Heutzutage in diesen Zeiten, in denen andauernd schrecklich vereinfacht und polarisiert wird, muss man zuerst immer eine Art "Glaubensbekenntnis" aufsagen.
Ja, sexueller Missbrauchist schrecklich. Mord an Kindern ist entsetzlich.
Ja, es wird in Deutschland zu viel Aufmerksamkeit auf die Täter gerichtet.
Ja, die Prognose für viele Täter ist meist nicht sehr optimistisch.
Ja, es ist nicht gut, wenn man in der Nähe eines Menschen wohnt, der einschlägig vorbestraft ist.
Aber ich möchte trotzdem nicht in einem Lande leben, in dem die Sicherungsverwahrung zwischendurch einfach mal ohne Rechtsgrundlagen verhängt wird. Ich finde es schrecklich, dass ein Mann wie Til Schweiger den Volkszorn ordentlich bedienen darf. Und gleich das große Podium bei BILD bekommt, einer Zeitung, von der Kabarettist Volker Pispers sagt:
"Eine Zeitung, die so unappetitlich ist, dass man einen toten Fisch beleidigt, wenn man ihn darin einwickelt. "
Und bin froh, dass auch andere Leute das sehen. Zum Beispiel die Berliner Zeitung
Kommentare 24
Die Bedienung niederster Instinkte des "gesunden Volksempfindens".
Ja, wahrscheinlich würde ich auch in die tiefste Krise meines Lebens kommen, wenn meinen Mädels etwas angetan wird. Das wäre gar mit Sicherheit noch verständlich, leiden die dem Opfer nahestehenden Menschen unter Umständen nicht so viel weniger. Aber eine distanzierte Legislative, Exekutive und Judikative ist es doch, was unsere abendländische Leitkultur von Schurkenstaaten, vom Mittelalter, von Selbstjustiz bis Lynchmob unterscheidet, oder?
Hallo Magda,
bin selbst schon lange Schöffe und muss manchmal meine Urteile - ich habe das gleiche Stimmrecht wie der Richter - gegenüber der Außenwelt vertreten (natürlich mit Wahrung der Anonymität). Ich glaube, dass eine größere Öffentlichkeit zur Relativierung des "Volkszorns" beitragen könnte. Nur weiß ich nicht den rechten Weg. Zu öffentlichen Verhandlungen erscheinen meist Angehörige und Bekannte von Opfer oder/und Täter. Vielleicht reale Verhandlungen (nicht diese sämlichen Gerichts-Soaps) übertragen, damit "Volk" sich zu für und wider bei der Urteilsfällung ein Bild machen kann? Aber vermutlich ist Soap schöner als die Realität.
Zudem putschen Medien den "Volkszorn" gern in ihnen genehme Bahnen.
Dieter Nuhr
Es gibt einen sehr interessanten Essay von Astrid Springer für den Norddeutschen Rundfunk
"Verbrechensopfer im Strafprozeß - einmal Opfer, immer Opfer?" - (steht leider nicht meher online.)
"Im Strafverfahren dreht sich alles um den Angeklagten. Das Verfahren dient seinem Recht,
solange als unschuldig zu gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist. Hinter seinen Interessen
müssen die Interessen des Opfers zurückstehen.
Es kann nicht anders sein, weil es im Strafrecht und im Strafprozeß streng genommen nicht
einmal um den Angeklagten geht. Der Angeklagte steht deshalb vor Gericht und im
Mittelpunkt des Prozesses, weil er das Recht gebrochen und der Staat mit seinem
Gewaltmonopol den Anspruch an sich gezogen hat, diesen Rechtsbruch zu sühnen."
Das fand ich sehr erhellend, weil es klar macht, dass die Forderung nach Gerechtigkeit für die Opfer verständlich ist, aber im Grunde hinter der Sühne für diesen Rechtsbruch gegenüber dem Staat zurückstehen muss.
@ Nietzsche 2011 - Das Fernsehen könnte durchaus aufklärerisch wirken, aber da besteht kein Interesse mehr dran. Lieber Justitainment oder so.
@ mcmac - Doch, doch ich bin auch müde, meine Sachen werden immer kürzer. :-))
Danke für den Gruß.
.... nicht müde werden, liebe Magda:
je kürzer, desto würzer ;-))
Verehrte Magda, Ihr Blog ist in seiner Kürze von sehr grosser Aussagekraft. Ich stehe intellektuell den Ideen des Juristen Kurt Tucholsky sehr nahe. Das deutsche Rechtssystem basiert noch auf Bismarck's Junkerphantasien. Das materielle Gut wurde über die Unversehrtheit des Körpers, des Geistes und der Psyche eines Menschen gestellt. Daran hat sich nichts geändert. Unser Strafrecht ist Flickwerk und gehört schon längst generalüberholt. Gleichwohl muss von einem grundlegenden Missverständnsi Abschied genommen werden. Der Talar hat nicht zu strafen, das ist eine göttliche Anmassung. Der Staat hat nur die Bevölkerung zu schützen. Mehr nicht. Und dumme Sprüche von Halbgebildeten wie Schweiger bedienen nur die niedrigen Instinkte der Menschen.
Hallo Magda,
Astrid Springer vermasselt einen im Auftakt richtigen Gedanken komplett. Zitiere:
" ...weil es im Strafrecht und im Strafprozeß streng genommen nicht einmal um den Angeklagten geht. Der Angeklagte steht deshalb vor Gericht und im Mittelpunkt des Prozesses, weil er das Recht gebrochen und der Staat mit seinem Gewaltmonopol den Anspruch an sich gezogen hat, diesen Rechtsbruch zu sühnen."
Sprich: Um eine "Sühne", statt um den Angeklagten gehe es.
Da muß der Leser schon sinngemäß ergänzen, daß es um "Sühne" so gehen soll, daß "das Recht" geheilt, im Sinne von wiederhergestellt werden soll.
Und zwar, das ist der Witz, inclusive des "Unrechts"!!
Denn das kommt im Prozess genau SO vor, daß es auf seine Übereinstimmung mit dem Recht untersucht wird, die Weise also, wie eine Tat als Rechtsbruch gesetzlich codiert ist.
Daraus haben wir von der ehem. Rotz/MG geschlossen und in unserer Staatsableitung hingeschrieben (Reihe "Resultate", "Der bürgerliche Staat"), dem Recht, das die StaatsGEWALT setze, sei ein ZWANG zum Unrecht IMMANENT.
So geht die Ableitung richtig!
TomGard
@ TomGard - also mir hat sich das schon genau so erschlossen, wie Du es dann mit diesen Worten:
"Da muß der Leser schon sinngemäß ergänzen, daß es um "Sühne" so gehen soll, daß "das Recht" geheilt, im Sinne von wiederhergestellt werden soll."
Also: Ein Rechtsverstoß wird gesühnt und nicht das einem Angeklagten zugefügte Unrecht.
Den Rest habe ich mal wieder nicht verstanden.
Liebe Magda,
danke für diesen Blog, der mir aus dem Herzern spricht. Ich war auch sehr befremdet beim Ablick des Schweigert-Gesichts auf der Bild-Zeitung. Man verschone mich mit so einem gesunden Volksempfinden.
:(
Wir haben unsere Gesetze und Gerichte. Bei allen Fehlern, die die machen sind die mir noch 100.000 mal lieber als Bild.
Der Spruch mit dem toten Fisch ist gut und so passend in Bezug auf Bild.
Mir persönlich könen Schweigert-Filme bei so einem Typen auch künftig gestohlen bleiben , auch wenn ich bisher noch nie ein Fan von diesem im " gesunden Volksempfinden " denkenden Schauspieler!
Herzliche Grüße
por
Tja, liebe Magda, und Friede Springer und Döpfner sitzen als die Ausgeburten der geheuchelten Bürgerlichkeit und Hochmoral in der ersten Reihe und lassen Fernesehpreise verleihen. Und alles was Rang und Namen hat, kommt hin. Dann wird öffentlich-rechtlich ordentlich boulevardisiert und man selbst bekommt das ****.
Ich wollte aber was zu Deinem Blog-Eintrag sagen. Ich stimme Dir zu und der Link zur Berliner Zeitung war auch ein wenig genugtuend. Vielen Dank. In meinem "Todesstrafe für Kinderschänder?"-Blog habe ich vor längerer Zeit einmal versucht mich diesem schwierigen Thema zu nähern. Die Kommentare gaben einen Eindruck vom Volkszorn-Potential dieses Themas. Und "kluge" Politiker wissen das auch. Schröder, Guttenberg ... "Sexmonster", "Sextäter" und der kochende Volkszorn gehen immer - auch wenn sonst nichts mehr geht.
Schönen Polizeiruf heute abend und Sonntagsgrüße nach Berlin.
ne Magda
das strafverfahren heilt den rechtsverstoß, welcher darin liegt, dass der angeklagte sich über das staattliche gewaltmonopol hinweggesetzt hat
alles andere (sühne und genugtuung) ist nachrangig inbegriffen
so ist es gemeint
Sehr schön erklärt, Rahab. Genau so ist's.
Das Verfahren (wohlgemerkt: als solches; nicht das, was dabei herauskommen kann, nämlich die Strafe, denn als Betrafter kann es mir im Effekt nämlich egal sein, ob mich der Staat oder etwa die Sippe des Opfers bestraft) an sich verdeutlicht, daß der Strafanspruch exklusiv dem Souverän zusteht und niemandem sonst.
Deshalb gibt es bei der Selbstjustiz streng genommen zwei Geschädigte: einmal den, den man eigenmächtig verfolgt und der in Fällen von Selbstjustiz regelmäßig schlechter wegkommt, zum andern aber auch den Souverän, dessen exklusiven Strafanspruch man unterläuft und ihn darum betrügt.
Der Souverän gibt sich damit lupenrein zu erkennen als Erbe des antiken pater familias, bei dem es nicht anders war.
Der Lack ist ab. Jetzt stinkt die ganze Nazigesinnung wieder aus allen Ecken. Eine Generation lang war mal ein wenig Ruh. Jetzt verpesten sie wieder das Klima, diese Hygieneschweigler, die keinem Opfer helfen, aber neue Opfer finden werden. Vorher geben die keine Ruh, bis sie wieder alle möglichen Abweichler in ihre KZs und vor ihre Röntgenapparaturen stellen dürfen, um zu metzeln, womit sie meinen, eine heile Welt herzustatten, da ist es dann wurscht, wenn alles in Scherben fällt.
Himmelhergott, so habe ich es doch auch verstanden. Das hat mir an dem Springer-Essay ja auch sofort eingeleuchtet.
Die wesentliche Aussage bleibt auch, dass es nicht um den Angeklagten zuerst geht, sondern um dieses Faktum. Mal wieder übrigens kriege ich mit, dass der Wunsch nach nadelspitzenhafter Eindeutigkeit am Ende Einsichten wieder verhindert und alles verwässert. Die Welt ist kein Gerichtssaal.
@ j-ap - Ja, das habe ich auch verstanden. Wenn jemand Beiträge schreiben würde in Eurem Stil, Ihr würdet glatt unter Euch bleiben, wirklich.
"Die wesentliche Aussage bleibt auch, dass es nicht um den Angeklagten zuerst geht, sondern um dieses Faktum."
Welches "Faktum"?
Was Rahab und ich sagten, ist keine Präzisierung, sondern eine Zurückweisung dessen, was im Essay unklar insinuiert ist, was Du verstanden hast und was J-ap sinnig-fälschlich Rahabs Aussage verwässernd unterschiebt.
Sowohl Tat, wie Tatbeteiligte sind Material des Rechts, und nicht sein Gegenstand.
Sein Gegenstand ist einzig und allein die Souveränität in der Gestalt des Souveräns bzw. seines dazu bestallten Wesires, nämlich in der Form, wie ER sich auf die Taten RECHTSFÖRMIG bezieht.
(Das hat mit dem "pater familias" nahezu nichts mehr zu tun, dessen "Gerechtigkeit" wird nicht von ihm gesetzt - sonst ist er kein Pater sondern Despot - sondern ist ihm in Gestalt der Familienstruktur des gesellschaftlichen Lebens voraus gesetzt, weshalb er in Bewirtschaftung des Familieneigentums beständig "ungerecht" zu sein hat. Denn das Verhältnis der Familienglieder zu diesem Eigentum ist nicht abstrakt, sondern konkret, also auch individuell, und nicht personell nach dem Maßstab einer "gleichheit".)
Folglich ist die Beschwerde oder auch nur Klage, das Recht sei rücksichtslos (oder habe so zu sein) gegen die Tatbeteiligten, nicht nur gegenstandslos, sie ist eine BEBILDERUNG eines RECHTSIDEALS mit ausgerechnet einem derjenigen Phänomene, an denen der UNFUG, das ILLUSIONÄRE und nebenbei auch noch die PRODUKTIVITÄT der Unterwerfung unter ein Recht schlagend zu zeigen, statt wie hier, zu vernebeln ginge.
Für die verfesstigte Borniertheit des Rechtsbewußtseins kann ich und kann Rahab nichts, und weder meine noch ihre Formulierungen lassen ernstlich Raum für Unklarkeiten.
Weshalb sind Sie denn gleich eingeschnappt, liebe Magda? Meine Bemerkungen bezogen sich gar nicht auf Ihren Artikel — an dem gibt es nichts auszusetzen — sondern auf den Kommentar von Rahab.
achtung Magda
der plumpsack geht um!
»Das hat mit dem "pater familias" nahezu nichts mehr zu tun ...«
Doch, hat es. Und zwar nahezu vollständig.
Die Funktion des pater familias ist die eines (durch Tradition »gehegten«) Despoten, der nämlich gesellschaftserhaltend und abschließend setzen muß, was als Recht zu gelten hat. Deshalb stand auch ihm persönlich das Wergeld oder der Schadenersatz zu und nicht vorrangig dem Opfer oder seinen nächsten Hinterbliebenen, und die Verteilung des Schadenersatzes im familiären Innenverhältnis oblag ihm auch exklusiv.
Daraus entwickelte sich dann der Strafanspruch des Königs oder des Kaisers, jedenfalls des obersten Lehnsherrn, dessen Vasallen etwa die Halsgerichtsbarkeit nicht aus eigenem Recht wahrnehmen konnten, sondern als eine derivative Besorgung wahrnahmen.
Man kann das einsehen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das, was wir heute Staatsanwalt nennen, vor gar nicht so langer Zeit noch Fiscal genannt wurde: der Fiscal war derjenige Hofbeamte, der die Rechtstitel des Lehnsherrn verwaltete, deshalb vertrat er den Lehnsherrn auch in Prozessen, in denen es um die Verletzung dieser seiner Rechtstitel ging. Und dazu gehörte auch das Unterlaufen des Strafanspruchs.
ne
da ist der wunsch der vater des gedanken
liebe magda, ich kenne keine schauspieler, aber diesen laden desto besser.
danke für den pisperssatz.
Wisst's was?
Ich schreib jetzt gar nix mehr, dann müßt ihr euch wenigstens um diese Zumutung nicht mehr bekümmern.
Salve!
@ j-ap - "Ich schreib jetzt gar nix mehr, dann müßt ihr euch wenigstens um diese Zumutung nicht mehr bekümmern."
Das habe ich jetzt verstanden, weil es auch für mich leicht fasslich war. Aber - weiter oben habens ja schon angemerkt - mit mir hatte ja auch Ihr Einwurf gar nichts zu tun.
Auch Salbei (prussssssst)
@ Rahab - Bloß keine Selbstreflektion. :-))