Verschleiß

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Es ist so. Ich bin kein depressiver Mensch, höchstens mal ein bisschen traurig und dann ist auch meist ein Anlass dafür vorhanden.

Und diesmal ist der Anlass für die Verstimmung ein ganz alltäglicher und schon ziemlich breitgewalzter. In letzter Zeit plagen mich Schwindelgefühle, Missempfindungen unterschiedlichster Art für die es – so meine Hausärztin - keine wirkliche Erklärung gibt. Ich hätte also aus ihrer Sicht keinen Grund zur Klage, denn sie glaubt an Fakten, an Laborbefunde, an Werte. Und die sind alle in Ordnung. Deshalb versprach sie keine Linderung, sondern meinte, eigentlich könne mir gar nichts fehlen. Aha.

Sie vertröstete mich auf die Zeit nach ihrem Urlaub, bis dahin solle ich mich nicht so anstellen, die Prioritäten anders setzen und all solche nutzlosen Ratschläge. Das kennt man ja. Die Schwindelgefühle aber plagten mich weiter und deshalb ging ich zum Vertreter dieser faktengläubigen internistischen Fachidiotin. Und der- ein lieber Mensch mit warmen und trockenen Händen wie sie mein Mann auch hat - drehte mal ein bisschen an meinemKopf ,mal nach rechts bis kurz vom Anschlag und mal links – da war der Anschlag etwas großzügiger, dann hat er mich sofort zum Röntgen der Halswirbelsäule überwiesen.

Als ich aus der Röntgenpraxis kam, da hatte ich sie alle schwarz auf weiß: die Fachtermini über die Beanspruchung und Abnützung der Apparatur, die einen zum aufrechten Gang befähigt oder zumindest dafür, dass man den Kopf schmerzfrei oben behält und auch drehen kann.

Es treten da auf: Ein Cervicocephalsyndrom mit Myogelosen (das sind Muskelverhärtungen), bei Bewegungseinschränkung und einem veritablen Vertigo (Da dachte ich gleich an den gleichnamigen Hitchcockfilm mit Ava Gardner)

Im Detail können wir eine abgeflachte Lordose der HWS vorweisen, Auch eine Osteochondrose und Spondylose def. sind zu konstatieren, zum Teil mit dorsalen Anbauten (das klingt nach schöpferischem Heinwerkerwesen)

Wir verfügen großzügig über eine Unkovertebralarthrose in bestimmten Bereichen, Auch eine Intervertebralarthrose steht uns hilfreich bei der weiteren Bewegungseinschränkung zur Verfügung. Es gibt auch noch eine partiell deutliche Einengung der Foramina intervertebralia zu vermelden. Weiterhin nennen wir eine segmentale Gefügestörung unser eigen.

Die Schlußapotheose bildet eine Osteoporose in allen dargestellten Knochen.

All das Ungemach hat mit der Tatsache zu tun, dass man altert und verschleißt. Davon rührten ganz offensichtlich auch die Missempfindungen und die Krankheits- und Schwindelgefühle der letzten Zeit.

Weil wir gerade beim Verschleiß sind. Kürzlich war ich bei der Augenärztin, weil ich ausschließen wollte, dass der Schwindel vielleicht daher kommt. Auch bei dieser medizinischen Fachkraft – nichts als der übliche Verschleiß. "Sie wissen, dass bei Ihnen beidseitig der grauen Star anfängt?" fragte sie mich, die Antwort schon ahnend. Ich wusste es nämlich nicht. Ich hatte nur in letzter Zeit das Gefühl, dass ich mir links andauernd die Brille putzen muss. Eine schöne Linsentrübung bereitet sich zum progressiven Wirken vor. Und die Durchblutung ist auch nicht gut in den Augen. „Davon kommen die schwarzen Lichtspratzer, über die Sie eben Klage führten", sprach die Ärztin.

Was sagt Ihr nun? Neidisch wa. Ich bin ein alter Knochen, das ist meine ganze Krankheit. Und seitdem ich das – natürlich schon geahnt habend – weiß, geht’s mir wieder besser. Unheilbar zu altern ist was anderes als unheilbar krank zu sein. Es ist das Leben wie es eben ist.Ich ging nach Hause und ließ mich trösten. Der Trost hatte diesmal in einem Bierglas gut Platz.



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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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