Die Enden der Parabel - Raketenbananarama (7-50)

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Bereits seit Freitag bin ich im Besitz des Buches und so könnte von den anderen Projektteilnehmern zurecht vermutet werden, ich dränge vor allen anderen gar schon in den dreistelligen Seitenzahlenbereich vor. Jedoch, stattdessen verbringe ich mein Wochenende im Bett sitzend, die Druckfahne von Tiere Essen auf dem Schoß, und streiche mit einem roten Stift viel zu viele Stellen an, als dass ich vor Sonntagabend Herrin über den dazugehörigen Text werde.
Der üblichen Prokrastination wegen stelle ich mir zwischendurch aber ein wenig romantisch verklärt vor, wie ich den blauen Pynchon-Wälzer erlese und sich mir mühelos der Inhalt erschließt, welcher mir beim Durchblättern bisher lediglich ein mulmiges Gefühl bereitet. Während des Lesens und der anschließenden Reflexion würde es sich vielleicht ganz warm und richtig in meiner Brust anfühlen.

Morgens und abends in der Straßenbahn lese ich bruchstückhaft immer nur wenige Seiten. Kein Filter wirkt: Es misslingt, die Geräusche der Menschen um mich herum zu ignorieren und zusätzlich dazu erhält jedes gelesene Substantiv wenigstens ein Adjektiv. Nichts ist einfach nur, sondern bekommt stattdessen eine Verzierung, ein Detail. Ich weiß nicht, was ich als nächstes wohin imaginieren soll. Stetig schweife ich ab. Ich fühle mich ungewohnt geschirrmachert.

http://img823.imageshack.us/img823/5880/bananey.jpgNach dem ersten Kriegsszenario finde ich mich in die Welt von Pirat ein: Männer, Chaos, die Abwesenheit von Frauen. (Ich erinnere mich beiläufig daran, dass ich längst aus der Piratenpartei austreten wollte.) Die Figur ist Riesenbananenzüchter - naheligend, dass sich einer der Kumpanen eine besonders dicke Banane in den Hosenschlitz steckt, um pubertäre Masturbationswitze zu machen - und während Pirat auf dem Dach stehend ein paar der Früchte erntet, sehen wir gemeinsam mit ihm unsere erste Rakete am Horizont verglühen. Später labe ich mich an den aufgezählten Varianten der Bananen-Zubereitung, den Beschreibungen der Gerichte und ich mag die Vorstellung, dass jemand landesweit für sein Bananenfrühstück berühmt sein kann. Als ich an der Marienkirche aus der M4 steige, hängt über der Karl-Liebknecht-Straße wahrlich: Bananenduft.
Ich kichere ein wenig in mich hinein.

Pirat hat die Fähigkeit, Tagträume anderer zu erleben und so arbeitete er als Tagträumer-Double für die Firma, um politisch verdächtige Personen auszuspionieren. Ich denke an den Film Inception, dessen Idee mich auf eine beinahe unangenehme Weise zutiefst berührt hat (die Umsetzung weniger) und schleppe mich durch wirre Tagtraum-Schilderungen. Versöhnlich damit werde ich erst nach dieser damit im Zusammenhang stehenden Passage:

„In den dreißiger Jahren war das Gleichgewicht der Kräfte noch ein Dogma, die Diplomaten lagen alle mit Balkanose darnieder, Spione mit fremdländischen, hybriden Doppelnamen hielten sich auf sämtlichen Bahnhöfen des osmanischen Rumpfreichs versteckt, chiffrierte Botschaften wurden in einem Dutzend slawischer Sprachen auf bloße Oberlippen tätowiert, über die sich die Überbringer Schnurrbärte wachsen ließen, welche nur die autorisierten Offiziere der Entschlüsselungsabteilungen abrasieren durften, ehe die plastischen Chirurgen wieder frische Haut über die Nachricht pflanzten...“

Ich freue mich auf die Schnauzbartträger, die mir demnächst in Berlin begegnen werden.

Weiter mit Tyrone Slothrop, der für den Geheimdienst ACHTUNG arbeitet - eine Abkürzung für Allied Clearing House, Technical Units, Northern Germany.
Hach. Schön!
Und ich muss trotzdem kurz an den mir längst verpönten Bono von U2 denken, der vor beinahe zwanzig Jahren bei irgendeiner Live-Aufnahme der Zoo-TV-Tour inmitten eines Stücks Achtung Baby schrie, weil das damals aktuelle Album so hieß.

Es stellt sich heraus: Slothrop hat einen gut dokumentierten Frauenfimmel, ein kleines Google-Maps der Herzensangelegenheiten, das in seinem Büro an der Wand hängt:

„Es trifft sich gut, daß beide jungen Damen auf Slothrops Stadtplan als silberne Sterne erscheinen. Er muß sich beide Male silbern gefühlt haben, strahlend, klingelig. Die Sterne, die er aufklebt, sind nur farbig, um zu seinen Gefühlen am jeweiligen Tag zu passen, von blau bis rauf zu golden.“

Klingelig!
Da fühle ich mich auch gleich ein wenig silbern.

Die Verbindung zur Rakete: Slothrop untersucht beruflich die „V-Bomben-Vorfälle“, wo er an den Stellen der Einschläge Verletzte findet, jedoch meist Tote und niemals das eigentlich Wichtige: Überreste der Rakete selbst. Als wir einmal mit ihm vor Ort sind, kommt Pirat, dieses Mal nur mit seinem Nachnamen Prentice erwähnt, und schnappt ihm ein übrig gebliebenes Raketenteil, einen Graphitzylinder, vor der Nase weg. Ich bemerke diesen Zusammenhang erst beim zweiten, rekapitulierenden Lesen. Zu viele Namen, zu viele Ahnen, zu viele Abkürzungen, zu viel Ausschmuck rangeln sich um zu wenig Aufmerksamkeit meinerseits. Immerhin merke ich mittlerweile: es ist nicht das Buch, das mich bremst, ich selbst bin es und meine derzeitige Erschöpfung.

Es ist die Geschwindigkeit der Rakete, die Slothrop Angst macht, die damit verbundene Hinterhältigkeit, denn hört man die Detonation, ist es bereits zu spät. Er nennt das Ganze gar, den „Tod mit deutscher Präzsion“. Und dann ist da noch dieser Zusammenhang zwischen einem kürzlich erfolgten V2-Einschlag und einer Erektion in Slothrops Hose.
Phallischer als eine Rakete geht ohnehin nicht. Wer will da noch eine Banane?


Das Buch ist bisher im Präsens geschrieben. Ich mache das auch meist, wenn ich an anderer Stelle Privates, meist nur Fragmentarisches schreibe. Und so nun passend zum Pynchon auch hier. Von wegen falsches Präsens.

Wenn ich nicht alles mehrfach lesen möchte, sollte ich anfangen, immer einen Bleistift bereitzuhalten.

http://img269.imageshack.us/img269/8200/liestk.png

Der Text ist Teil eines Projekts:
Wir lesen gemeinsam Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel"

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Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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