Marlen Haushofers Roman Die Wand ist durch die in die Kinos gekommene Verfilmung von Julian Pölsler als Fibel des Feminismus wiederentdeckt worden. Dabei war er schon zur Zeit seiner Entstehung von gestern.
„Ich schreibe nicht aus Freude am Schreiben; es hat sich eben so für mich ergeben, dass ich schreiben muss, wenn ich nicht den Verstand verlieren will. Es ist ja keiner da, der für mich denken und sorgen könnte. (…) Ich rechne nicht damit, dass diese Aufzeichnungen jemals gefunden werden. Im Augenblick weiß ich nicht einmal, ob ich es wünsche.“
In diesen Worten der namenlosen Ich-Erzählerin aus Marlen Haushofers 1963 erschienenem Roman Die Wand glaubten schon in den siebziger Jahren Fans progressiver Bekenntnisliteratur den authentischen Ausdruck weiblicher Subjektivität zu erkennen.
Frauen, so die dort vorherrschende Meinung, können keine anderen Gründe für ästhetische Produktion haben als Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit und drohenden Wahnsinn. Wer weiblich war und „aus Freude“ schrieb, war verdächtig, Frauen hatten sich zu ihrem Opferdasein zu bekennen, um sich emanzipieren zu dürfen.
Aus dieser Haltung erklärt sich der frühe Massenerfolg ungleich komplexerer Romane wie Die Glasglocke von Sylvia Plath oder Ingeborg Bachmanns Malina ebenso wie die damalige Unpopularität von Elfriede Jelinek oder Gisela Elsner, deren Sarkasmus den Identitätsfeministen zu kalt und deren Spott über das eigene Geschlecht ihnen unsolidarisch schien.
Kälber und Kätzchen
Heute jedoch, da Jelinek zur Vorläuferin der Genderlinken und Elsner zur gesamtdeutschen Polit-Ikone neutralisiert worden sind, kann die Stricklieselfraktion des deutschen Feminismus widerspruchslos rehabilitiert werden. Die in den österreichischen Wäldern aufgewachsene Tochter einer Kammerzofe und eines Revierförsters, die während des Zweiten Weltkriegs Arbeitsdienst in Ostpreußen leistete, einen Arzt heiratete, zwei Kinder großzog, aber Wert darauf legte, dass ihr Schreiben „kein Hobby“ sei, ist für diese Renaissance prädestiniert.
Haushofers Roman, dem Gerücht zufolge eine tiefgründige Parabel, ist in Wahrheit ein Beispiel für den Umschlag von Vieldeutigkeit in Banalität. Wie in einem Kafka-Abklatsch findet sich die Heldin eines Tages in einer von einer unsichtbaren Wand umschlossenen Gebirgslandschaft wieder. Die Menschen sind verschwunden, sie muss sich von den Früchten des Waldes ernähren und nimmt sich einer Katze und einer trächtigen Kuh an. Einen Mann, der plötzlich auftaucht, um ihre Tiere zu töten, erschießt sie. Das Buch schließt allerdings nicht pessimistisch, sondern mit der Hoffnung, dass ihre Tiere einst junge Kälber und Kätzchen werfen.
Regisseur Julian Pölsler gelingt es in seinem Film, in einer Gratwanderung zwischen Hans-Christian Schmid und Hedwig Courths-Mahler alle Aspekte der Geschichte hervorzuheben, die Marlene Haushofers mediokre Prosa vor 40 Jahren zum „verkannten Meisterwerk“ avancieren ließen: Anklänge an pausewangsche Öko-Apokalypse mischen sich mit erdigem Agrarfeminismus, kinderfreundlicher Tierrechtspropaganda und Klagen über die transzendentale Obdachlosigkeit.
In besseren Zeiten wären solche Events von feministischen Gruppen gesprengt worden, heute gelten sie als Zeugnis eines fortschrittlichen Bewusstseins. Allzu gut passen sie zu einem „Postfeminismus“, der die Nähe von Frauen und Tieren lobpreist und unter dem Label Critical Crafting das Häkeln als subversive Kulturtechnik entdeckt.
Magnus Klaue rezensiert regelmäßig für den Freitag
Kommentare 3
Eine interessante Arbeit über den Film: http://www.zefg.fu-berlin.de/media/pdf/monografienBruens.pdf
Die Rezension macht auf mich nicht gerade den Eindruck, als hätte der Autor sich mit dem Film auseinandergesetzt. Vom Roman mal ganz abgesehen. "Die Wand" als feministische Fibel zu bezeichnen, halte ich für eine völlig abstruse, verfehlte Einschätzung. (Warum denn ausgerechnet eine Fibel? Habe ich echt verpasst, dass Haushofer eine pädagogische Handlungsanweisung zum Denkenlernen geschrieben hat, oder ist die Bezeichnung wirklich so falsch, wie sie mir vorkommt?) Vielleicht war's ja nur zugunsten der Alliteration - sei's drum.
Die Stricklieselmetapher finde ich jedenfalls fast ein wenig beleidigend, der Auszug aus der Biographie der Autorin ist so unsachlich wie unangemessen, da passt es irgendwie allzu gut ins Bild, dass der Name der Autorin auch noch falsch geschrieben wird; die Einschätzung, das Ende sei optimistisch und die Aussage banal, wird meiner Ansicht weder Film noch Romanvorlage gerecht. Ich habe nichts dagegen, auch mal einen gut begründeten Verriss zu lesen, aber so, wie hier argumentiert wird, ist das wirklich nicht besonders unterhaltsam.
Aber Herr Magnus Klaue, mal richtig von Mann zu Mann:
Kann es sein, dass Ihr Text aus ihrem Problem mit der Nähe zu Tieren entstanden ist, insbesondere zu trächtigen Kühen, und darüber hinaus auch noch aus einem tiefsitzenden Ressentiment gegen Stricklieseln? Liege ich richtig? Wenn ja – Sie ressentimentieren zu Unrecht.
Lassen Sie es Ihnen von einem richtigen Eisenhansel gesagt sein: Ohne Stricklieseln entgeht Ihnen Lebensfreude, ja –ich sage es gerne- es entgeht Ihnen noch viel mehr: es entgeht Ihnen Mannesfreude!
Wenn Sie nämlich mit der Liesel oben den Faden stricken, kommt unten zeitversetzt was raus: bunt, weich und zart – ein unsagbar beglückendes Erlebnis in spätmodernen Zeiten. Sie erzielen Effekte! Sie bewegen was! Versuchen Sie es! Schreiben Sie mir, wie es Ihnen erging! Und falls Sie keine Liesel haben, hier können Sie eine für risikolose 1,49 Euro (!) plus 0,90 Euro Versandkosten erwerben:
http://www.ebay.de/sch/i.html?_trksid=p5197.m570.l1311&_nkw=strickliesel&_sacat=0&_from=R40
Viele Grüße, Wolfgang Ratzel – MANN und begeisterter Strickliesl-Hansel und Marlen-Haushofer-Leser -
Kontakt: wolfgang.ratzel@t-online.de