Entschleunigung

63. Berlinale Von drei Filmen, die sich Zeit nehmen – doch nur einer hält mich wach. Der von Wong Kar Wai ist es nicht

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Eine gute Frauenquote in der Jury: Ellen Kuras, Tim Robbins ♥, Shirin Neshat, Wong Kar Wai, Susanne Bier, Andreas Dresen, Athina Rachel Tsangari
Eine gute Frauenquote in der Jury: Ellen Kuras, Tim Robbins ♥, Shirin Neshat, Wong Kar Wai, Susanne Bier, Andreas Dresen, Athina Rachel Tsangari

Foto: Maike Hank

Mit einem frischen Impfarm fahre ich zum Potsdamer Platz, um gerade noch rechtzeitig zur Pressekonferenz anzukommen, auf der die diesjährige Jury vorgestellt wird. Wie überall muss sich auch hier aus dem Publikum zu Wort gemeldet werden, obwohl es gar nichts zu fragen gibt und stattdessen lediglich die Jury gelobt werden soll. Dies mag zwar freundlich gemeint sein, ist aber ebenso lästig wie Kamerawinker in Fernsehsendungen. Um mich herum werden bereits Augen gerollt, aber immerhin stellt die Person fest, dass die Jury erstmals aus vier Frauen und drei Männern besteht und mit dieser schönen Erkenntnis stehe ich auf, hole mir zur Feier des Tages einen überteuerten Riesen-Milchkaffee und suche mir einen Platz im Kinosaal, wo in einer Dreiviertelstunde der Eröffnungsfilm The Grandmaster von Wong Kar Wai gezeigt wird. Der Regisseur hatte eben noch in seiner Funktion als Jury-Vorsitzender gesagt, er sei nicht hier, um über Filme zu urteilen, sondern sie wertzuschätzen. Okee. Aber erst einmal in Ruhe frühstücken.

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Während der Vorführung nicke ich leider immer wieder ein. Rückblickend ist zu sagen, dass ich etwa ein Drittel von The Grandmaster verschlafen, mich während eines weiteren Drittels gelangweilt und ansonsten immerhin die schönen Bilder und die schönen Darsteller bestaunt habe. Schlaftrunken und sehr schlecht gelaunt begebe ich mich dennoch zur Pressekonferenz.
"Also, das Motto ist die schöne Chinesin!" schwört ein Redakteur seine Kollegen ein. Hinter mir wird über die Schwierigkeit, der Handlung folgen zu können, diskutiert. Es lag also nicht an meinem versehentlichen Davonschlafen, dass ich nie so recht verstand, um was es außer der laaaangsamen ästhetischen, aber sich ständig wiederholenden Abbildung von Martial Arts und der Demonstration, was so eine Highspeedkamera eigentlich kann, denn ging. Und die schöne Chinesin ist im echten Leben so stark geschminkt, dass jene natürliche, makellose Schönheit, die ich an ihr so mag, völlig verdeckt ist.

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Die etwas runtergerockte Realität des Films I used to be darker von Matt Porterfield tut gut nach dem artifiziellen Kampf-Epos, denn ich sehe normale Menschen mit normalen Problemen. Die 19-jährige Taryn aus Nordirland landet schwanger bei ihrer Tante in Baltimore, die sich jedoch gerade von ihrem Mann trennt und ich gucke der Familie ein wenig dabei zu, wie sie mit Hilfe von selbstgemachter Folkmusik, Gesprächen oder Alkohol versucht, mit ihren Problemen zurecht zu kommen. Auch dieser Film nimmt sich Zeit, aber im Gegensatz zu The Grandmaster, wo die Handlung mittels Zeitlupe und viel zu langsam gesprochenen Sätzen künstlich entschleunigt wird, ist das fehlende Tempo hier natürlich und ich habe oft genug gar das Gefühl, die Wärme einer Steintreppe, auf der jemand sitzt, wahrzunehmen, oder den Wein zu schmecken, den die Protagonisten trinken. Ich sitze mit ihnen am Pool und spüre das Wasser an meinen Knöcheln – und vor allem die ganze Zeit ihre Traurigkeit und Sehnsüchte. Aber auch jene Zuversicht, die zumindest eine Protagonistin in sich trägt. Mit dem Gedanken Wir kriegen das schon irgendwie hin. trete ich hinaus auf die Straße, die anachronistisch voller Weihnachtsdekorationen hängt – ach, der Glamour.

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Es war immerhin eine sehr gute Idee von Thanos Anastopoulos, in seinem Film The Daugher die Griechenland-Krise aus der Sicht des jungen Mädchens Myrto zu zeigen, dessen Vater verschwunden ist, weil es in der Firma finanzielle Probleme gab. Myrto entführt den kleinen Sohn des Vorgesetzten ihres Vaters und zwischendurch gibt es Rückblenden, die zeigen, wie ihre vermeintlich heile Welt einmal vor der Krise war. Eigentlich sollte da eine Spannung entstehen zwischen ihr und dem kleinen lockigen Angelos, den sie immer mehr ärgert und bedroht – jedoch wirkt dies im Gegensatz zu den anderen Szenen unglaubwürdig und ist langatmig. Ich schließe immer wieder die Augen und wünsche mir, das Ganze möge bald ein schnelles Ende nehmen. Weil es das nicht tut, sind mir zuletzt alle Figuren total egal und ich will so sehr nach Hause, dass ich den letzten Film auf der heutigen Liste ausfallen lasse.

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Es war ein wunderschöner erster Tag. Ich habe einige bekannte Menschen, darunter jene, die die Forum-Filme betreuen, wiedergesehen. Ohnehin war alles sehr vertraut: der obligatorische Berlinale-Trailer ist der gleiche, die Kinos riechen gleich, die Hektik zwischen den Filmen ist die gleiche, das Mantel-an-aus-warm-kalt-Gefühl ist gleich, ich trage meinen kinosesselfreundlichen Dutt und es schneit sogar auf einmal! Alles ist wie vor einem Jahr. Aber: dieses Mal kann ich sogar ohne Kopfhörer und Musik inmitten von vielen lauten Menschen sitzen, schreiben, lesen – und dennoch ganz bei mir sein.

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Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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