„Wenn wir jetzt schon kapitulieren, wo soll uns das hinführen?“

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Vorgestern lief im Ersten der Film „Zivilcourage“. Götz George spielt darin den Alt-68er Peter Jordan, welcher in einem Berliner Problemkiez, wo er seit 30 Jahren lebt, ein Bücherantiquariat führt, umringt von Hartz-4-Empfängern, Migranten, Gewalt und Gangs.
In Jordans heiler Welt, wo er zwischen alten Möbeln Tee trinkt, wird Jazzmusik gespielt, auf der Straße und bei den Jugendlichen, die vor seinem Laden herumlungern, ertönt deutscher Rap: „Willkommen in meiner Welt voll Hass und Blut!“

Eine von ihnen ist die Schülerin Jessica, die ihre Projektwoche in Jordans Antiquariat antritt. Nicht aus Interesse, sondern wegen der Nähe zur Wohnung, in der sie mit ihrer überforderten Mutter und zwei kleinen Geschwistern lebt. Die Kommunikation zwischen Schülerin und Antiquar verläuft dementsprechend vorerst schlecht.
Jordans Tochter Monika ist mit Mann und Kleinkind just aus dem Problemkiez gezogen, fort in eine „saubere Gegend“, was dieser ihr mit altlinker Attitüde vorwirft: „Wenn jeder immer nur wegläuft, wird sich nie etwas ändern.“ Mit Jessicas Projektwoche glaubt er, einen ersten Schritt getan zu haben.

Während Jordan bisher die Gewalt um sich herum Dank vergitterter Fenster und dicken Schlössern ausgesperrt hat, befindet er sich plötzlich mittendrin, als er abends auf Jessica und ihren Freund Afrim trifft. Ein aus dem Kosovo immigrierter Jugendlicher, der gerade einen Penner verprügelt. Jordan geht dazwischen und rettet so dem Penner das Leben, später identifiziert er Afrim auf einem Polizeifoto und zeigt ihn an.

Es folgen Gewaltandrohungen von Seiten Afrims Bruder Dalmat, einem gebildeten, als Soldat hart gewordenen Mann, der im Krieg zusah, wie die Eltern umgebracht wurden und der nun als Hartz4-Empfänger im Supermarkt Regale auffüllt. Drohungen nicht nur gegen Jordan, sondern auch gegen Monika, die ihrem Vater klarzumachen versucht, dass er diese Menschen im Kiez nicht durch seine Brille sehen dürfe, weil sie anders denken, anders fühlen und andere Wertvorstellungen haben.
Er will nicht hören, dass man sich mit ihnen nicht anlegt: „Der Junge ist 16 und hat einen Mann halbtot geschlagen. Wenn wir jetzt schon kapitulieren, wo soll uns das hinführen?“

Monika bittet Jordan mehrfach, die Anzeige zurück zu nehmen, aber dieser vertraut nach wie vor auf die Polizei und überlegt, ob es vielleicht anders gekommen wäre, wenn sie beide früher gehandelt hätten. Doch die Tochter hat den Kiez längst aufgegeben und benennt ihn als unrettbar. Jordan schlägt vor, dann könne man gleich eine Mauer um Berlin-Neukölln bauen oder Hamburg-Wilhelmsburg, Frankfurt-Sossenheim und München-Hasenbergl.
„Das ist mir so was von scheißegal!“ antwortet sie. „Lieber Mauern, als dass meiner Tochter irgendwas passiert.“ Vergeblich versucht Monika ihm zu erklären, dass jemand, der Konservendosen im Supermarkt auffüllen muss, nicht mehr viel zu verlieren hat, dass Dalmat nur noch seinen Bruder hat und seine Ehre und Jordan ihm beides wegnehmen möchte.

Bald wird Jordans Freund Klaus, mit dem er kurz zuvor noch bei Rotwein die Probleme im Kiez analysiert hat, von Dalmat verletzt. Klaus, der immer an vorderster Front gekämpft und jedem Wasserwerfer ins Auge geblickt hat, möchte nicht sein Leben und das seiner Frau aufs Spiel setzen und bittet Jordan nun ebenfalls, die Anzeige zurück zu ziehen. Dieser schaltet stattdessen die überstundengeplagte Polizei ein und kontert, er und Klaus haben doch damals nichts riskiert, außer vielleicht einen Schnupfen.

Erst nachdem Jordan selbst von Afrims Gang krankenhausreif geschlagen und so von Jessica gefunden wird, die längst nicht mehr weiß, auf wessen Seite sie eigentlich steht, knickt Jordan ein. Aber bevor er handeln kann, kommt es zu erneuten Gewaltausbrüchen, wird seine Enkeltochter bedroht und er besorgt sich eine Waffe. Dabei hatte er kurz zuvor noch kluge Worte rezitiert, als er Jessica eine Ausgabe von Romeo und Julia schenkte: „Mehr als das Blei in den Gewehren, hat das Blei in den Setzkästen die Welt verändert.“

Afrim, der kein Verständnis für Jessicas Kontakt zu Jordan und ihre Entfremdung hat, macht ihr klar, wohin sie gehört: „Die wollen nix mit uns zu tun haben und wir nix mit diesen Wichsern, diesen Scheißdeutschen!“ Als sie erwidert, dass sie auch deutsch sei, sagt er, sie sei aber Teil des Kiezes und gehöre somit zu ihnen. Dass Jordan auch Teil des Kiezes sei, lässt er nicht gelten und verdeutlicht seiner Freundin den Unterschied: „Er haut irgendwann ab, wie all die anderen auch, und dann sind nur noch wir da.“

Jessica spricht mit ihrer Mutter darüber, dass sie so nicht mehr leben möchte, und diese bringt es auf den Punkt: „Gestern kam so eine Serie über Leute, die auf einer Insel festhängen. Bei uns ist das genauso. Unsereins kommt hier nicht raus.“ Auf Jessicas Frage, wie ihr das dennoch gelingen könne, rät ihr die Mutter zum Schulabschluss.

Und so kommt es zu einem Finale, in dem Jordan seine Waffe zieht und deutlich macht, dass er sich den Ort, an dem er seit 30 Jahren lebt, nicht zerstören lässt und jeder etwas zu verlieren habe, machten alle einfach so weiter. Jessica entscheidet sich für die „Guten“ und die „Bösen“ werden mit ihrer Hilfe verhaftet.

So großartig der Film ist, das Spiel der Darsteller, die Zeichnung der Personen, die Dialoge, so wenig konnte ich mich mit dem Ende anfreunden. Zivile Waffengewalt und Selbstjustiz als Lösung für die gesellschaftlichen Probleme in all den Problembezirken Deutschlands dieser Art?

Aber zeigt eben nicht genau dieses Ende die Zerrissenheit auf, in der man sich befindet, so man die naheliegenden Möglichkeiten in Betracht zieht? Wie agierte man selbst, befände man sich in solch einer Situation? Was macht man, wenn man aus humanistischen Gründen ganz klar nicht mit Waffen agieren kann und will, aber eben auch nicht davonlaufen möchte und somit um sein Leben bangen muss? Wie fühlt man sich, wenn man sich auf vermeintlich sichere Größen wie Polizei und Justiz nicht mehr verlassen kann? Wie ist das, wenn man Dinge verändern will, aber niemand einen lässt? Und gilt nicht eben dieser Satz auch für die andere Seite? Wieso gibt es überhaupt Seiten, ja fast so etwas wie Stammeszugehörigkeiten, die das Miteinander, die Konflikte auf archaische Kämpfe herunterbrechen, in denen sich selbst der Bürgerliche bewaffnet.

Was ist, wenn man nicht kämpfen mag? Ist es feige, davonzulaufen, die Menschen mit ihren Problemen sich selbst zu überlassen und an anderer, heiler Stelle ein neues Leben anzufangen? Darf man sich seiner Verantwortung so entziehen, oder hat man gar keine? Oder hat man eben gerade eine gegenüber seinen Kindern? Kann der Staat noch helfen und wenn ja, wie?

Viele Fragen, die ich hier in die Runde stelle und eine davon auch in der Politikarena:

Urbane Problembezirke: Gibt es realistische Lösungsansätze, die zwischen Davonlaufen und der Gewaltspirale liegen?

Der Film wird am Samstag, den 30.01. noch einmal auf EinsFestival gezeigt und hält inhaltlich noch mehr als die oben beschriebenen Szenen bereit.
Der Sender ist leider nicht überall zu empfangen, aber wer nichts dagegen hat, auch einmal einen Film am Monitor zu schauen, dem empfehle ich, sich kostenlos bei Zattoo anzumelden, wo man im Browserfenster alle öffentlich-rechtliche Sender gucken kann.

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Nachtrag am 30.01.

Scharfenroth hat „Zivilcourage“ ebenfalls gesehen und einen Text dazu geschrieben. Der Film suggeriere geradezu, dass sich unsere Gesellschaft sputen muss, wenn sie die Dinge überhaupt noch beherrschen, geschweige denn zurechtrücken will und Scharfenroth moniert, dass nichts über den Film im Netz zu finden ist.

So möchte ich hier immerhin auf die passende Sendung von Deutschlandradio Kultur verweisen, in dem sich der Kommentator ein härteres, Ende mit weniger Konsens wünscht, damit das Thema schmerzhafter im Bewusstsein bliebe.

Eine klassische Kritik gibt es bei der FAZ, in der es um Handwerkliches und Glaubwürdigkeit und nicht um die Fragen geht, die der Film in Bezug auf die Realität aufwirft. Ohne Kunstfertigkeit wäre der Film „bloß eine bebilderten Sozialstudie oder aber zu einem empörten Problemfilm“ geworden.
(Wobei mir nicht ganz klar ist, was an bebilderten Sozialstudien und empörten Problemfilmen so schlimm ist.)

SPON titelt reißerisch Opa greift zur Wumme. Und sowohl hier also auch beim Text in der Welt habe ich die Kommentare durchzulesen, in der Hoffnung, Antworten auf meine Fragen zu finden.
Dem war nicht so. Im besten Fall wurde es begrüßt, dass der Film gezeigt wurde, weil ja endlich etwas passieren muss. Im schlimmsten Fall wurden fragwürdige Vorschläge gemacht oder sich lediglich um sich selbst gedreht oder, die Komplexität der Problematik außer Acht lassend, einzig nach der Polizei gerufen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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