Das Schöne und die Biest

Badeschiff Berlin Ein Vormittag an einem idyllischen Ort - getrübt lediglich durch die Anwesenheit einer grässlichen Barfrau

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Das Schöne und die Biest

Foto: S. R.

Müde sitzen wir am Sonntagmorgen um halb acht in der Ringbahn, um den angeblich heißesten Tag des Jahres angemessen zu würdigen. In einer halben Stunde öffnet in der Nähe vom Treptower Park das Badeschiff – ein in die Spree eingebettetes Schwimmbecken.
"Ach, ist das nicht das Bad, in dem in Tykwers Film Drei Devid Striesow Sebastian Schipper einen runterholt?" wurde ich bereits im Vorfeld gefragt. Na danke für die Info.

Dort angekommen finden wir keine Kasse und stapfen deshalb sofort durch den Sand, der gerade noch von der nächtlichen Party gereinigt wird, in Richtung Liegeflächen und Becken.

"Na wollt Ihr etwa nicht bezahlen?" ruft uns eine Frau Anfang zwanzig hinterher, die rechter Hand vor der Bar herumsteht und mit einem jungen Mann herumalbert, der augenscheinlich noch nicht geschlafen hat und durch dessen Blutbahn mindestens Alkohl strömt. Wir stellen uns in einer Reihe vor ihr auf – und warten.

Um die Ecke kommen ein paar blasse Menschen, die bis eben noch auf einer Party waren und debil grinsen. "Kommta bezahlen?!" ruft die Frau auch ihnen zu, doch sie gehen einfach weiter. "Na denkt Ihr, ich sag' das zum Spaß?!" brüllt sie.
"Aber wir gehören doch zu dem dazu." sagen sie und zeigen auf den jungen Mann, der vor ihr steht.
Sie legt ein wenig den Kopf schräg, tut als würde sie nachdenken und lässt die Gruppe gönnerhaft auf das Gelände – um sich anschließend sofort wieder mit dem jungen Mann zu unterhalten.

Wir warten.

"Können wir jetzt mal bezahlen?" sagt S. ungehalten und die Biest lässt sich dazu herab, ihr ein Ticket zu verkaufen. Danach unterhält sie sich wieder. 'Wow', denke ich und rede mir gut zu, denn wenn ich sehr müde bin, verfüge ich nur über wenig Contenance. "Hahahaha. Hihihihi." plänkelt die Biest und ich fuchtele mit dem Geld vor ihr herum, bis ich endlich bezahlen darf.

Die Zartheit des Tagesbeginns

Schimpfend okkupieren wir ein paar Liegestühle, nur zwei drei Menschen schwimmen im türkisfarbenen Becken umher, über das sich das Licht der aufgehenden Sonne legt. Ich mag die Zartheit des Tagesbeginns, wenngleich er mir lieber ist, wenn ich noch wach bin.

Vor mehr als zehn Jahren habe ich einen Sommer lang auf einer Mittelmeerinsel in einer Bar gearbeitet. Nach jeder anstrengenden Nacht saßen ein paar Kollegen und ich auf den Klippen über dem Meer und tranken Alkohol, der uns beruhigen sollte. Erschöpft haben wir dann den Sonnenaufgang betrachtet, um anschließend schlafen zu gehen. Mit jedem Tag verschoben sich die Uhrzeit und auch die Stelle, an der sich die Sonne erhob, ein wenig. Niemals jedoch ließ meine stille Begeisterung für dies morgendliche Ereignis nach. Die nach jener Zeit erlebten Sonnenaufgänge im Freien kann ich an einer Hand abzählen und keiner war je wieder so schön gewesen. Der heutige Morgen löst jedoch eine ähnliche Euphorie aus.

Die Anlage ist überraschend einfach, lediglich Holzplanken dienen als Liegefläche und es gibt simple Umkleidekabinen. Als S. von dort zurückkehrt, schnauzt die Biest sie an: "Hey, willste etwa einfach so hier rein?", woraufhin S. ihr erklärt, dass sie eben schon Eintritt bezahlt habe. "Aha, soso. Ja, kann ich ja nicht wissen, ich bin nämlich kurzsichtig."

Wir drehen uns schnell um, schauen auf das Becken, die Spree, die Molecule-Man-Skulptur vor der aufgehenden Sonne rechts, den Fernsehturm hinter der Oberbaumbrücke links. Schon jetzt ist die Luft ganz warm, lässt uns den ach so heißen Tag erahnen.

Wir schwimmen ein paar Bahnen. Ab und zu legen wir uns an einem der beiden Kopfenden auf die unter Wasser dafür vorgesehenen Flächen und können uns nicht satterleben an diesem wunderschönen Morgen, sind Heldinnen, weil wir dem Bedürfnis, auszuschlafen, getrotzt haben. Nicht einmal die kreischende Gruppe aus ein paar höchstens zehn Jahre alten Mädchen, kann uns etwas anhaben.

Frühstück

Als wir später zu viert auf den Liegestühlen sitzen, den Blick auf die nach wie vor aufgehende Sonne gerichtet, wünschen wir uns so sehr einen Kaffee – scheuen aber die erneute Konfrontation mit der Biest. Doch das Bedürfnis, die Morgensituation mit einem kleinen Frühstück zu komplettieren, ist stärker. Als S. und ich vor die Bar treten guckt die Biest uns wortlos an, ergreift eine kleine Papiertüte, aus der sie etwas Essbares nimmt. Genüsslich beißt sie hinein, während sie uns unverschämt grinsend in die Augen blickt. Mit vollem Mund fragt sie uns: "Ja und was bekommt ihr?"

Meine Gedanken kreischen hysterisch, doch wir bestellen mit gefasster Stimme Kaffee, Limonade und Croissants – einen davon ergreift S. sofort. Das hätte sie nicht tun sollen, denn die Biest befiehlt sofort: "Lass den da liegen! Ich hab ja noch gar nicht zusammengerechnet, was das alles kostet!" und nachdem wir bezahlt haben, wirft sie uns mehr so im Vorbeigehen das Wechselgeld auf die Theke.
"Die hat keinen schlechten Tag, die ist ein Arschloch!" merke ich auf dem Rückweg zu den Liegestühlen an und stelle mir vor, wie die Biest bei ihren Freunden angibt, dass sie beim Badeschiff hinter der Theke arbeitet, als hätte sie den Nobelpreis gewonnen. Ich ahne, dass diese Währung in ihrer Welt sogar etwas wert ist.

Das Frühstück besänftigt uns und ich weiß nicht, wie oft wir uns gegenseitig bekunden, wie schön es hier ist. So macht man das manchmal, wenn man sein Glück kaum fassen kann und stachelt sich gegenseitig zu noch mehr Freude an. Allerdings wird es bereits jetzt immer voller, es gibt längst keine freien Liegen mehr, die höflichen Sicherheitsabstände zwischen den einzelnen Gruppen reduzieren sich stetig und um zehn Uhr packen wir unsere Sachen zusammen, um zu gehen. Noch bevor wir damit fertig sind, haben drei Frauen unsere Stühle übernommen. Sie erzählen uns, dass sie auch nur noch zwei Stunden bleiben möchten, denn später sei es so voll, dass man sogar eine halbe Stunde lang anstehen müsse, um überhaupt ins Becken zu gelangen.

Wir gucken uns mit großen Augen an und beginnen zu lachen. Als wir zum Ausgang gehen, werfe ich einen letzten Blick auf die Biest. Das Karma wird's schon richten.

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Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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