Von Kummer- und Freudengesängen

Singen In Christa Wolfs Buch „Stadt der Engel" ist eine Szene, in der geschildert wird, wie sie in ihr Hotelzimmer geht und beginnt, zu singen. Das war mir sofort einleuchtend.

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Sie versucht so, einen besonders gehässigen Artikel zum Thema IM-Akte mit tröstenden Melodien zu mildern und sich ein bisschen Ruhe zu verschaffen. Damals wurde aus 20 Seiten "Täterakte" eine Medien-Lawine, welche die 42 Ordner, in denen sie selbst Beobachtungsobjekt der Stasi ist, begraben sollte.

Dann folgt eine fast zwei Seiten lange Aufzählung aller Lieder, die sie singt. Neben einigen Brechtsongs und Kampfliedern der Arbeiterbewegung zählt sie fast das gesamte deutsche Liedgut auf. Neben „Am Brunnen vor dem Tore“ steht „Spaniens Himmel“, aber auch „Im schönsten Wiesengrunde“, „Die Gedanken sind frei“ oder Paul Gerhards „Geh aus mein Herz und suche Freud“ und dann wieder das „Thälmann Lied“ – es ist eine seitenlange Aufzählung „geklagter“ Lieder.

Mich rührte das, weil ich alle Lieder kenne und auch schon gesungen habe, die sie eine lange Nacht durch singt. Ich kenne auch die Hoffnung auf heilende Wirkung, die damit verbunden ist. Ich weiß noch, wie ich einen sehr geliebten Menschen, der sich von mir abgewandt hatte, von weitem mit einer Anderen sah. Ich ging nach Hause und während ich mir vorm Spiegel die Haare kämmte, fing ich auch an zu singen. „In einem kühlen Grunde“ mit seinen schwermütigen Ende:

Hör ich das Mühlrad gehen,

ich weiß nicht, was ich will.

Ich möchte’ am liebsten sterben,

dann wärs auf einmal still.

Und dann flossen sie auch schon, die erleichternden Tränen.

Es gibt eine von den „Comedian Harmonists“ gesungene Fassung. Und das bricht mir jedes Mal fast das Herz. Aber eben nur fast und damit ist das Herz schon der Gefahr entkommen. So ist es auch gemeint.

Ich war als Kind im Schulchor, der sich dieses Liedgutes – neben den neuen Werken des „sozialistischen Aufbaus“ – mit großem Engagement annahm. Da war ich gern, ich hatte eine kleine, aber ganz hübsche Stimme und sang bald auch Soli.

Aber, eigentlich war mir das Singen eher eine Alltags-Überlebenstechnik, die sich zum Beruhigen, Anregen, Trösten und Trauern eignet. Es gab mal eine Zeit, in der ich andauernd vor mich hin summte und das waren – leider - nicht die besten Zeiten in meinem Leben. Vielleicht war das nur eine mir gar nicht bewusste Abart des kontemplativen Ommmmm, das ich da anwendete. Kummersingen nenne ich das und es gibt auch seine positive Variante „Die Freudengesänge“. Die sind am besten aber gemeinsam anzustimmen und zu hören und zu genießen.

In Deutschland scheint das Singen von Volksliedern noch immer irgendwie peinlich. Jedenfalls unter Linken. Wenn ein politischer Liedermacher wie Hannes Wader sein im volksliedhaften Stil gehaltenes „Rosen im Dezember“

zu Gehör bringt, dann hört sich das fast entschuldigend dafür an, dass er im Folgenden einige Originalvolkslieder singen wird. Z. B. „Ännchen von Tharau“. Ach, wie heißt es da so schön:

„Ich will Dir folgen durch Wälder und Meer

Durch Eis durch Kerker, durch feindliches Heer

Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn’,

Mein Leben schließ’ ich um deines herum.“

Aber, obwohl die Deutschen ein gebrochenes Verhältnis zu Volksliedern haben, gibt es hierzulande fantastische Chöre und viel musikalische Betätigung. Die Medien aber bringen musikalisches Falschgeld in Form „volkstümlicher Musik“ unter die Leute und dies in einer Menge, die musikalische Inflation und Entwertung heraufbeschwören.

Dagegen hilft nur das Besinnen auf wirkliches Singen und das wird allenthalben gepflegt.

Seit vielen Jahren gehe ich einmal im Monat zum Singen. Es ist kein Chor, der sich da zusammengefunden hat, sondern eine Art ältere Singegruppe. Kein Ehrgeiz hält uns zusammen, sondern die gemeinsame Freude an Liedern, die alle kennen. Manchmal kommen auch paar aufmüpfige revolutionäre Sachen dazu wie etwa „Bella Ciao“ oder „Partisanen vom Amur“. Meist aber alte Volkslieder. Ich gehe dort oft in ganz anderer Stimmung weg, als ich hinging. In diesem Jahr war ich durch eine lästige Krankheit nicht immer in der Lage, teilzunehmen und habe gespürt, dass mir was fehlt.

Sound of Heimat

Ein ganz Fremder und dadurch Unbeteiligter hat sich der Deutschen angenommen mit ihrer Singerei. Herausgekommen ist der Film „Sound of Heimat“. Sound of Heimat

Der neuseeländische Musiker Hayden Chisholm wurde von zwei Filmemachern auf einer Reise durch Deutschland begleitet. Er suchte den speziell deutschen Klang. Ihn irritiert der verklemmte Umgang mit dem deutschen Liedgut. Und er fand viele, viele Leute und einen sehr unterschiedlichen deutschen Klang von Bayern bis an die Nordsee. Davon erzählt er in seinem Film, der mich sehr rührte. Zu dem Film gibt es ein Informatives Presseheft

Er lässt auch nichts aus. Die Worte eines Buchenwald-Häftlings, der das erzwungene mit letzter Kraft absolvierte Singen – mit erniedrigendem, brutalem Hintergrund – zum Thema macht, finden sich auch darin. Aber, hat Richard Wagners Antisemitismus jemals daran gehindert, seine Opern aufzuführen und sie frenetisch zu feiern? Nun gut

Ans Ende meiner Überlegung noch ein weihnachtlicher Abschluss: Ich kriege immer das Heulen bei „Stille Nacht“. Manchmal, weil es so entsetzlich interpretiert wird und oft auch, weil es mich wirklich rührt. Es erinnert mich an meine Mutter.

Als solide gesungenes Chorstück

ebenso wie in der Fassung von Mahalia Jacksons „Silent Night“.

Und am allermeisten an die Kindheit erinnert mich das

Transeamus

Beim engelhaften Gloria bin ich dann hinüber.

(Hier endet Teil I – in Teil II hänge ich noch ein paar laienhafte Beobachtungen über das Singen als Fähigkeit an. )

https://www.freitag.de/autoren/zeitleser/stille-nacht-stillstehenede-nacht

Hier ist auch noch was Schönes zu Musik und Gesang

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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