Zum Beispiel Leipzig-Engelsdorf

DDR-Kinderheime Heute abend sendet die ARD einen Beitrag über die kirchlich geführten Kinderheime in der DDR. Ich war mehrmals in solch einem Heim.

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In den fünfziger Jahren wurde meine Mutter - eine Nachwirkung der Haft in der Nazizeit – mehrmals schwer krank. Eine Herzgeschichte fesselte sie für lange Zeit ans Bett.

Mein älterer Bruder und ich wurden im Katholischen Kinderheim in Leipzig-Engelsdorf untergebracht. Beim ersten Mal muss ich wohl so um die vier oder fünf Jahre alt gewesen sein. Eine Mischung aus späterer Erzählung und eigener Erinnerung befördert ein Schaukelpferd ins Bewusstsein. Darauf wurde ich gesetzt und auf einmal war meine Mutter nicht mehr da. Sie erzählte später, man habe ihr geraten, unauffällig zu gehen, damit ich nicht hinter ihr her weine.

Mein Bruder war für eine Weile mit mir zusammen in diesem Heim, später aber in einer anderen, ebenfalls kirchlichen Einrichtung untergebracht, wo man auf die Erziehung von Jungen spezialisiert war. Als ich nach einer Weile wieder zu Hause war, blieb er in diesem Heim und verbrachte dort ungefähr ein Jahr. Als wir ihn besuchten, war er ausgeglichener und ruhiger und zugänglicher als er je zu Hause war. Später kam er trotzdem wieder nach Hause, weil meine Mutter es so wollte. Er wäre aber lieber in Wermsdorf geblieben. Es gab Probleme zwischen ihm und meiner Mutter. . .

Ich kam als Schülerin noch einmal nach Engelsdorf. Meine Mutter hatte zu ihrer Herzerkrankung schwere Rheumaschübe, die ihre Bewegungsfähigkeit stark einschränkten. Die Hände waren völlig verknotet und verkrümmt, auch das eine Haftfolge.

Wenn man die ganz normalen Kinderkümmernisse, das Heimweh und Streitereien untereinander nicht mitbedenkt, ging es mir dort recht gut. Ich war ein „braves“ Kind, ein Liebling der Erzieherinnen.

Vielleicht war das der Grund, dass auf meine kindlichen Einwände und Abneigungen Rücksicht genommen wurde. Ich mochte zum Beispiel keine Ziegenmilch und klagte, als ich diesen Ziegengeruch wahrnahm. Ab da bekam ich immer nur Kuhmilch. Man musste auch seinen Teller nicht leer essen und ähnliche Sitten. Es kann auch sein, dass ich ohnehin fast alles ohne Widerspruch aß. Ich hatte ewig Hunger als Kind und war klein und spillrig.

Ich erinnere, dass ich in der ersten Nacht andauernd mit der Nase schnüffelte, Da meldete sich die Schwester, die nachts bei blauem Licht da saß und fragte in strengem Ton, warum ich kein Taschentuch hätte. Am nächsten Morgen kam sie zu mir und drückte mir eins in die Hand.
Wir wurden sicherlich zu allgemeinem Gehorsam und Einhaltung von Regeln angehalten, aber es gab außer Ermahnungen keine gravierenden Strafen.

Schon vorher war ich in den Katholischen Kindergarten in Leipzig „Am Langen Felde“ gegangen. Den hat übrigens der DDR-Schlagerstar Frank Schöbel fast zur gleichen Zeit besucht, wie er in seiner Biographie erzählt. Dort war ich recht gern.

In Engelsdorf aber war ich traurig, weil die Mutter mir fehlte. Ich erinnere wie ich im dritten Stock auf der Bodentreppe saß, wo es ein ovales Fenster zur Straße gab und hoffte, dass meine Mutter diese Straße entlang käme und mich besuchte oder mich gar nach Hause holte. Manchmal sah ich, wie sie sich dem Haus in langsamen Schritten näherte, aber oft sah ich stundenlang auf die leere Straße. Sie lag im Krankenhaus. Es war traurig, ich war traurig, aber eine Kindertraurigkeit ist kein Trauma.

Heute abend sendet die ARD einen Beitrag über die kirchlichen Kinderheime in der DDR.

Die vergessenen Kinderheime

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Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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