR-Bürger lese. Zum einen fällt mir auf, wie schnell psychologisiert wird. Und zum anderen fällt auf, dass manche Autoren bei bestimmten Schnelldiagnosen nur noch die Schlagworte voneinander übernehmen. Wenn es um die Lebensgefühle und Mentalitäten der Vergangenheit geht kommen u. a. vor: „Deformierte Ichs“ oder „Ich-schwache Persönlichkeiten“, auch „tradierter Untertanengeist“ oder „Obrigkeitsgläubigkeit“ werden gern genommen.
Unter der Lupe der Soziologen kommen noch besonders „modernisierungsresistente Bevölkerungsteile“ vor und solche, deren Ankunft im Westen sich schwierig gestaltet, aus welchen Gründen auch immer. Volkspädagogischer Nachhilfebedarf wohin man blickt.

Von „unseren Menschen“ zu „diesen Menschen“
Was überhaupt nicht vorkommt ist der oder die Einzelne.
„Unsere Menschen“ aus der ehemaligen DDR scheinen nahtlos in „diese Menschen dort“ übergegangen zu sein. Diese Pauschalisierungen finden sich zumeist dort, wo geballte Definitionsmacht zuschlägt und das gesellschaftliche Stimmengewirr in den Tagesmedien bestimmt.
Gegen Zumutungen wie Ichschwäche und Töpfchenzwänge und Deformierung hilft wirklich nur eigenes Erinnern und das will ich tun.

Angst- und Panikattacken
Es war im Jahr 1977 als sich die Angst- und Panikattacken, unter denen ich schon geraume Zeit gelitten hatte, so verstärkten, dass ich, unter Leidensdruck, zielstrebiger als bis dahin nach einer guten Therapie suchte. Ausgangspunkt meiner Symptomatik war – so sehe ich es heute – der Übergang von der Studienzeit ins gefürchtete Berufsleben mit seinen Zwängen und Einengungen. Ich hatte ein Gefühl allgemeiner Lebensangst, Furcht vor zuviel Anpassung, zum Beispiel an einen Arbeitsrhythmus nach fünf Jahren halbwegs freien Studiums. Ich hatte davor schon als Lehrling in einem privaten Betrieb, wo es wie in alten Zeiten zuging, sehr gelitten und war immer wieder krank geworden. Eine Fortsetzung der „Schulkrankheit“, die mich oft heimgesucht hatte.

Meine Suche war nicht einfach. Allgemeinmediziner sprachen von nervös bedingten Störungen, oder vegetativer Labilität, es gab hin und wieder eine Überweisung zum Neurologen, der Medikamente beruhigender und dämpfender Art verschrieb.

Berlin-Hirschgarten
„Du solltest versuchen, nach Hirschgarten zu kommen", riet mir eine gute Bekannte, die sich auskannte. Hirschgarten war damals die "Außenstation" der Abteilung Psychotherapie des „Hauses der Gesundheit" in Berlin-Mitte. Ich meldete mich an und erhielt einen ersten Termin bei einer der dort arbeitenden Psychotherapeutinnen und machte einige Tests. Für mich sei die stationäre Abteilung in Berlin-Hirschgarten ganz sicher eine Möglichkeit, so ihr Rat, den ich befolgte.

In Hirschgarten, wo ich sechs Wochen verbrachte, wurde die „Dynamische Gruppentherapie" praktiziert - eine Methode, die von Dr. Kurt Höck, damals Leiter der Abteilung Psychotherapie im "Haus der Gesundheit", entwickelt wurde und die – laienhaft ausgedrückt –- das Gruppengespräch und den Gruppenprozess mit einer Steuerung durch den Gruppenpsychotherapeuten verbindet.

Die ersten vierzehn Tage waren sehr anstrengend. Die Neuankömmlinge übernahmen sofort von den Vorgängern die volle Verantwortung für die gesamte Organisation. Versorgung aller Heimbewohner, auch Reinigungsarbeiten und Gartenarbeiten gehörten dazu. In dieser Zeit brachen Konflikte auf und man konnte erkennen, wer bleibt und wer nicht. Ich erinnere mich an eine Patientin, die ununterbrochen weinte, den ganzen Tag. Auch beim Volleyball, an dem sie sich sogar beteiligte. Die blieb da noch zwei Tage und dann wurde sie mit der vorläufigen Diagnose auf endogene Depression wieder nach Hause entlassen.

Erinnerung an Dr. Kurt Höck
Nach den vierzehn Tagen Hausstress, wurde alles übersichtlicher und leichter. Die Gruppe wurde zuständig für kulturelle und gesellige Belange. Es ging ein wenig zu, wie in einem Ferienlager, in dem die Gruppentherapeutischen Sitzungen den wichtigsten Bestandteil bildeten. Mehrfach erlebte ich dort auch den „Pionier" der Intendierten Gruppentherapie Dr. Kurt Höck, einen humorvollen und lebenspraktischen Mann, von dem - wie auch von den anderen Therapeuten - nichts Autoritäres ausging. Ich kann heute auch nicht mehr sagen, ob die Interventionen der Gruppenpsychotherapeuten auf Anpassung zielten. Ich hatte immer das Gefühl, es ging um Interpretation von Aussagen und Konflikten, um den Versuch eine festgefahrene Gruppensituation wieder in Fluss zu bringen. Oftmals wurde in der Gruppe auch lange geschwiegen.

Mir aber ist der emanzipatorische Ansatz in Erinnerung, die praktizierte Offenheit, ständiges Miteinander sprechen auch große Anspannung und Krisen, wenn Konflikte auftraten. Es ging um das Verhältnis der Gruppenmitglieder untereinander, um die Reaktionen, die man von der Gruppe bekommt und die das Bild, das man von sich hat, verändern können. Niemand aber legte nahe, dass es angebracht sei, sich in allem und ständig an die Gruppe anzupassen. Am Ende dieser Therapie war keine der Fragen, die ich an mich hatte, beantwortet, aber ich war – mal wieder – aktivste Patientin, hatte das größte Mundwerk und sagte in größter Offenheit, was ich über andere Gruppenmitglieder dachte. Aber ich lernte auch über mich, wie schnell ich anfing zu schwanken, wenn ich mal ordentlich Gegenwind bekam. Selten wurde die eigene Biographie ein Thema: Es ging immer um Situationen im „Hier und Jetzt“, wenn ich es recht erinnere.

Im „Haus der Gesundheit“
Ich verließ Hirschgarten mit dem Gefühl, dass ich auf gutem Wege, aber noch nicht ganz „durch" war mit meinen Problemen. Über ein Jahr nahm ich noch an der Gruppentherapie im „Haus der Gesundheit" teil. Später hatte ich einzelne Gespräche mit Dr. Michael Froese. Sicher hatte es auch mit der Veränderung meiner eigenen Lebensumstände zu tun, dass ich irgendwann meine Ängste verlor. Aber das war es nicht allein. Die Gruppentherapie hat mir - mit diesem emanzipatorischem Ansatz - sehr geholfen. Ich erinnere mich an ein letztes Gespräch mit Dr. Michael Froese. Es ging um meine Vorstellungen und meine Zukunft. Ich war innerlich schon auf dem Absprung, ich spürte, dass ich jetzt allein weiterkommen konnte. Und so endete dieses Gespräch damals mit seiner freundlich-ironischen Anmerkung: „Ich glaube, wir sind fertig miteinander". Und ich stimmte erleichtert lachend zu. Ich stellte Jahre später - immer wieder in Konfliktsituationen persönlicher Art und mehr noch in den Umbrüchen der Wendezeiten fest - dass ich ohne diese Therapie, die Verwerfungen und Konflikte dieser Zeit ganz sicherlich nicht so bewältigt hätte. wie es mir gelungen ist.

Therapie und Politik
Sicherlich wurde Politik in der Therapie „ausgeblendet“, aber sie blieb trotzdem unausgesprochen ein Gegenstand. Es herrschte Konsens, dass bestimmte Erörterungen nicht „gehen", aber es klärte sich in der Gruppe schon, mit wem man über gesellschaftliche und politische Zwänge reden und wo sie auch Ursache für Symptomatiken sein konnten. Wenn das im großen Kreis besprochen wurde, brachte man die Gruppentherapeuten in eine schwierige Lage. Sie argumentierten dann, dass es ein probates Mittel sei, mit dem Verweis auf politische Zwänge die Auseinandersetzung mit den eigenen Problemen zu vermeiden. Man solle bei sich anfangen hieß es und ironischerweise wird das ja gegenwärtig auch gern empfohlen. Erst mal ist der Einzelne in der Verantwortung und in der Psychotherapie ist das auch unbedingt berechtigt.

Einer der Patienten - ein junger Mann - berichtete uns im persönlichen Gespräch von seinem Aufenthalt im Jugendwerkhof. Man habe sie da eine Straße entlanggejagt, Decken auf den Boden gebreitet und diese dann so weggezogen, dass die Insassen stolperten, fielen und verprügelt wurden. Er habe dort den Glauben an „den Sozialismus" verloren, sagte er und meinte dann noch: „Und wir regen uns über Chile auf". Das ging mir nahe, ich war empört und erbittert. Aber er selbst sagte uns damals, dass er darin nicht die Ursache für seine Symptomatik sieht. Und auch ich, wie alle, die unter Leidensdruck stehen, war egozentrisch: Ich wollte „bei mir“ bleiben und ich wollte gesund werden. Auch wenn ich es stressig und frustrierend fand, in einem System zu leben, das einer einzelnen Person Wohnraum zuwies, der die Größe einer Wohnküche nicht überschritt, was ich als eine der Ursachen für meine Panikattacken ansah.

Meine Symptomatik hatte vorrangig persönliche Gründe.
Manchmal überschnitt sie sich mit dem Politischen. Wenn ich – jede Woche am Dienstag - dienstlich ins Außenministerium musste, wo es die „Linie“ für bestimmte Themen, Länder und Probleme gab, ängstigten mich neben der Bevormundung vor allem die klaustrophobischen Umstände. Die Tatsache, dass man – wenn man sich angemeldet und einen Passierschein erhalten hatte - in einen fensterlosen Raum geführt wurde, aus dem man sich, außer vielleicht mal zur Toilette nicht mehr entfernen konnte, fand ich höchst angsterzeugend. Man konnte nicht flüchten und das war furchtbar, fand ich. Die ganze DDR-Wirklichkeit fand sich – verkleinert – auch hier. Es gab noch andere Termine, die die Besucher mit ähnlichen Eingeschlossenheiten malträtierten. Die Botschaft der Koreanischen Volksdemokratischen Republik lud ein, damit die Presse die Neujahrsansprache des damals Großen Führers Kim Il Sung vernähme. Und damit niemand ausbüchste, schlossen sie die Tür ab. Der Umgang mit der Presse – wenn sie nicht zu den SED-nahen Medien gehörte – war immer von oben herab. Selten gelang es mir, mich zur Wehr zu setzen. Denn am Ende kuschten auch die Oberen bei meiner Zeitung vor der „Führenden Klasse“ und ihren Druckerzeugnissen.

Richtige Therapie im falschen Leben?
Bin ich ein Glücksfall, ging es Anderen anders? So wie es jedem Menschen im Leben anders ergeht, ganz sicherlich. Aber aufs Ganze gesehen war ich ein Durchschnittsfall mit einer durchschnittlichen Erkrankung , wahrscheinlich auch eine Durchschnittszeitgenossin zwischen Trotz und Anpassung.
Dennoch: Wenn man wie ich - und ich denke nicht nur ich allein - so versöhnt an diesen schwierigen Lebensabschnitt denken kann, und ihn für halbwegs gut bewältigt hält, dann war das eine gute Therapie, die ich da hinter mich gebracht hatte. Ich kann natürlich nicht beurteilen, wie die psychotherapeutische Versorgung in anderen Regionen war, kann nichts darüber sagen, ob diese Therapie in anderen Fällen weniger Wirkung zeigte. Vielleicht war meine Störung auch gut behandelbar Das alles weiß ich nicht, aber mich hat die Therapie gestärkt, Ich erfuhr viel über andere Menschen. Ich erlebte nie wieder ein so produktives Gefühl der Nähe zu Menschen, die mir eigentlich fremd waren. Das kann man als Harmonie- oder Anpassungsstreben sehen, ich sah es anders. Die Fähigkeit oder besser – das Bemühen um Empathie habe ich dort in Hirschgarten und der Folgetherapie gelernt, nirgendwo anders. Die Psychotherapeutin Annette Simon, übrigens eine Tochter von Christa Wolf, die die Gruppentherapie nicht so sehr favorisiert, schreibt in einem Aufsatz über ihre Erfahrungen damit: „Nach dem ersten Durchgang herrschte eine Stimmung wie „wir lieben uns doch alle“. So habe ich es nicht erlebt, aber es war ein Gefühl, dass einem nichts mehr fremd sein kann nach solch einer Therapie. Es hatte fast was christliches, dieses Erkennen des „Allgemein Menschlichen“ in jedem von uns. Und die Therapeutin Irene Misselwitz stellt in einem Rückblick fest: „ Für mich gibt es bei diesem Gruppenkonzept viele Analogien zu unserer damaligen gesellschaftlichen Wirklichkeit. Ich glaube, ohne diese "Höck"-Schule hätte ich mich zur DDR und Wendzeit nicht so aktiv in der Oppositionsbewegung beteiligen können. Quelle: Die intendierte dynamische Gruppentherapie

Sicher gibt es Erkrankungen, für die eine Gesprächstherapie oder andere Therapien besser sind, aber meine Erfahrung war, dass mir das alles gut getan hat, einschließlich der bitteren Erkenntnisse, die so eine Therapie ja auch bereithält: Trauer und Kummer über Fehler, Unterlassungen, Anpassungen und Verluste in meinem Leben konnte ich gut verarbeiten und blieb mit mir selbst trotzdem einig. Schwere Symptomatik tauchte nie wieder auf. Und ich lernte mit mir umzugehen.
So stellt sich mir die Frage: Gibt es eine richtige Therapie im falschen Leben?
Darf man in einem System, das so einengend und zwangsbetont war, überhaupt wieder gesund werden? Ist man eine am Ende lebensleichtfertige Person, wenn man sich in diesem Falle nicht mit Symptomatik bestraft, sondern den Ärger artikuliert und drauf achtet wem gegenüber man das tut? Sicher– mich ärgerten die politischen Verhältnisse, aber ich war kritisch, nicht gegnerisch eingestellt. Ich erinnere immer ein massives Geärgert sein, aber Ohnmachts- oder Frustgefühle, die mich hätten krank machen können, hatte ich in Bezug auf die politischen Verhältnisse nie.. Man konnte schimpfen, über die Kurzsichtigkeit, über die Dussligkeit mancher Mitglieder der Staats- und Parteiführung über völlig unsinnige Entscheidungen, über blödsinnige Reden, und man konnte abends medial im Westen ankern, allerdings auch nicht immer, weil man dort den Wind der Freiheit atmen konnte, sondern weil man erlebte, welche Zwänge dort auf Menschen einwirkten. Und man wurde besser unterhalten.

Kleiner Einschub: Freud in der DDR
„Nach Luther und Bismarck - nun auch Freud? Die Wiederaneignung bisher verpönter Aspekte der deutschen Kultur und Geschichte durch Wissenschaftler der DDR nimmt immer rasantere Formen an. Die Zeiten ändern sich rascher, als es die Produktion wissenschaftlicher Nachschlagewerke über die DDR eigentlich erlaubt."

So kommentierte "Die Zeit" im Jahre 1986 die Entwicklung. Ein interessantes Zitat, wenn man die Gegenwart betrachtet, in der der Eindruck entsteht, alles dieses sei verboten gewesen.

Natürlich blieb ich – auch nach der Beendigung meiner Therapie – interessiert und aufgeschlossen für psychologische Fragen. Schon 1982 war bei Volk und Welt ein Band mit Freud-Texten erschienen und schnell vergriffen. Er enthielt so bekannte Werke wie „Das Ich und das Es" oder „Das Unbehagen in der Kultur".
Das war schon ein Fortschritt, denn einen Denker wie Freud betrachteten die Herrschenden mit großem Misstrauen, dieses tiefe Hinabsteigen in die Psyche statt auf die Gesellschaft zu verweisen, das war eine Gratwanderung. In dieser Zeit. Nur durch flankierende gesellschaftliche Einordnungen konnte man die Akzeptanz sichern und auch die Rezeption steuern. Wenn dies gesichert war, konnte Freud individuell interpretiert werden, wie z.B. der Herausgeber des Reclam Bandes mit Freud Texten Achim Thom, der meinte, dass wichtige Konzepte der Psychoanalyse, die auf diesem Wege schrittweise gefunden werden konnten, wie „das Unbewußte", die Lehre von den Abwehrmechanismen, die Übertragung und die Gegenübertragung, auch für die sozialistisch orientierte Psychotherapie von fundamentaler Bedeutung sind.
„Die anregenden Fragestellungen und auch die bleibenden Beiträge der Freudschen Psychoanalyse zum Verständnis psychischer Erkrankungen und psychodynamischer Aspekte in der Psychotherapie lassen Freud einen bedeutenden und ehrenvollen Rang in der Geschichte der Medizin zusprechen, der bislang nicht immer hinreichend Anerkennung fand." so der in der „Zeit“ berichtete DDR-Tenor.

Trotzdem, als – es war wohl auch Mitte der Achtziger – mit Marie Cardinals „Schattenmund“ ein Roman über eine Psychoanalyse herauskam, sahen sich die Herausgeber doch veranlasst, zu erklären, dass diese Therapie – viel zu aufwendig und lang – kritisch zu betrachten sei.. Auch ich las damals das Buch und war sowohl tief beeindruckt, als auch überzeugt, dass eine Psychoanalyse sicher hilfreich, aber in vielen Fällen eigentlich zu sehr auf Katharsis, dramatische Erkenntnis setzt und weniger auf Entwicklung. Und Trost hält sie erst spät bereit, wie ich finde. Für diese Momente dann durchwatet der Patient ein Meer der Erinnerungen wie eine gründelnde Ente und fördert hin und wieder etwas zutage.

Vergessene Geschichte
Meine positiven „psychotherapeutischen Erinnerungen“ fühlte ich bestätigt, als ich vor einigen Jahren in einer Tageszeitung einen Beitrag fand, der konstatierte, „dass sich in der DDR eine Psychotherapie entwickelt hatte, die sich von der in der Bundesrepublik anerkannten wenig unterschied. Für Patienten wie Therapeuten war sie eine Art Freiraum. Wenn man bestimmte, oft rein formale Zugeständnisse machte, war erstaunlich viel möglich“, so der Tagesspiegel. .
Inzwischen sind die - so scheint es mir -vielseitigen politischen Potenzen erkannt, die in der psychologischen Deutung aller kritischen Äußerungen von Bürgern aus den neuen Bundesländern am neuen System liegen. Mit dem Pfund - einer probaten Abwehr von Kritik an den Verhältnissen der Gegenwart, wenn sie aus dem Osten kommt - lässt sich gut wuchern.
Das hat Folgen für den Willen zur auch psychologischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

War ich kurz nach der Wende noch bereit, mich auf ein so pauschalisierendes Buch wie das von Hans Joachim Maaz mit seinem „Gefühlsstau“ einzulassen, weil ich darin die Chance für eine Debatte unter jenen sah, die in diesem System gelebt haben, so haben mich alle nachfolgenden Töpfchenzwang und Unmündigkeitsdebatten entweder erheitert oder verbittert.
Und wenn ich gegenwärtig verstärkt über die Verbogenheiten von Menschen in Ostdeutschland höre, dann regt sich Widerspruch und der Verdacht, dass die Psychologie in Dienst genommen und instrumentalisiert wird. Ich denke mir, wenn sich diese wissenschaftlichen Disziplinen mit der Politik zusammenbinden lassen, kommt - wie auch in anderen Fällen - Ideologisches heraus.
Wie immer, wenn Ideologie im Spiel ist, muss man, wenn man Widerspruch einlegt, immer erst einmal das Glaubensbekenntnis aufsagen („Hüte grüßen“, nannte das einmal Günter Gaus).

Ja, es gibt Traumatisierungen, die sich aus politischen Systemen herleiten, es gab und gibt Menschen, die am System der Vergangenheit verzweifeln konnten, aber ob das immer in psychische Symptomatiken münden musste, ist eine Frage, die je nach Zielrichtung der Argumente verstärkt bejaht oder verneint wird. Ich nehme hier jetzt einmal die Opfer von brutalster politischer Gewalt, von Krieg und Folter aus der Debatte heraus, die es natürlich und in der Gegenwart verstärkt gibt.
Aber auch in diesen Fällen sind die Betroffenen, die „Opfer" - wie immer, wenn Gericht gehalten wird - nichts als Beweismittel pro oder contra das oder die angeklagten Systeme.

In den siebziger Jahren verfolgte ich mit Spannung und Interesse die Aktivitäten des SPK im Westen – des Sozialistischen Patientenkollektivs und den Lead Song dieser Bewegung „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ von Ton, Steine, Scherben hörte ich gern. ich fand die Diskurse über die Zwänge des kapitalistischen Systems sehr einleuchtend, hätte es sicherlich gut gefunden, auch über die Zwänge in unserem System offener reden zu können, aber ich fand, dass dies nicht der Dreh- und Angelpunkt für meine eigene Krankheitsgeschichte war.
Es gehörte immer zur Psychologie und Psychotherapie, Zeit- und Gesellschaftsdiagnostik zu betreiben und die kann in jedem System auf Defizite, Zwänge, Auslöser von Krankheiten aufspüren. Einseitig betrieben ist das alles nichts als Ideologie.

Medialer Generalverdacht
Als kurz nach der Wende über den Missbrauch der Psychiatrie berichtet wurde, entstand ein Bild, das mich sehr verunsicherte, weil sofort alle Bereiche der Psychologischen und Psychotherapeutischen Arbeit in einen medialen Generalverdacht gerieten.
Ich sah zum Beispiel ein Fernsehinterview mit Dr. Kurt Höck und konnte kaum fassen, wie sich ein integrer Mann gegen die kecken Unterstellungen einer ehrgeizigen Volontärin verteidigen musste. Natürlich habe die in seinem Haus praktizierte Therapie einen emanzipatorischen Ansatz, erklärte er gegen die Laute missbilligenden Zweifels, mit der die Interviewerin seine Feststellung kommentierte. Ich fand das unsäglich und ärgerlich. Es hat sich in der Folge nicht bestätigt, dass die Psychiatrie in der DDR flächendeckend politisch missbraucht wurde. Es gab auch so noch genügend dokumentierte Beispiele für Machtmissbrauch, auch mit Hilfe psychiatrischer Einweisungen, aber es war kein System dahinter. Ich hatte mit Dr. Höck einige Jahre zuvor ein Interview geführt und erinnere mich, dass er noch bevor ich meine erste Frage loswurde, freundlich nachfragte: „Und wie geht es Ihnen jetzt?“. Das hat mich sehr bewegt. Er erzählte mir auch, dass er – wenn er älter würde – gern selbst in so einer Gemeinschaft wie Hirschgarten wohnen würde. Mit Menschen zusammen sein. Die Wende kam, es gab auch bittere Erkenntnisse für Hirschgarten. Eine Leiterin , so berichtete Dr. Froese, hatte Bericht erstattet, anderswo. Aber – es war trotzdem ein guter Ansatz. Im Jahr 1991 aber ist Hirschgarten geschlossen worden. Kurt Höck starb Ende 2008 bei Berlin. Man hatte ihn schon im Jahre 1987 ziemlich abrupt aus seiner ärztlichen Tätigkeit verdrängt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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