Zu viel Ruhe in der Region?

Gesellschaftsspiele Der Philosoph Slavoj Žižek sieht momentan in Europa keine Wünsche zur Veränderung. Das ist ganz einleuchtend

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Vor der Düsternis der Welt zu warnen reicht vielen, meint Slavoj Žižek
Vor der Düsternis der Welt zu warnen reicht vielen, meint Slavoj Žižek

Foto: imago images/Agencia EFE

Es geht einem schon auf die Nerven. Sobald Leute mit öffentlichem Einfluss erklären, es ginge in Deutschland doch ganz gut, ertönt ein Schrei der Empörung und unterstellt dem Rufer oder der Ruferin, das sei böse, böse Beschönigung, was ja auch wieder stimmt. Nach wie vor gibt es viele Menschen in Deutschland, die Besseres verdient hätten, aber nicht verdienen.

Hat vielleicht Angela Merkel alles verdorben mit ihrer ständigen Ruhe, mit der Unauffälligkeit, die die Illusion des Nichtstuns vermittelt und unaufmerksame Gemüter zu der Idee verleitet, sie sei untätig. Sind wir merkelgeschädigt?

So tun als stünde der Umsturz bevor

Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass der Hang, die Dinge in Ruhe zu lassen, aber die Verhältnisse dennoch in allen öffentlich-medialen Plätzen laut zu beklagen, über Deutschland zu regieren scheint. Nur wenige wollen „Umstürze“ und wirklich profundere Änderungen. Aber sie wollen – meist ungefährdet – so tun, als stünde etwas bevor, das unbedingt eintreten muss.

Ganz so einfach ist es sicher nicht. Die allgemeine Empörung über politisches Versagen und die Entwicklung nach Rechts, das macht Sorge und mehr als das. Aber schon die grenzüberschreitende „Friday for Future"-Bewegung macht nervös. Solche, die sich wieder auf das Nationale beschränken wollen, weil nur so soziale Standards zu halten seien, sehen da die Grenzen ihrer eigenen Denkweise. Und das macht klar, worum es geht: Es soll alles so bleiben wie es ist. Und zwar hier in unserem Land. Entsorgt wird der Frust ins grenzüberschreitende Internet.

Besorgnis über den Zustand der Welt

Über die Grenzen hinweg betrachtet ist die Welt in einem besorgniserregenden Zustand. Darüber ist viel zu lesen und wird viel diskutiert. Aber, es scheint dennoch so, als wollten die Menschen die Ereignisse nicht wirklich „zum Tanzen bringen“, sondern eher Ruhe halten. Jene, die hierher kommen werden deshalb – auch von Linken – aufgefordert, sich zurück zu begeben und dort, wo sie hergekommen sind, für Ordnung – wahlweise auch Revolution – zu sorgen. Bloß nicht hier – mitten in den Sozialsystemen – für Unruhe sorgen, bloß nicht hier das Andere und Fremde etablieren. Es ist ja schon genügend davon da.

Motto: Der Kampf geht weiter Genossen, aber jeder bei sich und für sich

Slavoj Zizeks Diagnose

So ist das alles und drum tat es mir dieser Tage richtig gut, Slavoj Žižeks Diagnose zu dieser merkwürdig widersprüchlichen Entwicklung in der NZZ zu lesen. Die Grünen sind die Partei des status quo meint er und erklärt auch warum.

„(…) der mantrahaft wiederholte Satz, wonach die Bürger nach einer Änderung der politischen Verhältnisse verlangten, ist zutiefst trügerisch. Es gilt vielmehr die Devise: Manchmal müssen sich ein paar Dinge verändern, damit sich nicht wirklich etwas ändert.“, so Žižek.

Noch immer erweise sich Europa als Ganzes als ein Kontinent, in dem die Leute zu viel zu verlieren haben, als dass sie eine Revolution – einen echten Umsturz – riskieren würden. Sie wollen ein halbwegs ungestörtes Leben. Und keine permanente politische Mobilisierung. Kann ja sein, dass die Debatten um die Kungeleien um die EU-Präsidentschaft und andere Posten zwar lauthals beklagt werden, aber am Ende die so unbeliebte Konsenskandidatin von der Leyen sich doch noch – knapp durchsetzt. Mal sehen.

Unwürdige Geheimnisse die keine Folgen haben

Vielleicht hängt die ganze merkwürdig folgenlose Unruhe auch mit der Virtualität im Netz zusammen. Dinge werden bekannt, „unwürdige Geheimnisse“ sind im Netz nachzulesen. Aber, sie alle sind Berichte über Gewesenes, nichts wird bekannt über Zukünftiges. Alles was z. B. Wikileaks tut, ist Reaktion, nicht Aktion. Es ist wichtig, aber wofür eigentlich? Es ist doch alles eigentlich nur Bestätigung dessen, was ohnehin vermutet wurde über Machtausübung. Und nur hin und wieder haben Enthüllungen Folgen und eine Person wie Strache in Österreich ist politisch erledigt oder ein Präsident muss gehen, wie in den USA von einst.

Die Grünen passten in dieses Bild, meint Žižek, denn auch sie gäben den Leuten das Gefühl, etwas ändern zu wollen ohne wirklich etwas zu verändern.

Žižek bedauert das wohl auch nicht wirklich, eher kaschiert er seine Erleichterung mit ironischen Worten.

Die Linke hat keine wirklichen Ideen

Denn die Linke habe ohnehin keine Ideen. Sie kaschiere dies, indem sie sich an den Rechtspopulisten abarbeite. Allerdings sei der Populismus nicht die große Bedrohung, meint er. Langsam scheint mir das auch so.

Manchmal ist der „Kampf gegen rechts“, wie ihn manche Linke führen von einer Verbrüderung kaum noch zu unterscheiden.

„Was lernen Linke wie ich aus alledem?“, fragt Zizek sich und andere. „Hören wir auf, von der großen populären Mobilisierung zu träumen, und fokussieren wir auf die Veränderungen im Alltag. Der wahre Erfolg einer «Revolution» kann erst am Tag danach ermessen werden, wenn die Dinge sich normalisiert haben und klar ist, wie sie sich im Leben der gewöhnlichen Leute auswirken.“

Stimmt: Revolutionen sind ohnehin überschätzt, weil fast keine ohne „Konter“ auskommt.

Und manche pflegen den Traum von einer alles umstürzenden Befreiung fast so wie eine Glaubenslehre. Enthalten darin scheint allerdings auch die Furcht, es könnte dieser Traum wahr werden und alles einstürzen. Um Himmelswillen. Darum das Bestehen auf sicheren Grenzen. Und das Bestehen darauf, dass Zuwanderung nichts ist als ein mieser Trick - wahlweise der Neoliberalen oder auch der Soros-Gesellschaft oder was auch immer. Sie ist eine böse Heimsuchung im eigenen – noch halbwegs gesicherten – sozialen Heim.

Zizeks Vorschlag: „Eher gelte es für die Linke, Europa zu retten, um die Emanzipation zu bewahren. Das ist zweifellos nicht die große Revolution – aber es ist ein Ideal auf der Höhe der Zeit, das viele europäische Bürger zu Recht bewegt.“

Für Europa hat er ja Recht: Europa ist im Konservierungs-Modus und in Sorge. Es agiert aus seinem Zentrum auch schon im Bewusstsein, dass seine Kräfte nicht weit reichen. Nicht mehr und auch das ist gut. Was noch da ist, soll bleiben und da stören z. B. die Zuwander*innen sehr, weil sie an die Welt erinnern und den eigenen Anteil an deren Verelendung. Wenn in den europäischen Hauptstädten gekämpft wird, dann um Veränderungen und Verbesserungen, Entlastungen in einem prekärer gewordenen Leben und Alltag.

Uns geht es gut

Aber, es ist trotzdem so: Uns geht es gut, meinem Mann und mir. Wir sind nicht reich, wir sind aber auch nicht arm – vielleicht sind wir ja einfach nur bescheidene Leute. Wir sind untergebracht in einem Bau der städtischen Wohnungsbaugenossenschaft mit durchaus sozialem touch und erschwinglicher Miete. Nicht so richtig akut geängstigt, aber chronisch allgemein besorgt sind wir schon über die Entwicklung. Das geht vielen Leuten so, dass sie – noch aus verhältnismäßig gesicherten Verhältnissen – den Abgrund für nicht gar so entfernt halten.

Ich bleibe dennoch links. Was die Linke tut, ist ja auch recht unterhaltsam. Sahra Wagenknecht hat sich mit Wolfgang Joop getroffen und geplaudert. Ob es dabei auch um den Schnitt von Gelbwesten ging, weiß ich nicht. Aber Gesellschaftskritik ist schon hin und wieder ein Gesellschaftspiel und gehört zum "Lifestyle".

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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