Kein Glück nicht nur im Osten

Heimatklänge Warum "Volksmusik" wie die von Bernd Begemann keine Chance auf Massenwirksamkeit hat

Fremdenfeindlichkeit kann man der deutschen Popmusik nicht vorwerfen. Im Gegenteil wird sie seit der Neugeburt des Schlagers aus dem Geist des Wirtschaftswunders von einer grenzenlosen Begeisterung für alles Exotische befeuert. Mit der Sangesfreudigkeit des Pauschaltouristen hat das deutsche Schlager-Ich seit den fünfziger Jahren jeden denkbaren Landstrich zur Kolonie seiner Lustbarkeiten gemacht. Während lokalpatriotische Refrains wie "Kreuzberger Nächte sind lang" der proletarischen Subkultur vorbehalten blieben, schweifte der halbgebildete Kleinbürger in die Ferne. Dort entdeckte er jene Gefühle wieder, deren Abreaktion ihm seit 1945 verboten war: "Griechischer Wein" war ihm "das Blut der Erde", dessen Beschwörung daheim inopportun schien; Einwanderer wurden mit "Eine Reise in den Süden ist für andre schick und fein, / Doch zwei kleine Italiener möchten gern zu Hause sein" begrüßt; das Bild vom Rotarmisten als Massenvergewaltiger konnte lange vor Ende des Kalten Krieges durch "Lasst uns noch Wodka holen, hohoho!" ersetzt werden. Auf diese Weise hat der deutsche Schlager die Männerfreundschaft zwischen Schröder und Putin vorbereitet.

Beim Besingen des Fremden ist es nicht geblieben. Mit der ökonomischen Stabilisierung der bundesdeutschen Unterhaltungsindustrie wuchs seit den sechziger Jahren auch das Selbstbewusstsein ihrer Exponenten, so dass man sich, als musikalisches Gegenstück zum Sarotti-Mohr, zunehmend um fremdländische Hofnarren und Haremsdamen bemüht hat. Der tragikomische Erfolg von Gestalten wie Roberto Blanco, Mireille Mathieu und Nana Muskouri wäre wohl nur als Teil einer Geschichte des popkulturellen Kolonialismus der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft zu verstehen. Vor diesem Hintergrund ließen sich verblüffende Analogien zwischen Dieter Thomas Hecks Hitparade, der Expansion des Neckermann-Tourismus und der Karriere eines Reinhard Mey herstellen. Letzterer, der mit sauber artikuliertem Sexismus wie Annabelle die Herzen sich liberal dünkender Spießer erobert hat, nennt als Vorbild Georges Brassens.

Doch das Bedürfnis der deutschen Schlagerkultur, die eigene Mittelmäßigkeit durch Rückgriff auf fremde Qualitätsware aufzupolieren, hat nicht nur Unerquickliches hervorgebracht. Die Königin der Trash-Folklore ist France Gall, deren unfreiwillige Komik unübertroffen ist: "Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte, / So soll er aussehn, der Mann, auf den ich warte." - "Er ist Wassermann und ich bin Fisch. / Darum bleibt bei uns die Liebe immer frisch." Man musste bis zu den frühen Erfolgen des Berliner Duos "Stereo Total" warten, um Lieder zu hören, die derart offen den Qualitätssprung zwischen deutschem Text und französischem Akzent, zwischen Piefigkeit und Charme einbekannten. Die mechanische Redundanz, die im Schlager wie das launige Vorspiel zum Pogrom klingt, kippt bei Gall um in ein absurdes Zerrbild massenkultureller Normierung.

Der von Gall popularisierte Trash-Schlager à la A Banda, in dem der multikulturelle Provinzialismus eines Udo Jürgens auf seine banale Grundlage zurückgeführt wird, war indes nur mehrheitsfähig, solange er von europäischen Zaungästen intoniert wurde, die onkelhaft belächelt werden konnten. Das spielerische Verhältnis zur eigenen Blödheit, das sich in solchen Liedern kundtat, blieb allenfalls Bestandteil der Subkultur. Insofern finden sich die wahren Erben von Komponisten und Textern wie Michael Holm oder Christian Bruhn, die Galls deutsche Karriere gefördert haben, im Milieu der Blödelbarden. Die Gattung des Nonsense-Liedes, die Ende der Siebziger mit Ulrich Roski, Schobert Black und Insterburg Co eine Hochzeit erlebte, bekannte sich zu jener Banalität, die der Schlager seinem Publikum nicht eingestehen wollte. Der früh verstorbene Roski hat Klassiker wie I´m a lonesome rider oder Hoch schlug die Gischt geschaffen, die nicht nur Schlagerparodien sind, sondern gerade wegen ihrer sinnfreien Komik auch als "Volkslieder" funktionieren. Er hat dafür die Quittung erhalten und ist Ende der achtziger Jahre im musikalischen Nichts verschwunden.

Ob Bernd Begemann Ulrich Roski kennt, wäre eine popgeschichtlich interessante Frage. Die ebenso ironische wie im besten Sinn affirmative Variante der Volksmusik, die Begemann sowohl mit seinen eigenen Nummern wie als Texter vertritt, erscheint in vieler Hinsicht als Fortsetzung der Blödel-Folklore, obwohl deren Authentizität mittlerweile durch den konformistischen Nonsense eines Stefan Raab arg bedroht wird. Während viele Vertreter der "Hamburger Schule", als deren Vorläufer Begemanns frühe Band Die Antwort oft gehandelt wird, zu Repräsentanten popkulturellen Nationalstolzes avanciert sind, hat Begemann sich im Abseits gehalten, um an seiner eigenen Verbindung von Nonsense und Folklore arbeiten zu können. Insofern ist er der ideale Filmkomponist für Schröders wunderbare Welt, wo alle Begemann-typischen Themen versammelt sind.

Verbindendes Motiv des Films ist die Kolonisierung des Fremden als Spielwiese völkischer Omnipotenzphantasien. Symbol dafür ist die Idee eines "völkerverbindenden" Jagdfestes im "Dreiländereck" von Deutschland, Polen und Tschechien, ihr popmusikalisches Analogon sind die Ferienschlager der Sechziger, in denen sich Multikulturalismus und Provinzialismus verbinden. In diesen Dunstkreis gehören im Film die Idee des Freizeitparadieses "Lagunenzauber" und die Vorliebe von Schröders Vater für türkische Saunen: Je enger der Horizont, desto größer die Faszination für fremdländische Folklore. Autochthonen Urdeutschen wie Schröders Onkel Wigbert, der auf Wiedergewinnung der polnischen Ostgebiete hofft, geht selbst das zu weit. Auf der anderen Seite kennt der Film die lustvolle Hingabe ans Banale, in deren Zusammenhang Begemanns Musik mit ihrer Nähe zu Naivpop und Karaoke zum Einsatz kommt. Eben darin liegt der Kern von Begemanns Ästhetik: Es geht nicht darum, die popkulturelle Vereinnahmung des Fremden fortzuschreiben oder satirisch zu entlarven. Statt dessen wird das ihr zugrunde liegende Entlastungsbedürfnis ernstgenommen und von nationalistischen Schlacken gereinigt.

Begemann, der sich als Kind eines vermutlich türkischen Vaters und einer deutschen Mutter gut in die derzeitige Mode deutsch-türkischer Comedyshows fügen würde, weigert sich, seinen ethnischen Hintergrund als Witzmaterial zu verwenden. Dennoch ist die schiefe, dilettantische, anti-ideologische Variante von "Volksmusik", die er vertritt, kaum denkbar ohne die Erfahrung, auf unbestimmte Weise zwischen verschiedenen Kulturen situiert zu sein. Bei Begemann führt dieses Gefühl nicht, wie es dem multikulturellen Mainstream gefiele, zu programmatischer Parteinahme für die "Fremden", sondern zu einer ihrerseits populären, eingängigen Verfremdung alles "Urwüchsigen". Nicht indem man sie verhöhnt, sondern indem man ihre Hohlheit eingesteht, wird man der folkloristischen Sehnsucht gerecht: In dieser Einsicht trifft sich Begemanns Musik mit Trash-Pop im Stile France Galls, und in ihr liegt wohl der Grund, weshalb die Deutschen, für die Volkstümlichkeit und Selbstironie unvereinbare Größen sind, sich für seine Musik auch künftig nicht massenhaft werden begeistern können.


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