Fleischlos mit Hintertüre

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://img685.imageshack.us/img685/2030/tiereessen.jpgAls im vergangen Winter Jonathan Safran Foers Buch „Eating Animals“ in Amerika erschien, las ich bereits viele Artikel über ihn und seine Beweggründe, als Romanautor („Alles ist erleuchtet“, „Extrem laut und unglaublich nah“) nun ein Sachbuch über Ernährung zu schreiben.

Foer war, so schien es mir, der erste öffentlich argumentierende Vegetarier, der nicht radikal und dogmatisch für den Fleischverzicht warb, sondern eigene Schwächen im Umgang damit zugab und eingestand, dass er eigentlich sehr gerne Fleisch aß.

Die Berichte nahmen mir die Angst, irgendwann tatsächlich Vegetarierin zu sein. Weil ich nicht würde sagen müssen, dass ich ab sofort für immer kein Fleisch mehr zu mir nehmen würde, sondern immer wieder eine neue, ganz bewusste Entscheidung gegen das Fleischessen würde treffen können. Vegetariersein mit Hintertüre, die man im besten Fall gar nicht benutzt.

„Ob und wie wir Tiere essen berührt etwas Tiefsitzendes.“


Ich habe damals nicht aufgehört, Fleisch zu essen, aber ich habe immer mal wieder an Foers Buch gedacht und guckte einer der Übersetzerinnen bei der Arbeit zu:
1
2 3 4 5 6 7 8

Vor geraumer Zeit sah ich dann von World Press Photo prämierte Schlachthof-Bilder und als mich dieses Schwein anblickte, war ich zutiefst betroffen und schloss schnell das Browserfenster. Das geht nämlich meist ganz gut, das Weggucken - und auch das Wegdenken.

Das Schwein, Jonathan Foer und mein Verhalten ließen mir jedoch keine Ruhe. Um herauszufinden, wie viel Fleisch ich eigentlich zu mir nahm, habe ich Anfang Juli mit dem Nichtessen von Fleisch begonnen. Ich dachte nämlich, ich äße ganz wenig davon. So wie jeder, mit dem ich bisher darüber gesprochen hatte.

Tatsächlich jedoch war Fleisch sehr häufig Bestandteil meiner Nahrung: Auf dem Bagel, in der Sauce, im Salat, auf dem Flammkuchen, mit den Pommes, zum Gemüse, überm Reis, in der Suppe, auf der Pizza. Ich war überrascht und dann begann ich endlich mit der Lektüre von „Tiere Essen“

„Wir brauchen eine bessere Gesprächskultur, wenn wir über das Essen von Tieren reden.“

Foer, bisher wankelmütiger Vegetarier, fing an für sein Buch zu recherchieren, als sein erster Sohn geboren wurde, weil dieser irgendwann Fragen zum Essen stellen würde. Viele Warums, auf die Foer nur voller Scham würde antworten können. So machte er sich auf, herauszufinden, was Fleisch ist, wo es herkommt, wie es produziert wird, wie die Tiere behandelt werden und welche ökonomischen, gesellschaftlichen und umweltrelevanten Auswirkungen das Essen von Tieren hat und suchte auch Antworten auf philosophische Fragen, die verdeutlichen, dass es beim Essen nicht bloß um Nahrungsaufnahme geht, sondern darum, wer wir sind und wer wir sein möchten, ob und wie wir Verantwortung übernehmen, ob wir unsere Werte verraten oder nicht.

„Wir sehen heute so selten Nutztiere, dass es sehr einfach ist, das alles zu vergessen. (…) Weniger Kontakt zu Tieren zu haben macht es einfacher, die Frage beiseite zu schieben, inwiefern wir Einfluss auf ihre Behandlung haben“

In Amerika kommen 99 Prozent des Fleischs aus der Massentierhaltung und gleich im Vorwort von „Tiere Essen“ erfahren wir, dass es in Deutschland nicht viel besser aussieht und unsere landwirtschaftlichen Methoden den amerikanischen am meisten ähneln. Dass sie so erfolgreich sind, beruht letztendlich auf den nostalgischen Bildern, die wir von der Nahrungsmittelproduktion haben und Foer ist nicht der Erste, der auf diese Diskrepanz aufmerksam macht, aber es scheint, als hörten mittlerweile immer mehr Menschen zu.

Essen ist wenig rational, sondern stattdessen Teil unserer Kultur, unserer Gewohnheiten und auch unserer Identität. So erzählt uns Foer seine eigene, sehr persönliche Geschichte und lässt außerdem die Menschen ausführlich zu Wort kommen, die ihm bei seiner Recherche begegnet sind.

Er berichtet von den Ursprüngen der Massentierhaltung, erklärt uns die Veränderungen und Abläufe in der Hühner-, Schweine und Rindermast, bei der die Tiere nur noch als abstrakte Teile einer großen Maschinerie wahrgenommen werden. Er erzählt von den Vorgehensweisen in Schlachthöfen und auch, wie diese die Menschen verändern, die dort arbeiten. Foer macht deutlich, dass auch durch die Fischerei große Schäden entstehen und dass es Fischen in Zuchtbecken nicht besser ergeht als anderen Masttieren in ihren Käfigen. Wir lernen, dass Massentierbetriebe genau berechnen, wie dicht am Tod sie die Tiere halten können, ohne sie tatsächlich umzubringen, dass letztendlich alle Tiere, die wir später essen, krank sind und wie sich dies und der Umgang mit Antibiotika auf unsere Gesundheit auswirkt und in welchem Zusammenhang die Massentierhaltung mit Seuchen wie die Vogel- oder Schweinegrippe steht und wie stark sie die Umwelt belastet.

Auf die Massentierhaltung zu reagieren erfordert über reines Informiertsein hinaus die Fähigkeit zu sagen: 'Das geht mich etwas an', und dabei geht es auch um Gegensätze wie Wunsch und Verstand, Fakt und Mythos und sogar Mensch und Tier.“

Foer zitiert Walter Benjamin und Jacques Derrida, Kafka und seine Großmutter und schreibt, dass es auch einen kulturellen Verlust bedeutet, wenn wir unseren Nahrungskatalog ändern und bestimmte Aromen aus unseren Erinnerungen tilgen, ermutigt uns aber, diese mit neuen, anderen Ritualen zu ersetzen. Er gibt zu, dass vegetarische Ernährung für ihn nicht so befriedigend ist, wie eine Ernährung mit Fleisch, erklärt wieso er mittlerweile dennoch gar keines mehr essen möchte und dass er sich darüber erst gegen Ende der Recherchen wirklich klar geworden ist.
So ist Foer also tatsächlich einer von „uns“. Er ist keiner der radikalen Vegetarier oder Veganer, die mit völligem Unverständnis auf Fleischesser reagieren und deren Schwäche verurteilen. Ihm genügt es für den Anfang gar, wenn die Menschen weniger Fleisch essen oder Biofleisch kaufen, ja wenn sie überhaupt ein Bewusstsein dafür entwickeln, was sie zu sich nehmen. Auch wenn er weiß, dass so noch keine – längst überfällige – Revolution in Gang gesetzt werden kann.

Es ist anzunehmen, dass dies den Aktivisten nicht genügt, aber ist es nicht wenigstens ein Anfang? Eine Möglichkeit, mehr Menschen zu interessieren und zu überzeugen und ihnen Raum zu geben, um ihre eigene Geschichte vom Tiere Essen zu gestalten? Foer bietet in seinem Buch unterschiedliche Möglichkeiten der Veränderungen an. Er bricht mit unserer Gewohnheit, dass es nur zwei Seiten gibt. Dennoch ist auch ihm klar, dass unser Verhalten letztendlich irgendwann darauf hinauslaufen muss, kein Fleisch mehr zu essen und zudem andere Menschen davon zu überzeugen. Aber es ist schön zu sehen, dass diese Überzeugungsarbeit auch ohne Polemik und Radikalität funktioniert.

„Unsere Essensentscheidungen werden dadurch verkompliziert, dass wir nicht allein essen.“

Ich habe nach wie vor kein Fleisch gegessen. Es geht nicht mehr, obwohl ich ein hedonistischer Genussmensch bin, der oftmals „gute Vorsätze“ ignoriert. Meine Hintertüre ist das Bio-Fleisch, dem keine Massentierhaltung vorausgeht. Es tut gut zu wissen, dass es da ist, weil es mir die Unsicherheit bezüglich der Endgültigkeit meiner Entscheidung nimmt und sie mir so absurderweise möglicher macht.

Aber ich weiß nicht, ob ich auch jemand sein möchte, der so viel Verantwortung übernimmt, dass er sich aktiv dafür einsetzt, Menschen davon zu überzeugen, ihr Essverhalten zu überdenken. Kürzlich war ich eingeladen und fand mich schon deshalb schrecklich anstrengend, weil mir der Gastgeber ein separates, fleischloses Curry kochte. Und noch vor ein paar Monaten wurde ich selbst als Gastgeberin gefragt: „Du kochst doch vegan, oder?“ Ich erinnere mich, dass ich am liebsten mit „Natürlich nicht!“ geantwortet hätte, da ich mich an der Selbstverständlichkeit störte, die dieser Frage innewohnte.

Ähnlich wie Foer weiß auch ich nicht, wie tolerant wir letztendlich sein sollten und wie wenig nachsichtig. Wie viel Verantwortung tragen wir eigentlich für die Menschen, die uns wichtig sind im Hinblick auf die Ernährung? Und wie sehr darf ich ihnen mit meiner kleinen, persönlichen Erleuchtung auf die Nerven fallen?
Vielleicht genügt es ja schon, wenn ich einigen von „Tiere Essen“ erzähle.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------

Jonathan Foer
„Tiere Essen“
352 Seiten | 19,95 €

erscheint am 18. August 2010
bei Kiepenheuer & Witsch



Weitere Informationen







Ich liebe Würste auch. Aber ich esse sie nicht
FAZ-Interview vom Januar mit Jonathan Foer

Where's the beef?
Radio-Interview mit Jonathan Foer

Dürfen wir Tiere töten?
Kathrin Zinkant stellt fest: Wer auf das Töten von Tieren verzichten will, begibt sich in ein grausames Dilemma


Jamie Oliver demonstriert bei einem Essen, was in Legehennenbetrieben mit den überflüssigen männlichen Küken geschieht:







Wände aus Glas
Paul McCartney spricht für die Organisation PETA

Das Geschäft mit dem Tod 1 | Das Geschäft mit dem Tod 2
Thomas D. spricht für die Organisation PETA

Unser täglich Brot
Ein Blick in die Welt der industriellen Nahrungsmittelproduktion und der High-Tech-Landwirtschaft: Zum Rhythmus von Fließbändern und riesigen Maschinen gibt der Film kommentarlos Einsicht in die Orte, an denen Nahrungsmittel in Europa produziert werden

Food Inc.
The film examines corporate farming in the United States, concluding that agribusiness produces food that is unhealthy in a way that is abusive of animals and environmentally-harmful. The documentary generated extensive controversy in that it was heavily criticized by large American corporations engaged in industrial food production.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden