Tristesse und Katastrophe

Klangteppich Wie PeterLicht im Abgrund politischer Melancholie versumpft

Melancholie und Gesellschaft" lautet der zum Bonmot avancierte Titel einer den Geist der 68er vorwegnehmenden Studie des Sozialwissenschaftlers Wolf Lepenies. Darin attestiert dieser, vor allem am Beispiel des 18. Jahrhunderts, den deutschen Intellektuellen eine habitualisierte Neigung zum resignativen Eskapismus, als deren Komplement sich ihre Vorliebe für politische Utopien verstehen lasse. Als selbstbewusste Bürger, denen die richtige Praxis verstellt gewesen sei, hätten sie bereits zu Zeiten, als sich in Frankreich ein revolutionäres Bürgertum als realpolitische Option abzeichnete, den Weg in die Innerlichkeit angetreten. Auf dem befänden sie sich noch heute - also damals, vor den Hochzeiten von APO und SDS.

Heutzutage lässt sich Lepeniesens Arbeit im Grunde nur noch historisch lesen, denn die Bürger scheinen genauso ausgestorben zu sein wie die Intellektuellen, die sich allenfalls noch als Hanswurste des Medienbetriebs von Buchmesse zu Buchmesse reichen lassen. Der Autor und Musiker PeterLicht, eine Art deutscher Thomas Pynchon, wenn auch mit geringerem Papierausstoß, reagiert auf diesen beklagenswerten Zustand scheinbar radikal, indem er sich der bildbewaffneten Mediengesellschaft mit scheuem Konservatismus entzieht. Fotos existieren von seinem Gesicht ebensowenig wie Filmaufnahmen, bei seinen Auftritten müssen die Kameras ruhen, und als er bei Harald Schmidt gastiert hat, durfte nur sein Rücken ins Bild kommen. Ein wenig erinnert diese aufdringlich inszenierte Abwesenheit der eigenen Person an den früheren Botho Strauß, der die neuen Medien als Kloake verdammte, für seine eigene Dichterexistenz die "Höhle unter dem Lärm" reklamierte, im Laufe der Zeit allerdings derart viele Fotos von der eigenen publikumsabgewandten Pose schießen ließ, dass sein sprödes Antlitz dem Spiegelleser vertrauter sein dürfte als das von Paris Hilton.

Irgendwie ist also auch die ostentative Öffentlichkeitsscheu inzwischen zu einer abgeschmackten Angelegenheit geworden, so dass, wer auf dieser Welle reitet, einiges an Reflektiertheit aufbieten muss, um durchzudringen. PeterLicht reagiert darauf, indem er mit dem Titel seiner neuen CD explizit Wolf Lepenies zitiert, dem er im Booklet außerdem seinen Dank ausspricht, und sich auch sonst mit allerlei verbalem Kraftaufwand auf die mittlerweile selbst aus melancholischer Distanz betrachteten intellektuellen Vordenker der bundesdeutschen Protestjahre bezieht. Die Beschwörung von Geist garantiert jedoch nicht dessen Anwesenheit, umso weniger, wenn die Musik, die den Liedern untergelegt ist wie ein flauschiger Teppich dem Designermobiliar, eher an Wellness-Kurse als an Exerzitien intellektuellen Trübsinns erinnert. Vorherrschend ist, weit stärker als in den vor zwei Jahren erschienenen Liedern vom Ende des Kapitalismus, ein postromantisches Klaviergetröpfel; das Temperament bleibt, von wenigen, schnell wieder verebbenden Ausbrüchen abgesehen, auf Mittelmaß gestimmt. Weil auch die Stimme von PeterLicht alles andere als geheimnisvoll klingt und sich kaum für abwechslungsreiche Modulationen eignet, ist die akustische Seite der Sache schnell zu vergessen.

Bleibt die sprachliche Dimension der Lieder, die ja - Melancholie und Gesellschaft, Ende vom Kapitalismus - offenbar politisch und gesellschaftskritisch sein sollen. Hier stellt sich PeterLicht in die deutsche Tradition eines naiven Vertrauens auf die diskursive Sprache, die unmittelbar rüberbringen soll, was formsprachlich und musikalisch nachzukonstruieren zu anstrengend ist. Was sich bei Ton Steine Scherben noch als jugendliche Lust an verbaler Unmittelbarkeit goutieren ließ, wird im Zeitalter postmoderner Melancholie zum lustlosen Sinnieren über eine ebenso allumfassende wie diffuse Lähmung, die als gesellschaftliche kaum mehr gedacht werden kann und darum das eigene Artikulationsvermögen blind befällt: "Manchmal frag ich mich/wie weit wir noch gehen sollen/und ob noch jemand mit uns kommt/und aus welchem Wurmloch wir dann rauskommen wollen/in welchem Jenseits wir jetzt schon sind/und ob wir nicht eher stehen geblieben sind".

Solch tiefschürfende Fragen haben sich auch schon die forciert schwermütigen Dauerjugendlichen in Judith Hermanns Erzählungen gestellt, und eine Artwort zu suchen, war ebenso müßig. Judith Hermann aber ist wenigstens nicht auf geschmäcklerische Polemik verfallen, wie PeterLicht es tut, wenn er in wohlfeiler Manier über die mediale Entsorgung des geschichtlichen Gedächtnisses räsoniert ("Vor dem Schlafengehen noch etwas Holocaust und dann ab in die Bubumaschine"), sich in mild satirischer Geste an die "Medienschaffenden" und "Werbeschaffenden" mit der nicht besonders frischen Bitte wendet, "nie mehr Sexualität" zu zeigen, oder sich in seinem Trennungslied ("Klausi trennt sich von Bipsi/Babsi von Hans/Berta trennt sich von Pelle/Berti tritt an die Stelle") in niemanden schmerzender Weise über ein Milieu lustig macht, das - weil es so uninteressant ist - für keine Witze taugt.

Interessanter als die Lieder von PeterLicht ist ein schmales Bändchen mit dem Titel Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends, das einen kurzen, apokalyptisch grundierten Text und filigrane Zeichnungen enthält. Dort tritt in den Mittelpunkt, was der schale Duktus der Musik zurückhält: dass nämlich hinter der luxuriösen Tristesse, die PeterLicht angesichts des vermeintlichen Niedergangs aller gesellschaftlichen Utopien verbreitet, die ganz und gar unmelancholische Sehnsucht nach einer umfassenden Katastrophe steht, die einmal gründlich Tabula Rasa macht. Die Erzählung, die mit dem Satz "Es geht mir gut" anhebt und endet, hangelt sich in beiläufig palaverndem Duktus durch allerlei Elemente eines konturlosen Mittelstandsalltags. Die werden in immer wieder leicht variierten Formeln penetrant wiederholt, um dann in ein erdbebenähnliches Untergangsszenario umzuschlagen, das kryptisch als "Vergeltungsschlag" bezeichnet wird - ein Motiv, das in den Liedern wiederkehrt -, und, als wäre nichts passiert, zirkelförmig in der scheinhaften Ruhe des Beginns zu enden.

Hier wenigstens wird ansatzweise deutlich, welche destruktiven Energien hinter der Fassade gelangweilter Melancholie und erfahrungsloser Larmoyanz stecken können, für die PeterLichts Lieder nur Symptom sind. Die Beschwörung der eigenen Belanglosigkeit und der Leere gesellschaftlichen Lebens im Allgemeinen - wie sie nicht nur in der neudeutschen Popliteratur, sondern auch in Filmen der so genannten Berliner Schule und eben im deutschen Lied betrieben wird - ist nicht einfach Zeichen von Talentlosigkeit oder ästhetischer Verödung. Vielmehr sehnt sie sich nach einer Katharsis, die keinen Stein auf dem anderen lässt und endlich Schluss macht mit der kollektiven Lethargie. Solchen Sehnsüchten gegenüber wäre die Wahlverwandtschaft von Melancholie und Utopie, die schon Lepenies allein als Krisensymptom zu entziffern vermochte, unbedingt zu verteidigen.

PeterLicht Melancholie und Gesellschaft. Motor Music 2008, und Lieder vom Ende des Kapitalismus. Motor Music 2006.

Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends. Hamburg, Blumenbar 2008

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