Schon die Wortwahl sollte aufhorchen lassen: „Weltreligion“, das klingt irgendwie nach Weltmusik und Ehtnokitsch. Außerdem hat der Begriff einen altbackenen Unterton. Populär war er in den frühen Jahren der alten Bundesrepublik. Die beiden christlichen Kirchen – die Kollaboration der katholischen mit den Nationalsozialisten war ein offenes Geheimnis – sahen sich damals unter dem Druck der von Konrad Adenauer ausgerufenen deutsch-jüdischen „Versöhnungspolitik“ gezwungen, ihr antijüdisches Image zu verbessern. Obwohl sie mit Luther einen antijüdischen Gelehrten als Ahnen verehrten, fiel den Protestanten dieser Läuterungsprozeß recht leicht, weil ihnen die Unbedingtheit der theologischen Wahrheitsfrage längst abhanden gekommen war. Die Katholische Kirche dagegen konnte sich erst 1965 mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil dazu durchringen, sich von ihrem Antijudaismus zu distanzieren und den „interreligiösen Dialog“ zum schützenswerten Gut zu erklären. Auf dem Weg zu diesem „Dialog“ wurde der Begriff der „Weltreligionen“ dank der diffusen Toleranz, die er atmet, fester Bestandteil ökumenischer Ideologie.
Segregation
Wenn einer der renommiertesten deutschen Verlage heutzutage gleich einer ganzen Abteilung den Titel „Verlag der Weltreligionen“ gibt, muß das aufhorchen lassen. Die große Zeit der Ökumene ist vorbei, und die Friedens- und Ökobewegung, die ein beliebtes Betätigungsfeld für ökumenische Pfarrer waren, gehören der Geschichte an. Daher scheint die so betitelte Reihe, deren erste Bände im Herbst 2007 erschienen sind und die mittlerweile mehr als siebzig Titel herausgebracht hat, ein besonderes Bedürfnis zu bedienen. Zumal das Wort bei der Gestaltung des Verlagsprogramms ziemlich streng genommen wurde. Max Weber, der den Begriff in seiner Religionssoziologie zum ersten Mal trennscharf verwendet hat, verstand unter „Weltreligionen“ alle überregional verbreiteten Religionen, die mit einem universalen Wahrheitsanspruch antreten, über eine breite Anhängerschaft verfügen und aktiv um Gläubige werben. Aus diesem Grund wird das Judentum, das keine Missionierung kennt, meist nicht zu den „Weltreligionen“ gezählt. Weber selbst rechnet es lediglich wegen seines kulturellen Einflusses auf die übrigen Religionen dazu. Als „echte“ Weltreligionen gelten ihm nur das Christentum, der Islam, der Hinduismus, der Konfuzianismus und der Buddhismus. So bestätigt und rechtfertigt der Begriff der „Weltreligionen“ die verbreitete Überzeugung vom Sonderstatus der jüdischen Religion und vom angeblich tief verwurzelten Segregationsbedürfnis der Juden.
Genau diese unnötige Teilung hat Ulla Berkéwicz’ Haus mit Einrichtung des „Verlags der Weltreligionen“, der sich an Webers Begriffsdefinition orientiert, institutionalisiert. Traditionell gliedert sich das Verlagsprogramm des Hauses in drei Abteilungen: den Suhrkamp Verlag, den Insel Verlag und den Jüdischen Verlag.
Bürgerlich im besten Sinne
In dieser Gliederung kommen die Geschichte und die geistigen Ursprünge des Verlags zum Ausdruck. Suhrkamp selbst verkörpert die Parteinahme für die klassische Moderne und die Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Mit Walter Benjamin, Theodor W. Adorno, Leo Löwenthal und anderen sind in seinem Programm die wichtigsten Repräsentanten des säkularisierten, kosmopolitischen Judentums in Deutschland vertreten. Ihre Präsenz bedeutete die Anknüpfung an eine Tradition, die durch Nationalsozialismus und Exil aus dem Gedächtnis getilgt worden war, und war fester Bestandteil des im besten Sinne bürgerlichen Selbstverständnisses des Verlags. Insel dagegen steht, wie der ebenfalls bei Suhrkamp untergebrachte Klassiker Verlag, für die Pflege und moderate Popularisierung der europäischen Nationalliteraturen.
Der Jüdische Verlag, 1902 gegründet, von den Nazis zerschlagen, 1958 wieder aufgebaut und 1990 dem Hause Suhrkamp eingegliedert, widmet sich als Kontrapunkt zum jüdischen Kosmopolitismus eher der Rekonstruktion innerjüdischer Traditionszusammenhänge und hat dem deutschen Publikum neben Autoren der jüdischen Moderne hebräische und israelische Dichter nahegebracht. Eben diese Dreigliederung ist durch die Etablierung des „Verlags der Weltreligionen“ zerschlagen worden: Der Jüdische Verlag steht nun als kurioser Appendix neben den „Weltreligionen“, in deren eigenen Reihen das Judentum ein Schattendasein fristet.
Umso heller erstrahlt der Glanz der Weltreligionen, der dem Publikum auf den Covern der Reihe in billigen Goldlettern entgegenfunkelt. Der Eindruck, daß es sich hierbei mehrheitlich um luxuriös aufgemotzte Weltanschauungsschnäppchen handelt, täuscht leider nicht. Pünktlich zum vergangenen Buchmesse-Schwerpunkt „China“ etwa brachte der Verlag unter anderem eine Biographie des Konfuzius und eine „umfassende Einführung“ über „Chinas Götter“ auf den Markt, deren Titel Wohlstand, Glück und langes Leben beispielhaft für den Lebensratgeberjargon ist, dessen sich die Verlagsmacher befleißigen.
Seit Ende vergangenen Jahres neu im Angebot sind außerdem ein ökumenischer Kalender mit „Festen und Feiertagen der Religionen der Welt“ sowie ein von dem Publizisten Peter Kemper herausgegebener Band mit dem Titel Wozu Gott?, der die „Rückkehr religiöser Phänomene“ in der „postsäkularen Gesellschaft“ anhand von Phänomenen wie „Cyberchurch“ oder „Neurotheologie“ beschreibt. Andere Bände widmen sich unter Titeln wie Religion – Segen oder Fluch der Menschheit? und Wie kommt Gott in die Welt? der Fortsetzung jenes „interreligiösen Dialogs“, der heute, als Beweis für die unbedingte „Dialogbereitschaft“ des Islam, auf ganz anderem Gebiet erneut gute Dienste leisten soll.
Freilich wäre der „Verlag der Weltreligionen“ kein Suhrkamp-Produkt, wenn er nur etwas simple Weltanschauungen im Programm hätte. Sein Kernstück sind eine Reihe aufwendig produzierter, religionsphilosophischer Abhandlungen, deren Zusammenstellung und Gestaltung man nicht anders denn als Abschied vom säkularen, religionskritischen Selbstverständnis des Verlagshauses verstehen kann, das seinerseits eine Fortsetzung der skeptisch-rationalistischen Traditionen des Judentums gewesen ist.
Das aufklärerische Licht von Religionskritik und Religionsgeschichte, für das im Jüdischen Verlag die Werke Gershom Scholems stehen, ist im „Verlag der Weltreligionen“ kaum zu erkennen. Stattdessen stößt man auf akribisch editierte „Dogmatiken“, auf Predigtsammlungen und Spruchweisheiten wie die christliche Apologie Gegen die Heiden des im 4. Jahrhundert lebenden Athanasius von Alexandria, auf die Dialoge des Hindu-Heiligen Shri Ramakrishna, auf eine Edition buddhistischer und tibetanischer Maximen, auf Sammlungen von Texten des indischen Vedismus, der Upanischaden und des Neokonfuzianismus. Jüdische Quellen fehlen fast völlig, die Tradition des aufgeklärten Christentums ist mit Friedrich Schleiermacher oder Karl Barth partiell vertreten, verschwindet jedoch weitgehend hinter einem Wust diverser Ismen: Shivaismus, Averroismus, Jainismus, Daoismus, Vedismus, und so weiter.
Die philologische Gewissenhaftigkeit, die die meisten dieser Sammlungen prägt, sollte die Frage nicht unterdrücken, wozu all das eigentlich gut sein soll, wer sich über einen kleinen Kreis von Altphilologen und Theologen hinaus dafür interessiert und welches Bedürfnis sich in solcher Begeisterung für spirituelle Spezialitäten anmeldet. Es dürfte das gleiche verbreitete Bedürfnis sein, das sich in der Rede von der „postsäkularen Gesellschaft“ ankündigt und das Ulla Berkéwicz in ihrer im gleichen Hause erschienenen Schrift Vielleicht werden wir ja verrückt eine Orientierung in vergleichendem Fanatismus“ zumindest sanft kritisiert hat: der Wunsch, nach dem Zerfall der großen theologischen Dogmen nicht etwa als freie, vernünftige Menschen zu leben, sondern in einem der zahllosen Antidepressiva, die der postmoderne Grabbeltisch bereithält, die Lösung der eigenen kärglichen Probleme zu finden. Bedauerlich nur, daß Berkéwicz’ Kritik an diesem neuen „Fanatismus“ des Glaubens im Verlagsprogramm selbst eher eine Ausnahme bleibt.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.