Eventkritik Die Berliner Band Apparat gab ihr erstes Konzert in Tokio, mit dem neuem Album "The Devil’s Walk". Unsere Autorin war begeistert. Aber wie kommt das in Japan an?
Tokio war für mich der Traum, den man immer vor sich her trägt, sich aber nicht erfüllen kann. Doch trotz der mittlerweile widrigen Umstände in Japan, ergab es sich, dass ich nun endlich hinreisen konnte. Und dass ausgerechnet auch die Berliner Band Apparat, die mir mit ihrem aktuellen Album The Devil’s Walk schon so oft den Tag gerettet hat, zur gleichen Zeit dort spielen würde.
Normalerweise beginnen Konzerte in Tokio am frühen Abend. Das von Apparat ist jedoch in eine Clubnacht eingebettet und schon den Club zu finden, fällt mir schwer, denn es gibt hier kaum Straßennamen und die Adressen bestehen aus Stadtteilen und Wohnblockbezifferungen. Trotz Lageplan frage ich Passanten um Rat, aber niemand kann Englisch oder traut sich der Unperfektion
der Unperfektion wegen, es mit mir zu sprechen. In Restaurants zeige ich meist auf Abbildungen und hoffe das Beste, oft gehe ich wieder, weil mir niemand die japanischen Speisekarten übersetzt. Außerdem laufe ich überall Gefahr, verstrahltes Essen zu mir zu nehmen: In den Supermärkten wird Gemüse aus Fukushima verkauft und es bleibt niemals liegen. Endlich im Club angekommen, bestelle ich Biru, japanisches Bier. In einem Restaurant wurde es mir im Edelstahlbecher gereicht, hier in einem kleinen Plastikglas.Mundschutz im ClubMittlerweile kenne ich das Line-Up: Apparat werden erst in drei Stunden spielen. Dass ich zum ersten Mal, seit ich in Tokio bin, freies Wlan habe, tröstet nur bedingt darüber hinweg. So vertreibe ich mir die Zeit, indem ich neben dem hell erleuchteten Zigarettenautomaten sitze – Rauchen ist nur auf der Straße verboten – und in dessen Schein ein Buch lese. Ansonsten beobachte ich die Leute. Selbst hier tragen viele einen Mundschutz. Nicht aus Angst vor Krankheiten, sondern um andere nicht mit der eigenen Erkältung anzustecken. Ab und zu begrüßen sich Menschen, doch meist kommen kleine Gruppen, die unter sich bleiben oder Personen sitzen so wie ich alleine in einer Ecke und warten, manch einer hat gar die Augen geschlossen, ist möglicherweise nicht einmal mehr wach. Ganz wie in den U-Bahnen, wo man immer Menschen sehen kann, die in sich zusammengesackt schlafen. Ich bin dort die Einzige, die heimlich hinschaut, denn sonst ist es auf sonderbare Weise so, als seien alle füreinander Luft. Ähnlich ist es nun hier. Kaum jemand tanzt, es findet wenig Interaktion statt. Als zwei Japaner mit MacBooks vor apokalyptischen Videoinstallationen elektronische Musik machen, bleibt die Stimmung unterkühlt.Erst als die Mitglieder von Apparat die Bühne betreten, fühle ich mich nicht mehr so fremd. Apparat war nicht immer eine Band. Zwar ist Sascha Ring bereits auf der Tour zum Vorgängeralbum Walls mit Musikern unterwegs gewesen, jedoch erst jetzt scheint die Wandlung vom Solokünstler zur Band offiziell vollzogen. Es ist mir egal, dass um mich herum Menschen sind, die tagsüber links auf den überfüllten Rolltreppen stehen und rechts gehen und denen ich immer auf der falschen Seite entgegen komme, sobald ich gedankenlos durch die Stadt spaziere. Es ist mir egal, dass sie mich nicht verstehen und aus kulturell bedingter Zurückhaltung so tun, als sei ich gar nicht da. Ich lasse mich betören und davongetragen von der sowohl filigranen als auch orchestralen Musik, die nur noch ein bisschen Elektro ist.Nicht alle, die Apparat noch aus Technozeiten kennen, sind glücklich darüber. Ring hat früher auch so gut wie nie gesungen, auf dem aktuellen Album tut er das ganz oft und so wurden bereits Vergleiche gezogen mit Radiohead. Doch während sich Thom Yorke an den Beschwerlichkeiten des Lebens abzuarbeiten scheint, ist der Gesang hier leichter und sanfter, die Musik von Apparat keine, die dazu einlädt, sich im Schmerz zu winden, sondern sie verbreitet vielmehr das Gefühl positiver Melancholie. Als Rings Gitarre kaputt geht, reicht man ihm ein Ersatzinstrument und kurz darauf ein weiteres. „Ich hab’ doch schon eine!” sagt er da lachend. Es sind die ersten deutschen Worte, die ich seit einer Woche höre.Zwei Nächte zuvor wurde ich von einem Erdbeben geweckt und saß angsterfüllt im wackelnden Bett. Außer mir schien das jedoch niemanden interessiert zu haben. Wie überhaupt das Unglück im April dieses Jahres im Alltag kaum präsent scheint, nur ein paar Menschen an Straßenecken, die für Katastrophenopfer Geld sammeln, erinnern an das Unglück. Fukushima und havarierte Atomkraftwerke sind ebensowenig Thema, nur einige hellblaue Stromsparplakte in den U-Bahnhöfen spielen darauf an. Sie werden jedoch schnell von all den dünnwandigen, schlecht isolierten und mit Klimaanlagen beheizten Wohnungen ad absurdum geführt.Verhaltene PosenIm Club ist das Bühnenbild schlicht, lediglich einige kerzenähnliche Lichter strahlen. Ich fühle mich an einen sakralen Ort erinnert und das passt dann auch zur Musik und der Hingabe, mit der jeder dort auf der Bühne spielt und mitgerissen wird vom selbst erzeugten Sog. Immerhin jetzt gehen die Menschen um mich herum wenigstens für kurze Momente aus sich heraus, um alsbald wieder in verhaltenen Posen den Stücken zu lauschen. Das sei hier eben so, bekomme ich später hinter der Bühne lachend gesagt, und dass man sich im Vorfeld darauf eingestellt habe – Ring ist heute nicht zum ersten Mal in Tokio aufgetreten. Obwohl es keine Neuigkeit ist, bin ich fasziniert davon, dass es funktioniert, Menschen mit solch anderen Leben in solch weiter Ferne zu berühren mit den schönen Dingen, die man geschaffen hat. Ich höre, wie ein Europäer auf Englisch neben mir sagt, dass es heikel sei, nun mit dieser Musik aufzutreten, und dass er den treibenden Technosound vermisst habe. Ich schüttele grinsend den Kopf. In einer Stunde fährt die erste Bahn.
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