Ästhetische Doppelexistenz

Ausstellung „Else Lasker-Schüler. Die Bilder“ in Berlin Für Else Lasker Schüler war die Malerei der Literatur ebenbürtig. Ihre Werke werden nun in Berlin ausgestellt

Die Mehrfachverwertung prominenter Künstler gehört zur Routine im Kulturbetrieb. Pianisten, die in ihrer Freizeit Aphorismen schreiben, werden ebenso bereitwillig zu „Multitalenten“ erklärt wie komponierende Maler oder malende Schriftsteller. Oft genug wird dabei Zweitrangiges in den Rang des Meisterwerks erhoben. Manchmal jedoch führen solche Entdeckungen ins Zentrum des künstlerischen Werks.

Else Lasker-Schüler, die sich selbst eine ästhetische Doppelexistenz als „Tino von Bagdad“ und „Jussuf, Prinz von Theben“ verlieh und mit orientalischer Kleidung angetan durch das Berlin der zwanziger Jahren spazierte, hat die Verwandtschaft von Bild und Schrift von Beginn an zum Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeit gemacht. Viele ihrer Gedichte und Prosabände, etwa der Lyrikband Theben von 1923 mit dem Untertitel Gedichte und Bilder oder der Prosaband Mein Herz, ihr 1912 erschienener „Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen“, enthalten Zeichnungen, Ornamente und Karikaturen, die mehr sind als Illustration. Vielmehr sind sie ebenbürtiger Bestandteil des Werks, dem sie gleichsam als persönliche Gaben der Autorin, als Sediment gestischen Ausdrucks in den Texten, beigefügt sind: Für Else Lasker-Schüler war es mehr als eine Metapher, ihre Bücher als „Geschenke“ zu begreifen.

In einer kleinen, beeindruckenden Schau im Hamburger Bahnhof vermittelt das Frankfurter Jüdische Museum nun in Kooperation mit der Berliner Nationalgalerie einen detaillierten Einblick in das bildnerische Werk der Autorin, in der illustrierte Erstausgaben und Faksimiles ebenso zu sehen sind wie Gelegenheitsarbeiten auf Zetteln oder Postkarten. Dass die Bilder und Zeichnungen Lasker-Schülers dennoch nicht von ihrem literarischen Werk losgelöst werden, gehört zu den Verdiensten der instruktiv kommentierten Ausstellung.

Zum Werk Lasker-Schülers gehörte auch ihr eigenes Leben, das von ihrer Kunst zu trennen sie sich stets geweigert hat. Die Scheichs, „wilden Juden“, Indianer und orientalischen Prinzen, die sich in ihren Texten und Bildern tummeln, sind ebenso wie die Figuren, zu denen sie sich und ihre Freunde stilisierte – Franz Marc wurde ihr zum „blauen Reiter“, Gottfried Benn zu „Giselher dem Tiger“ –, Teilnehmer eines Rollenspiels, das den Begriff der Rolle wie den des Spiels übersteigt. Kunst war für Lasker-Schüler, anders als für die Apologeten einer „Rückführung von Kunst Lebenspraxis“, gerade darin dem Leben ähnlich, dass sie sich auf gesellschaftliche Praxis nicht reduzieren lässt. In diesem Aspekt ist die Affinität ihrer ornamentreichen Bilder zum Ästhetizismus begründet, die ebenso auffällig ist wie die Anleihen bei der kontrastreichen Farbgebung der expressionistischen Malerei.

Allerdings unterscheiden sich ihre Arbeiten vom Ästhetizismus durch ihren emphatischen Rekurs auf Kitsch und Kolportage. Wo der Ästhetizismus allenfalls unfreiwillig zum Kitsch werden kann, inszeniert Lasker-Schüler ihre Arbeiten als Produkte einer gleichsam autonom gewordenen Kolportage-Fantasie, wenn sie mit Tusche und Kreide auf billige Materialien wie Postkarten oder Goldfolie zeichnet, oder die Körper ihrer Figuren mit Sternchen verziert. Insofern ist die Schau ein dankenswertes Kontrastprogramm zum Exotismus einer Frida Kahlo. Hier wird keine regressive Sehnsucht inszeniert, sondern der Traum von einem schöneren Leben, das nicht von dieser Welt ist.

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