Und alle haben geschwiegen

Heimkinder Ja, es ist manches ein bisschen konstruiert, es wird eine Liebesgeschichte erzählt, die nicht ganz glaubwürdig ist.

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Aber, trotz mancher dramaturgisch vordergründiger Konstruktionen war der gestern im ZDF gezeigt Film „Und alle haben geschwiegen“ (Regie Dvor Zahavi) ein gelungener Versuch, ein schlimmes Kapitel der westdeutschen Vergangenheit medial einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen. Der Film beruht auf dem Buch des Spiegel-Journalisten Peter Wensierski „Schläge im Namen des Herrn“.

Die junge Luisa und der junge Paul treffen in den 60er Jahren im diakonischen Erziehungsheim Falkenstein aufeinander. Sie glaubt, sie müsse da eine Zeit überbrücken bis ihre kranke Mutter sie wieder zu sich nehmen kann. Er ist ein „Problemkind“, dessen Stotterneigung man im Heim durch Schläge auf die Hände zu heilen gedenkt. Eine schreckliche Szene.

Fanatisch frömmelnde

Freudlosigkeit

Diese Gewaltszenen sind zwar kurz, aber eindrücklich und erschütternd. Dennoch – das wurde auch in der anschließenden Dokumentation deutlich – es war alles viel schlimmer als gezeigt. Ein Film kann das Furchtbare immer nur über diese dramatischen Szenen transportieren. Das wirklich Schreckliche aber liegt im täglichen Erniedrigen, täglichem Drill, täglich neu erzeugter Furcht und fanatisch und frömmelnd gepflegter Hoffnungs- und Freudlosigkeit.

Luisa – die dort nur als Nummer 84 angeredet wird – und Paul wollen fliehen. Das geht schief. Sie versprechen sich, aufeinander zu warten, aber sie begegnen sich erst viele Jahre später wieder. Luisa stürzt sich im Kloster aus dem Flurfenster und überlebt, Paul setzt seine Odyssee durch verschiedene Heime fort und ist fortan ein schwer Traumatisierter.

Ein Auschwitzkind

im Erziehungsheim

Nebenher gibt es im Film gibt es auch eine besonders beredsame Episode. Eine der Insassinnen ist aus dem KZ Auschwitz auf Umwegen in diesem Heim gelandet und erlebt dort einen Zwang und eine Unterdrückung, von der sie nur kurz befreit war. Viele – auch staatliche Heime – haben die Kinder als billige Zwangsarbeiter benutzt.

Wiederbegegnung

nach vielen Jahren

In der Rahmenhandlung treffen die beiden Heimzöglinge viele Jahre später in Berlin wieder zusammen. Senta Berger und Matthias Habicht sind da ebenso eindrucksvoll zu sehen wie die junge Luisa (Alicia von Rittberg) und der junge Paul (Leonard Carow) in den Rollen der Jugendlichen.

Es geht um die Kommission, die das Schicksal der Kinder „aufarbeiten“ soll. Paul, der die Last dieser Kindheit durchs Leben getragen hat, entschließt sich zur Aussage vor einer Kommission, deren Distanz und deren menschliches Verschwinden hinter einer bürokratischen Fassade in Paul das Gefühl erzeugt, wieder neuer Macht ausgeliefert zu sein. Er überwindet sich und beendet das Schweigen. Das Schicksal dieser Heimkinder ist noch heute nicht geklärt, es gibt einen Fonds zur Wiedergutmachung. Aber, wie auch die Zeitzeugen in der anschließenden Dokumentation erklärten: Das kann man mit Geld nicht wieder gut machen. Da sind Leben zerstört worden.

Anmerkung: Mir ging der Film auch deshalb so nahe, weil ich in der DDR einige Zeit in einem katholischen Kinderheim verbracht habe. Ich habe darüber schon berichtet.

In der DDR war nebenher die Prügelstrafe schon seit ihrer Gründung verboten. In Westdeutschland erst ab 1974 und in Bayern erst 1980.

Auch in Ostdeutschland wurden die konfessionellen Kinderheime vom Staat unterstützt. Ich kann mich an den Unterwerfungsgeist nicht erinnern, den ich in dem gestrigen Film so entsetzlich fand. Es wurde gebetet, man ging sonntags in die Heilige Messe, aber ich wurde da nicht unterdrückt. Ich war traurig, weil die Mutter so krank war und ich deshalb dort sein musste. Aber ich ging - im Gegensatz zur Luisa im Film - jeden Tag zur Schule. Das Heim war für eine Weile mein Zuhause. Ich gewann dort Freundinnen. Auch die staatlichen Heime hatten damals einen anderen Geist. Wenn – wie im Film „Barbara“- vom Jugendwerkhof Torgau als Ort des Seelenmordes erzählt wird, dann hat auch das seine erschütternden Hintergründe wird aber immer so behandelt, als sei im "Osten" ohnehin nichts anderes zu erwarten. Die Jugendwerkhöfe und Spezialkinderheime der DDR sind ein schlimmes Kapitel. Es gibt auch dafür inzwischen auch einen Entschädigungsfonds, aber das waren keine „normalen“ Kinderheime, sondern Missgeburten eines völlig fehlgeleiteten Strafvollzugs.

Ich hätte allerdings nie gedacht, dass in einem westdeutschen Heim – noch in den 60er Jahren – solche Zustände herrschen konnten. Es war Ulrike Meinhof, die mit ihrem Film „Bambule“ in dieser Zeit auf die Zustände aufmerksam machte. Auch Andreas Bader engagierte sich. Reformerische Bemühungen und Proteste führten am Ende auch zu gesetzlichen Änderungen. Ich aber dachte gestern: Meine Mutter war in den fünfziger Jahren katholisch, aber alleinstehend. Sie hatte zwei uneheliche Kindern und war selbst schwer erkrankt. Mein Bruder und ich – wir wären in den 50er Jahren vielleicht in solch einem Heim gelandet, wenn wir dem Rat mancher Gemeindemitglieder folgend in den Westen gegangen wären.

Hier zwei von vielen Beiträgen zum Thema, das seit vielen Jahren diskutiert und bekannt ist. Überdeckt wird es immer wieder von den skandalösen Missbrauchsfällen in den Heimen, über die ausführlicher berichtet wird.

http://www.derwesten.de/staedte/heiligenhaus/heimkind-drama-im-zdf-10-fragen-an-peter-wensierski-id7685701.html

http://www.tagesspiegel.de/medien/drama-das-schweigen/7869642.html

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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