Es war schon eine Weile still um sie geworden. Gisela May, die zierliche Frau mit Kupferhaar und Pagenschnitt, mit rauchiger, leicht spröder und doch kraftvoller Stimme, wurde als deutsche Chansonsängerin – als Diseuse – in der DDR bewundert. Hier und da wurde sie auch freundlich bespöttelt. Aber eine „sozialistische Nachtigall“, wie jetzt in einem Nachruf zu lesen war, hat sie niemand genannt. Sie war ein verhaltener Mensch, ihr lag es nicht, „sich die Brust aufzureißen“, sagte sie einmal, sie setze auf Inhalt und Präzision. Und sie liebte den Genrewechsel. Vergangenen Freitag starb sie mit 92 Jahren, der MDR grub prompt eine Fernsehklamotte aus den 80er Jahren aus: Drei reizende Schwestern. Da sieht man sie mit Hingabe eine besoffene Raumpflegerin spielen. Später war sie die „Muddi“ in der ARD-Serie Adelheid und ihre Mörder. Einst hatte sie prägnantere Rollen in DDR-Produktionen verkörpert, aber nach der Wende erhielt sie keine solchen Angebote mehr.
Vom Berliner Ensemble (BE), seit 1962 ihre künstlerische Heimat, machte May schon in den 70ern einen Abstecher über die Straße ins Metropol-Theater, um dort die Hauptrolle im Musical Hello, Dolly! zu spielen. Mit großem Erfolg. Grenzüberschreitungen waren ihr auch über die DDR hinaus möglich. Ihre Engagements führten sie und ihre Pianisten Henry Krtschil und Manfred Schmitz nach Paris und Mailand, Moskau und New York.
Die feste Treue zur DDR war eine Entscheidung, die mit Mays familiärer Prägung zu tun hatte: Ferdinand und Käte May, ihre Eltern, waren politische Menschen und in der Nazizeit geächtet. Er, ein Schriftsteller, war Sozialdemokrat, sie, eine Schauspielerin, war Kommunistin. Mays Klavierlehrer war im Widerstand und wurde in Plötzensee hingerichtet, ihr Bruder fiel im Krieg.
1951 kommt Gisela May ans Deutsche Theater, 1957 wird der Komponist Hanns Eisler auf ihr musikalisches Gestaltungstalent aufmerksam. Schnell wird aus ihr „die May“, Brecht-Interpretin Nummer eins, obwohl sie Bertolt Brecht nie persönlich kennenlernt. Helene Weigel, Brechts Witwe und Prinzipalin am BE, nimmt May ins Ensemble. Von der Weigel übernimmt sie auch die legendäre Rolle der Mutter Courage. Ihr Repertoire wächst stetig. Sie schmettert auch Tucholskys Leibregiment und Der Graben in die Welt und interpretiert später Lieder von Jacques Brel und Mikis Theodorakis. Es wechseln die Zeiten heißt ihr Erinnerungsband aus dem Jahr 2002, der an das große Moldaulied von Brecht/Eisler anknüpft.
Auch Mays Privatleben ist wechselhaft. Nach einer gescheiterten Ehe lebt sie mit dem Philosophen Wolfgang Harich zusammen, der wegen seiner Systemkritik in der DDR viele Jahre in Haft sitzt. Die Jahre nach 1989 sind hart. Das BE will sie nicht mehr. Sie wird, wie viele andere Ost-Schauspieler, 1992 abgewickelt. Nach Claus Peymanns Amtsantritt 2000 kehrt sie aber mit Chanson- und Vortragsabenden an ihre alte Spielstätte zurück.
„Das Berliner Ensemble ist in Trauer“, steht nun auf der Webseite des Hauses. Versöhnung, Hochachtung, Abschied – für eine der ganz großen Künstlerinnen der untergegangenen DDR.
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