Vertreibt das Internet die Stille?

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Wenn es mal wieder fehlt an Bedenkenswertem und Erbaulichen und die Dame ohne Unterleib schon – wie kürzlich beim Freitag - als einstiger Geheimnisträgerin vergeben ist, dann denkt man – wie kürzlich in der Süddeutschen –

jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/478609

darüber nach, wie wenig man der ständigen Beeinträchtigung und Versuchung durch die neuen virtuellen Ablenkungen entkommt. Nicht einmal in der eigenen Klause, die auch nicht mehr den Namen verdient ist man sicher. .

Dank der WLAN-Verbindungen kann man auch dort der Internet-Versuchung nicht mehr entkommen. Nirgendwo ist Stille. Und mit dem Gletscher dieser Zivilisationsklage rollt noch allerlei Bildungsgeröll mit zu Tal. Zum Beispiel. Blaise Pascal und Michel Focault.

Von denen verstehe ich nicht soviel Zitierfähiges, aber ich weiß dank des Internets wer sie sind und kann mich darum zumindest mit der Frage beschäftigen, wem ich unbedingt ein wenig „bildungsaneignungsmäßig“ nähertreten sollte.

Meine erste Erfahrung mit dem Internet war die einer unglaublichen, sehr faszinierenden Erweiterung nicht nur meiner Person, sondern auch meines Wissens – besser der Wissensmöglichkeiten. Eine Empfindung, die ich nicht mehr missen möchte.

Wenn man eine Grundbildung hat, eine Fähigkeit, halbwegs Seriosität von Scharlatanerie zu unterscheiden, ist das Internet nicht nur eine Informations- und Servicequelle, sondern eine hervorragende Bildungsquelle. Davon war hier in diesem Medium genug die Rede.

Ich war mal – in einer kurzen Zeit meines Lebens – Dokumentarin und habe heute noch immer viel Freude,wenn ich im Internet, dank ausgeklügelter Abfrageworte, am Ende doch noch die Dokumente, Sachverhalte oder Infos finde, die ich gesucht habe.

Ganze Vorträge habe ich dank des Wissens aus dem Netz schon zusammengestellt, alle Mühen, die sonst der Informationsbeschaffung dienten, kann ich jetzt auf ordentlicheFormulierungen verwenden.

Und dafür brauche ich sie dann, die Stille.


Später dann fand ich - vielleicht war das ja ein glücklicher Umstand – durch ein Literaturportal, dessen Forum gern und ausdauernd frequentiert wurde, eine Menge an. Kontakten. Ich fetzte mich umetwas, was wir ein bisschen hochtrabend „Texte“nannten – manchmal waren es auch welche, bei mir blieben es meist Mitteilungen. Wir stritten um Politisches und Literarisches. Nicht immer fachkundig, aber doch immer bewegt. Dann wollte man sich auch kennen lernen. Einmal reiste ich ins ferne Frankfurt/Main um dort in einem Hotel in einem Doppelbett mit einer Dame zu nächtigen, mit der ich mich einige Wochen zuvor noch heftig gestritten hatte. Einmal alarmierten wir die Polizei einer Stadt, mühten uns um die realen Koordinaten einer Dame, die einen sehr bedrohlichen Selbstmordtext ins Netz gestellt hatte.


Immer mal wieder blieb die Literatur ein bisschen auf der Strecke. Das Trollen nahm zu. Vielleicht hat das den Betreiber der Seite bewogen, das Forum zu schließen. Ich denke aber eher, dass es die Furcht vor irgendwelchen juristischen Konsequenzen war, die zunehmende Besorgnis, für verlinkte Seiten juristisch mit verantwortlich zu sein – diese Disclaimer-Geschichte – beendete die Lust am Experiment bzw. beim Betreiber die Gleichgültigkeit gegenüber dem Treiben in seinem Forum, das uns so lange freie Hand gelassen hatte.

Heute denke ich manchmal, das war Ignoranz gegenüber einem Kulturgut, das es nirgendwo anders gab.

Ich habe dort gelernt, die Erfahrungen und Urteile der anderen zu nutzen, damit ich dann in Ruhe und Stille was zustande bringe.


Was wollte ich jetzt eigentlich? Ach ja, ich wollte mich gegen die Behauptung wehren, die Menschen verlernten durch das Internet mit sich allein zu sein. Ihnen käme die Stille abhanden.

Mir scheint, wenn mehr einsame Menschen – vor allem Ältere – die Möglichkeiten hätten, sich das Internet zu erschließen, wären sie weniger einsam. Medienkompetenz brauchen nicht nur junge Leute, die sicherlich hin und wieder übertreiben mit ihrer Internet-Kommunikation. Auch Ältere brauchen sie und sie erwerben sie zunehmend, um die Stille zu vertreiben, die sie dem Leben entfremdet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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