Wikileaks und trickle down

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Ich hätte romantische Vorstellungen von der Mathematik, hat mir mal ein Mensch gesagt, der es wissen muss: Der Mathematiklehrer in der Abendoberschule nämlich. Ich habe mir das zu Herzen genommen und wenig berechnet in meinem Leben. Und manchmal kam dann auch wenig raus. Aber noch heute habe ich den Hang, romantische Schlüsse zu ziehen. Romantik hat immer was Vereinfachendes.

Kam mir gerade in den Sinn, als ich auf Telepolis den Beitrag las über die Reichen und ihr Verhältnis zur Vermögenssteuer in den USA.

Dass die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer - es ist bekannt. Eine Studie wird zitiert, nach der in den USA die Top 20 etwa 85 Prozent der Vermögen besitzen,die Vermögenswerte der unteren 40 Prozent aber gegen Null gehen. Und viele der unteren 40 Prozent haben sogar Schulden.

Steuern seien überhaupt kein Instrumentfür die Veränderung dieses massiven Ungleichgewichts in ein halbwegs akzeptables, betonen alle jene, die mehr Steuern zahlen sollen, weil sie halt so vermögend sind.

Steuern sind
unromantisch

Steuern kann man berechnen und es scheint, als hätten die Vermögenden überall auch romantische Vorstellungen über ihr Geld und seine Verteilung, wenn es denn schon sein muss. Oder sie verbreiten solche Ideen gern und meinen: Wenn man ihnen wenig Steuern berechnet, dann haben sie mehr Geld für ein Phänomen, das sich trickle down nennt und gern bemüht wird, wenn es um Segensreiches jenseits religiöser Handlungen geht.

Trickle down will sagen: Wenn die Reichen mehr Geld haben, dann können sie mehr tun für die Gemeinschaft. Zum Beispiel mehr Geld stiften statt stiften zu gehen mit ihrem Geld. Sie können dieKünste und die Bildung fördern, auch soziales Elend mildern, den Bedürftigen helfen. Wie schön und hilfreich: Romantisch eben. Aber steuerliche Forderungen stellen, das ist igitt. Eigentlich ist das fast schon sozialistisch, wenn nicht gar nationalsozialistisch. Barack Obama wird zum Hitlerbärtchenträger, wenn er solche Forderungen stellt. Steuern sind pfui.

Gewähren, aber
nicht abgeben

Es muss einfach in romantischen Unschärfen verbleiben, was jemand durchsickern lässt zur Gemeinschaft der weniger Besitzenden. Der Geldgeber kann das dann zu seinen Gunsten farbig ausmalen und präzisieren. Gewähren, Geben, nicht Abgeben, das ist die Denkweise von trickle down.

Und hier kommt Wikileaks ins Spiel: Ich wünschte mir ein "Trickle-down-leak". Eine Stelle, durch die das Geld einfach so fließt, ob die Besitzenden das wollen oder nicht.

Es bliebe dann kein Geheimnis, was sie mit ihrem Gelde tunes trickled öffentlich down. Schöner Gedanke. Aber eigentlichheißt die unromantische Form dafür: Steuergerechtigkeit.

Antwort auf trickle down
der Geheimnisse
?

Und jetzt kommt die Frage: Ist das nicht auch so mit Wikileaks? Eigentlich ist ja Wikileaks eine Art von Protestverhalten gegenüber dem trickle-down-Effekt im Geheimniswesen.

Denn: In dieser Weltgesellschaft wird nichts mehr direkt betrieben. Der ehemalige Botschafter Kornblum gestern bei Anne Will hat Recht: Indirekt ist vieles von dem, was jetzt über die Beurteilung deutscher Politiker gesagt wird, längst bekannt. Es tauchte – hier oder da - in den Medien auf. Es wurde der Öffentlichkeit in gut portionierten Dosen gestiftet, es sickerte kontrolliert durch. Trickle down der Geheimnisse. Wenn man über zu Guttenberg liest, dass er ein Freund der US-Amerikaner ist, dann ist das natürlich nichts Neues: Der ist gut verdrahtet mit den Amerikanern ein großer Atlantik-Brücken-Schläger. Wer lesen wollte, konnte das lesen. Aber durch Wikileaks wird all das, was eigentlich mehr so "durchsickern" sollte, auf einmal eine sprudelnde Quelle, die nicht nur Eingeweihten zur Verfügung steht. Das ist so ähnlich wie mit den Steuern. Es ist als gäbe es eine Geheimnisoffenbarungspflicht und das ist nicht wünschenswert.

Denn die Mächtigen bewahren ihre „unwürdigen Geheimnisse" (Ingeborg Bachmann) sorgfältig und sie wollen kontrollieren und bestimmen, wann sie sieunter die Menschen bringen. Und schon gar nicht wollen sie dazu gedrängt oder gezwungen sein, wie es mit den Stasiakten geschehen ist. Aber auch daraus wurde schnell wieder eine trickle down-Aktion. Bei Bedarf sickern lassen, sonst unter Verschluss halten oder ignorieren. Es bleibt dabei: Wenn alles offen liegt, dann sind Geheimnisse keine Waffe mehr. Geheimnisse sind eine Währung, die dosiert ausgegeben werden muss. Wikikeaks sind die Antwort auf die politische trickle-down-Praxis, denke ich. Eine Folge von Gerechtigkeitsempfinden in der Politik.

Aber, ich glaube, ja ich fürchte, ich habe auch romantische Vorstellungen von Wikileaks, so wie früher von der Mathematik. Meine Rechnung geht auch da nicht auf.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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