"Zu Regensburg auf der Kirchturmspitz"

DDR-Vergangenheit Die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit scheint eher ein Versuch sein, Aufreger zu produzieren oder Leuten was "am Zeuge zu flicken."

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Zu Regensburg auf der Kirchturmspitz',
Da kamen die Schneider z'samm. :|
Da ritten ihrer neunzig,
Ja neunmal neunundneunzig,
Auf einem Gockelhahn.

Heute war ich wieder beim Damenkränzchen singen. Einmal im Monat treffen wir uns und arbeiten uraltes, mittelaltes und neues Liedgut ab. Das ist sehr lustig. Singen schafft gute Stimmung, vor allem, wenn man sie heute auch noch mit einem Gläschen Sekt zusätzlich aufhellt.

Zum alten Liedgut gehörte heute "Zu Regensburg auf der Kirchtumspitz". http://ingeb.org/Lieder/undalsdi.html Das kannten nicht alle. Ich auch nur von ferne.

Eine unserer Mitsingerinnen erklärte stolz, sie kenne das Lied deshalb schon so lange, weil sie es im evangelischen Kindergarten gelernt hätte. In staatlichen Kindergärten sei es ja nicht opportun oder gar verboten gewesen. Energischer Widerspruch. Natürlich habe man das Lied mitsamt der verdächtigen Kirchturmspitze gesungen, nicht überall, nicht jedem Musiklehrer hat es vielleicht gefallen oder der kannte es nicht.

Verboten war es jedenfalls nicht. Außerdem, wenn ich dran denke, wie oft ich dieses entsetzliche "Polenmädchen" in der DDR gehört habe. Das hätten sie mal verbieten sollen.
Mir ging durch den Sinn, dass ein Rundfunkvolontär mal behauptet hatte, das Lied "Die Gedanken sind frei" sei in der DDR verboten gewesen. Das war es nicht. Ein solcher Quatsch läuft seit über zwanzig Jahren medial rauf und runter.

Ein neues Buch
mit altem Kram

Ich war heute morgen im Bett vergangenheitsmäßig ohnehin schon aufgeladen, weil ich Radio hörte. Gegenwärtig wird Angela Merkel durch die Mühlen gedreht. Da gibts ein neues Buch über sie "Das erste Leben der Angela M".

Und nun melden sich die Experten eifrig. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/2109402/

Z. B. der Deutschlandfunk. Da wird der Ost-Spezialist Klaus Schröder, von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur befragt. Diese Stiftung, die bei der Freien Universität angebunden ist, aber komplett aus Drittmitteln finanziert wird, ist wegen ihrer kurzschlüssigen Aussagen immer wieder in der Kritik. Egal, Schröder erklärt also der Moderatorin, was ein Sekretär für Agitation und Propaganda so für Aufgaben hatte und wie er selbst das einordnet. Es sei - da hebt er freundlich den Daumen - durchaus noch akzeptabel. Frau Merkel war eine Mitäuferin, schätzt er ein und erklärt: "Aber das blieb ja alles noch im für DDR-Verhältnisse vorpolitischen Raum".

Anpassung im
vorpolitischen Raum

Oha. Wo endete denn der vorpolitische Raum und wo begann der gefährliche, komplizenhaft-politische. Etwa zu Regensburg auf der Kirchturmspitz? Nee, da nicht. Ernst wurde es - so Schröder - beim Eintritt in eine Partei, in die SED oder eine andere Blockpartei." Woher nimmt der seine Definitionen? Politisch hat er offensichtlich wenig Ahnung. Das ist komisch, denn die West-CDU hat damals die Blockpartei CDU-Ost brüderlich und schwesterlich in ihr Herz geschlossen. Nur so hat 1990 die Allianz für Deutschland mit der CDU-Ost an der Spitze die Wahlen gewonnen. Und die CDU West hat bei gesamtdeutschen Wahlen später hervorragend von der vorhandenen Logistik der Blockpartei CDU profitiert.

Das alles aber erklärt Schröder der Moderatorin vom Deutschlandfunk nicht. Wäre auch unnötig, denn die ist in der DDR aufgewachsen, war in der FDJ, volontierte bei einer Zeitung der Blockpartei CDU und hat in Leipzig Journalistik studiert. Das wäre also schon über die Grenze nach dem Schröderschen Zentimetermaß. Ich weiß das alles, weil ich sie kenne und man kann es auch nachlesen. Schröder mahnt am Schluss ernst an, Angela Merkel solle sich bekennen zu ihrer Vergangenheit.Was soll der Unsinn? Was für eine Anmaßung. Seit zwanzig Jahren erklären uns Leute die Welt, die die DDR nur aus Akten kennen. Angela Merkel hat selbst mal in einem Interview gesagt, für das Thema interessiere sich niemand. Das stimmt. Die holen es nur aus der Kiste, wenn es gilt, jemandem ein Bein zu stellen. Das kennt man nun auch schon seit 20 Jahren medienbegleitete Aufarbeitung. Warum dies so ist, kann vielleicht Klaus Schröder erforschen und dafür mal Drittmittel beantragen. Übrigens: Wenn die Mitgliedschaft in einer Blockpartei schon über die Grenze ist, wie viel mehr ist es dann eine Maybritt Illner, die Genossin und FDJlerin war.
Das Buch über Angela Merkels DDR-Vergangenheit hat ganz untypische Unterstützer für die Kanzlerin auf den Plan gerufen. Gregor Gysi nennt das Ganze "Schwachsinn". Rainer Eppelmann meint, die Autoren hätten keine Ahnung vom Leben in der Diktatur Allerdings hat dieser West-Spezalist Schröder auch keine Ahnung davon. Ist ja auch egal.

Übrigens der Refrain vom Regensburg-Lied geht so:

Wi de wi de witt dem Ziegenbock,
Meck meck meck dem Schneider, :|
Hei ras sa, juch hei ras sa !

Das passt zum Mediengetöse. Das mit den Schneidern ist auch sehr aktuell: Es geht ja darum, Leuten was am Zeuge zu flicken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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