Im 2. Teil, der 1983 anfängt – da war ich übrigens 37 Jahre alt – beginnt alles im Grünblau-Grauen. Ab jetzt läuft der Countdown.
Die Vögel fliegen über Dresden und Dr. Richard Hoffmann (Jan Josef Liefers), steht in einem Hauseingang und blickt – schuldbewusst und erschüttert ob Jostas Suizidversuch – auf die verfallenden Fassaden ihres Hauses, wie sie in der DDR sehr typisch waren. (siehe Teil 1). Am Verfall hat allerdings er weniger Schuld. Er beklagt ihn gemeinsam mit den Ärztekollegen in seiner Klinik, die im gleichen maroden Zustand ist wie die gesamte DDR.
Diesen widersprüchlichen und problembelasteten Hoffmann zu spielen, das war ohnehin ein Drahtseilakt: Ein karriereorientierter Mensch mit bürgerlicher (oder sozialistischer?) Doppelmoral, mit alten Stasiverpflichtungen und neuen Erpressbarkeiten, aber auch mit dem Bemühen, niemanden „hinzuhängen“ (z.B. den Kollegen mit dem Amateur-Flug-Fluchtvehikel nicht „auffliegen“ zu lassen), das ist viel Charakterfracht für einen Menschen.
Es muss halt auch immer alles hinein von den gängigen Zutaten (von wegen kein Klischee!!). So hat man ständig das Gefühl, dass ihm das alles irgendwie passiert, der Figur zugefügt wird. Die Psychiatrie, in der er kurzfristig gegen Ende landet, ist auch so ein Symbol. Aber wofür? Nur für die geplatzten Karriereträume oder diese vermutete generelle Gespaltenheit der DDR-Menschen überhaupt? Und weit und breit noch keine Psychologencouch.
Gehorchen und Klappe halten
Der Klischeefalle nicht entkommen sind die NVA-Erlebnisse des inzwischen eingerückten Sohnes Christian (Sebastian Urzendowsky). In der militärischen Sphäre scheint die DDR aufs Wesentliche gebracht: Gehorchen, Klappe halten. Drill, Eskaladierwand statt Mauer, „Entengänge“ und Spindkontrollen, Geistfeindlichkeit und dann noch von den Kameraden „in die Scheiße getaucht werden“.
Uniformierte Fertigteile wie die zum hundertsten Mal als Vehikel für Militärkritik aufgewärmte Szene vom (meist) übergewichtigen, vorerkrankten Soldaten, der besonders leidet und beim Gefechtsalarm unter der Gasmaske stirbt. Sie wird bemüht, um Christians Ausfall gegen „das System“ (welches?) zu erklären. Das ist einfallslos oder mit Bedacht gewählt. Militär ist Mist, um mal den Spruch eines alten SPD-Politikers abzuwandeln.
Andererseits werden Christian Hoffmanns Erfahrungen – einschließlich des Militärgefängnisses in Schwedt – als eine Art Erziehungs- und Reifeprozess erklärt. So ist die intensive Szene, in der sich Christians Blick vom mürrisch-nachdenklichen zum wildentschlossenen Überwinderblick wandelt, wohl zu deuten.
Wirklich bewegend aber der Brief aus Schwedt. Einfach und ohne Pathos. Dass ihm die Arbeiter im Werk, in dem er hart arbeitet, ehrlicher erscheinen als seine eigene Welt und sein Umfeld, dessen Verlogenheit er seinem Vater auch einmal entgegenschleudert, hat schon mit der DDR-Realität zu tun. Das kam übrigens auch in späten DDR-Filmen vor.
Dazwischen die Entwicklung Meno Rohdes (Götz Schubert) vom Skeptisch-Angepassten zum Skeptisch-Widerständigen. Meno als Behüter und Transporteur des Schevola-Manuskripts kommt ohnehin zu spät, verliert es beinahe in den Unruhen am Hauptbahnhof, in die er gerät, aber nur beinahe. Am Ende liegt’s mit ihm lädiert auf der Krankentrage. Es war nicht viel Zeit für Literatur damals. Und für Meno bleibt auch wenig Raum, wie der Schauspieler selbst beklagt hat.
Claudia Michelsen als Dr. Richard Hoffmanns Ehefrau Anne war absolut überzeugend, vielleicht weil ihre Entwicklung gradliniger ist: Die lange währende Geduld, die stille Rebellion gegen ihren Mann, gegen die machtverblendete DDR-Obrigkeit, gegen die eigene langjährige Lethargie. Das war gut und so kann man sich’s vorstellen. Aber, die Symbolik der abgeschnittenen Haare: hm, auch ein bisschen vordergründig.
Die Filmmusikist poetisch, konventionell: Einmal gibt’s einen Titel Wenn ich aufsteh’ in aller Früh, der an Ost-Pop erinnert. (Oder ist das Ost-Pop wie Citys Am Fenster im 1. Teil? ) Rebellisch dieses: „Wie unter Tage kommt die Stadt mir vor“.
Gegen Ende 1989 wird aus Mozarts Requiem die Sequenz „Lacrimosa“ (Tag der Tränen) bemüht. Mir wäre das „Dies irae“ (Tag des Zornes) lieber gewesen und war auch fürs damalige Zeitgefühl treffender, wenn’s schon eine Totenmesse sein muss.
Dass die letzten Sequenzen des Filmes nicht mehr so interessant sind, hat damit zu tun, dass man weiß, wie es kommen wird (Oder ist das eine Altersfrage?): Sohn als NVA-Soldat und widerständige Mutter stehen sich bei den Demonstrationen dramatisch gegenüber. Ein in der Kunst immer wieder gern bemühtes Konfliktstück. Absehbar und wenig überraschend wie er sich entscheidet.
Resümee
Es war klar, dass vom Roman Der Turm nur ein ausgedünnter Plot übrigbleiben konnte. Man kann bei der Gelegenheit aber auch noch einmal fragen, ob Tellkamp in seinem bombastischen Werk nicht ohnehin zuviel wollte. Vielleicht aber wollten Drehbuchautor und Regisseur auch ein bisschen zu wenig. Nun ist das alles ins weniger Schöngeistig-Literarische geschrumpft, wie ein Rezensent beklagt, dafür aber ins Klare, Verständliche und Übersichtliche. Vielleicht ist die DDR mit diesen Ingredienzien einfach „auserzählt“.
„Dresden: In den Musennestern lebt die süße Krankheit „Gestern“, lässt Tellkamp Meno Rohde im Roman notieren. Im 2. Teil kommt sie kaum vor, die süße Krankheit „Gestern“, sondern ein dramatisches, ständig vorantreibendes „Jetzt“. Es ist die Zeit der Katharsis, der Einsichten, Zusammenbrüche und Aufbrüche – in Christians und Annes Fall: Der Reife, bei Richard der Zusammenbruch. Allerdings noch nicht des DDR-Endes.
Noch rufen sie in Dresden nicht „Wir sind ein Volk“. Sie rufen „Wir sind das Volk“ oder „Wir wollen raus“, aber auch „Wir bleiben hier“. Ist die Erinnerung daran die heutige Krankheit „Gestern?“
Community-Mitglied Amanda hat für uns den ersten Teil rezensiert.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.