Wer stört die Nachtigall?

USA-Literatur Harper Lees Roman über eine Kindheit im Süden der USA „Wer die Nachtigall stört“, erschien in den 1960er Jahren in der DDR und war nur als „Bückware“ erhältlich

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Die Autorin Harper Lee gewann den Pulitzer-Preis und schrieb mit "Wer die Nachtigall stört" einen weltweiten Bestseller
Die Autorin Harper Lee gewann den Pulitzer-Preis und schrieb mit "Wer die Nachtigall stört" einen weltweiten Bestseller

Foto: Chip Somodevilla/Getty Images

Ich war damals begeistert von diesem Buch. Ein ähnliches Leseabenteuer bereitete mir, wie vielen anderen, auch Jerome D. Salingers melancholische Erzählung über die Erlebnisse des jungen, verwirrten und tapferen Holden Caulfield im New York der Fünfziger Jahre „Der Fänger im Roggen“, die ebenfalls zu dieser Zeit erschien und auch nur über gute Beziehungen zu Buchhändlern zu erwerben war.

Bei Harper Lee war es die Kinderwelt von „Scout“, die eigentlich Louise heißt, und ihrem Bruder Jem, die immer realistisch erzählt wird und doch geheimnisvoll bleibt. Es war der harte Kampf ihres Vaters Atticus Finch, Rechtsanwalt in einer kleinen Stadt in Alabama, der einen der Vergewaltigung angeklagten Schwarzen verteidigt und dafür bedroht wird. Es ist der Alltag in einer Welt, die so fern der meinen war und in der ich doch immer wieder etwas entdecken konnte, was auch ich gut kannte. All das bewegte mich sehr und ich las das Buch in einem Zuge.

Die Lebensmaxime von Atticus:

„Du verstehst erst dann eine Person ganz, wenn Du die Dinge auch von ihrer Seite aus betrachtest, in ihre Haut schlüpfst und darin herumgehst“,

ging mir damals sofort ein. Ich las es auch als Mahnung und Trost in einer Gesellschaft, die Mitmenschlichkeit wollte, aber am Ende doch immer Unvereinbarkeit und Unversöhnlichkeiten predigte und – vor allem - Kompromisse verabscheute.

Auch die Annäherung an den stillen und befremdllchen Nachbarn Boo Radley, der die Kinder am Ende vor der Gewalt eines aufgehetzten Bürgers rettet, ist wunderbar erzählt und weckte meine Fantasie. Ich liebe dieses Buch auch deshalb, weil auch ich die größten Abenteuer der Seele und des Geistes im ganz normalen Alltag sehe und Autoren bewundere, die die vielen Gesichter dieses alltäglichen Lebens aufscheinen lassen.

Harper Lee hat danach - so schien es bis jetzt – kein weiteres Buch geschrieben. Ob es wirklich so ist, dass Truman Capote, der ebenfalls weltberühmte Autor – er kommt im Roman als der Nachbarsjunge Dill vor - einen Teil des Romans mitgeschrieben oder mehr als nur beratend mitgestaltet hat, weiß niemand. Aber, viele meinten, es sei schon ein Indiz, dass nach diesem Buch nichts Neues mehr kam. Jetzt aber – so wird berichtet - sei ein weiteres Manuskript von Harper Lee aufgetaucht, eine Fortsetzung von „Wer die Nachtigall stört“ . Es sei verschollen gewesen und jetzt wiedergefunden.

Eine seltsame Geschichte, die auch sofort berechtigte Skepsis weckte.

Harper Lee ist alt und lebt in einem Pflegeheim. Man sagt, jene, die sie bisher beraten haben, sind nicht mehr am Leben. Die Versuchung – über ihren Kopf hinweg – eine Fortsetzung zu etablieren, hat wohl mit viel Geld zu tun.

Man sollte mahnen: Stört die Nachtigall nicht.

Übrigens: Noch schwerer ins Gemüt fiel mir in den 60er Jahren Carson Mc Cullers Buch von der ewigen Suche nach Liebe, von Trauer und Sehnsucht: „Das Herz ist ein einsamer Jäger“. Noch heute krempelt es mir die Seele um, wenn ich das Buch wiederlese.

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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