Tote Taube

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Auf dem kleinen Grünstreifen neben der Strassenbahn-Haltestelle lag eine tote Taube. Vornüber gekippt, als hätte ihr jemand mitten im Trippeln einen Stoß gegeben. Der Kopf am Boden leicht zur Seite gedreht. Die weißlichen kleinen Lider über die Augen geschoben.

Sie hatte was Ehrwürdiges, diese tote Taube, etwas Transzendentes. Wenn ich es recht überlege, sah sie nicht tot, sondern verstorben aus. Aber es gibt ja eigentlich keine verstorbenen Tiere, nur manchmal, wenn sie Haustiere sind, bezeichnet man ihr Verenden so, um dem Kummer würdigen Ausdruck zu verleihen.

Tiere verenden - grausliches Wort -oder sie sind tot. Ganze Tierarten und Gattungen können ausgestorben sein. Aber versterben tun nur Menschen.

Eine tote Taube in diesen Zeiten - wie unpassend, passend. Nicht nur sie tat mir Leid, ich tat mir Leid bei ihrem Anblick, so mitten im Stadtbetrieb, mitten in diesen Zeiten. Und sie zuerst so trügerisch lebendig aussehend. Noch aus einem Meter Abstand dachte ich ja, sie ist nur erschöpft, sie ist langsam und alt und darum geht sie nicht beiseite.

Dann dachte ich an ein ähnliches Erlebnis aus meiner Kinderzeit. Da lag wochenlang ein toter Spatz auf dem Hof, in immer gleicher Schönheit, mit dem grauen Federkleid und dem Kopf mit den geschlossenen Augen am Boden. Wie für ewig. Erst als ich ihn einmal mit dem Schuh anhob, sah ich darunter die Würmer, ich sah, dass nur der Steinboden - mit einer kleinen Vertiefung, auf der er verendet war - den Spatz bewahrt hatte vor schneller Entstellung und Zerstörung. Meine Mutter, die mich aus dem Fenster beobachtet hatte, zog mich von dem Tier weg, langsam und mit freundlichem Zureden.

Heute zog mich niemand weg, aber ich wünschte mir, es hätte jemand getan.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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