Schluss mit lustig

Witz Harald Schmidt, der Meister des verstörenden Humors, geht in den Vorruhestand. Damit endet eine Epoche der Komik
Ausgabe 35/2020

Zu den prägendsten Eindrücken der Harald-Schmidt-Show, die erstmals von 1995 bis 2003 auf Sat 1 ausgestrahlt wurde, gehörte das Gefühl, dass hier täglich ein gut vorbereiteter, gewissenhafter und pflichtbewusster Bürger zum Dienst antrat, dessen Aufgabe in seinem Fall nicht in der Beratung von Bankkunden, sondern in der Unterhaltung seines Publikums bestand. Angetan mit einer bunten, aber nie grellen Kombination aus Anzug, Krawatte und Herrenhemd, mit immer etwas zu locker sitzender Kassenbrille, auf seinem Schreibtisch Telefon, Stifte und ein Heft für Notizen, neben sich einen auf Zuruf verfügbaren Assistenten und hinter sich eine Fototapete mit dem Blick über das nächtliche Köln, wo die Show aufgezeichnet wurde, vermittelte Schmidt Zuschauern, Gästen und Mitarbeitern den Eindruck von Kompetenzen, die im Show-Betrieb der Bundesrepublik wenig angesehen waren: Sachlichkeit, Kälte und Professionalität.

Dass er aus diesem Grund von Beginn an entweder abschätzig oder mit staunender Bewunderung als Zyniker bezeichnet wurde, sagt mehr über den deutschen Unterhaltungsbetrieb als über Schmidt selber aus. Der Vorwurf, sein Format sei von Late Night with David Letterman abgekupfert, der Schmidts Sendung von Beginn an begleitete, zeigt das beispielhaft. Dass Unterhaltungskultur sich nicht aus den Erfindungen einzelgängerischer Genies speist, sondern Originalität in diesem Gebiet sich in der gelungenen Variation etablierter Muster ausdrückt, diese von Schmidt beherzigte Grundregel des US-Show-Betriebs provozierte im Heimatland von Eigentlichkeit und Authentizität zwangsläufig den Vorwurf des Amoralismus.

Unvollendete Pointen

Durch die gewissenhafte Übertragung des amerikanischen Show-Formats in die deutsche Fernsehunterhaltung schuf Schmidt innerhalb seines Wirkungsbereichs tatsächlich etwas Originäres: Die Weigerung, mit dem Publikum emotional auf Tuchfühlung zu gehen, ihm nach dem Mund zu reden, seine politischen Vorurteile zu bedienen oder sonst wie jene synthetische gute Laune zu erzeugen, die in Deutschland bis dato als Voraussetzung für Massenwirksamkeit galt, brachte einen völlig neuen Ton ins deutsche Fernsehen.

Bei Schmidt wusste das an den überkommenen Reiz-Reaktions-Schemata geschulte Publikum zum ersten Mal überhaupt nichts mehr: ob er links oder rechts war; ob er die Zuschauer, Gäste und Mitarbeiter veralberte oder ernst nahm; ob er sich selber ernst nahm oder eine Rolle spielte oder beides; ob er ein einstudiertes Programm abspulte oder improvisierte. Die beständige Beiseite-Kommunikation mit der Mitarbeiterin Suzana, die die Karten mit der Reihenfolge von Schmidts Performances hochhielt und im Laufe der Zeit immer stärker in die Show eingebunden wurde, machte deutlich, dass für Schmidt zwischen Professionalität und Spontaneität nie ein Gegensatz bestand. All das ließ ihn in Deutschland nicht nur ungewöhnlich, sondern beunruhigend erscheinen. „Manchmal machst du mir Angst“ und „Manchmal bist du mir unheimlich“, sagt Manuel Andrack, der Redaktionsleiter der Harald-Schmidt-Show, der in ihr als Schmidts Sidekick fungiert, immer wieder und durchaus ernsthaft zu seinem Chef.

Der Eindruck des Unheimlichen, der zuvor im deutschen Show-Betrieb bestenfalls als unbeabsichtigte Wirkung der Banalität seiner Produkte aufkam, verband Schmidt mit anderen Künstlern, die fast gleichzeitig mit ihm bekannt wurden und die alle außerhalb des Mainstreams begannen, um diesem dann später einen anderen Charakter zu geben: darunter Helge Schneider und Christoph Schlingensief, Piet Klocke und Charlotte Roche. Sie alle waren bei Schmidt zu Gast, ohne dass sie eine Gruppe gebildet hätten. Sie alle haben sich seit der Jahrtausendwende so unterschiedlich entwickelt, dass von einer stilistischen Gemeinsamkeit kaum gesprochen werden kann.

Was sie dennoch verbindet, ist die Tatsache, dass ihre Fähigkeiten als Entertainer mit einer Form von Komik einhergingen, in der Satire, Parodie, Pointen und eine auf Lacher fokussierte Kommunikation mit dem Publikum zwar nicht unwichtig wurden, aber eine neue Funktion einnahmen. Was bei Helge Schneider die ostentative Infantilität, die zerfasernde Pointe und das Schwanken zwischen Verlorenheit und Irrsinn und bei Piet Klocke die Nullpunkt-Rhetorik ist, die jede sich abzeichnende Geschichte durch Gestammel, Fahrigkeit und fehlgelenkte Redseligkeit versanden lässt, das ist bei Schmidt die Kunst der willkürlich abgebrochenen Pointe und der Verbindung von Erwachsenheit und zweckfreiem Spiel.

Dass bis heute zahlreiche Witze aus der Harald-Schmidt-Show als Beweise für Schmidts Frauenfeindlichkeit, Polenfeindlichkeit und überhaupt für seine Verstöße gegen die politische Korrektheit kursieren, zeugt von einem Missverständnis seiner Komik. Anders als Schmidteinander, die von 1990 bis 1994 vom WDR produzierte Vorgängersendung der Harald-Schmidt-Show, in der Schmidt mit Herbert Feuerstein auftrat und in der tatsächlich Witze nachgespielt wurden, wird das Witzeerzählen in der Harald-Schmidt-Show selber zum Gegenstand einer seltsam windschiefen Komik. Schlechte Witze werden falsch oder gute nicht zu Ende erzählt, und wenn das Publikum eine Pointe nicht versteht, markiert ein eingeblendeter Jingle das als „Saure-Gurken-Witz“.

In späteren Ausgaben der Show und erst recht in den von 2004 bis 2014 zunächst von der ARD, dann wieder von Sat 1 und schließlich von Sky produzierten Nachfolgeformaten, werden das Witzeerzählen und andere Reste von Stand-up-Comedy immer mehr zugunsten einer Komik zurückgedrängt, die eher an die für Schmidts Bühnenkarriere wichtigen Figuren Samuel Becketts erinnert. In den besten Shows dieser Art existiert das Prinzip der Pointe überhaupt nicht mehr, stattdessen wird die zur Verfügung stehende Zeit damit verbracht, alltägliche Lebenssituationen („Im Supermarkt“, „Auf dem Kinderspielplatz“, „Essen im Zug“) nachzuspielen und gleichzeitig dieses Spiel zu kommentieren.

Der abweichende dramaturgische Umgang mit der zur Verfügung stehenden Zeit verbindet Schmidt ebenfalls mit Schneider, Klocke und anderen, die ihm nahe waren. Die Zeit wird von all diesen Entertainern nicht mehr im konventionellen Sinn erfüllt oder dramaturgisch gestaltet, sondern entweder durch repetitive Handlungen totgeschlagen, durch Phasen von Leerlauf unterbrochen oder für scheinbar sinnlose Tätigkeiten genutzt. Wenn Schmidt, Andrack und der Bandleader Helmut Zerlett mit der Französin Nathalie, die für die Show unter anderem von den Filmfestspielen in Cannes berichtete, eine halbe Stunde lang „Rate den Zug“ spielen (Nathalie steht an einem Bahngleis, sagt, wann ein Zug kommt, und Harald, Manuel und Helmut müssen raten, um welchen Typ es sich handelt), wird die lineare Zeit nur noch als Wiederholung eines spielerischen Rituals und nicht im Sinne einer Comedy-Dramaturgie ausgefüllt. Ähnliches findet sich in den frühen Sendungen, die Charlotte Roche für Viva moderierte und in denen die Gespräche mit den Gästen einen auf Abschweifungen beruhenden Verlauf nahmen, statt Informationen über Karrierepläne, Klatsch und Tratsch zu liefern. Noch in den frühen Filmen von Schlingensief, die sich an trashigen Splatter-Filmen orientieren, um deren Spannungsdramaturgie zu zerstören, findet sich ein vergleichbares Prinzip.

Der Zerfall der Freiheit

Ähnlich sind sich all diese Formen von Komik darin, dass sie nicht im üblichen Sinne lustig sind. Komisch sind sie in einer anderen Bedeutung des Wortes: Sie stören den erwarteten Ablauf, erscheinen merkwürdig oder beruhigend. Damit sind es Zeugnisse aus einer Zeit des deutschen Fernsehens kurz nach der Wiedervereinigung, in der als Reaktion auf die Neustrukturierung des öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehens für ein paar Jahre lang eine Mischung aus Mut, Überforderung und Sorglosigkeit herrschte, die es ermöglichte, dass im Fernsehen Künstler wichtig wurden, denen man zuvor im besten Fall ein Nischensegment eingeräumt hätte. Mit der Konsolidierung des vereinigten Deutschlands und seinem immer größeren politischen Selbstbewusstsein war diese temporäre Freiheit dahin. Dass Schmidt nun auch seine Spiegel-Kolumne, sein letztes Forum in jener Öffentlichkeit, aufgibt, ist eine Konsequenz jenes Zerfalls.

Magnus Klaue ist freier Autor und seit 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur in Leipzig

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