O Kurt! Mein Kurt!

Berlinale-Tagebuch Eine Flucht in die 90er Jahre und die unerwartete Begegnung mit Nicholas Brody.

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*tuschel tuschel* .. 'Also der James Franco..' - 'Pöh!'

Wow. Nach nicht einmal fünf Stunden Schlaf bin ich so schlecht gelaunt wie lange nicht mehr. Nachdem ich die Tickets geholt habe, will ich mir noch einen Cappuccino kaufen. Weil die Schlange bei Starbucks lang ist, sollen wir bereits bevor wir an der Kasse sind, unsere Bestellung aufgeben. Dieses Mal will ich nicht schon wieder die größte Variante, denn das hier sprengt finanziell eigentlich völlig meinen Rahmen. Als ich dann an der Kasse zum zweiten Mal sagen muss, was ich haben möchte, nenne ich jedoch offenbar wieder die Monster-Cappuccino-Ausgabe - zumindest muss ich die bezahlen. Ich bin durcheinander und weiß nun überhaupt nicht mehr, was ich eigentlich wann bestellt habe und bin ungehalten. "Aber da kann ich doch nichts dafür" sagt die Dame hinter der Theke. Tja, denke ich. Theoretisch sollte ich in der Lage sein, zwei Mal das Gleiche zu bestellen. Aber andererseits kann ich bei den Preisen erwarten, dass ich so übermüdet mein Gehirn erst wieder beim Verlassen des Cafés anstrengen muss.

Dort, wo ich sonst morgens meine Cappuccino kaufe, bezahle ich zum Glück lediglich die Hälfte - und muss gar nichts mehr sagen, sondern nur zur Bestätigung nicken, weil ich seit über einem Jahr dorthin gehe und jeden Morgen das Gleiche trinke <3

*

Den Kinotag beginne ich mit der Doku Cobain: Montage of Heck und möchte mich danach sofort ins Bett legen und den ganzen Tag Musik von Nirwana hören. (Und heimlich ein bisschen schlafen.)

Erstaunlich, wie viele Aufnahmen es von Cobain als Kind gibt. Und wie niedlich es ist, wenn ein kleiner Junge auf die Frage nach seinem Namen „I am Kurt Cobain“ piepst. Ahnungslos, welche Bedeutung der gleiche Satz 25 Jahre später haben wird.

Die Doku ist toll. Anhand von alten Aufnahmen und sparsam dazwischen geschnittenen Interviews mit Menschen, die ihm nahe standen, wird das Leben von Cobain nachgezeichnet. Seine Mutter, seine Stiefeltern, eine Schwester, seine erste richtige Freundin, Nirvana-Bassist Krist Novoselic – und Courtney Love kommen zu Wort. Immer dann, wenn es offenbar keine Bewegtbilder gibt, werden animierte Graphic Novel Szenen verwendet, was wirklich sehr gut funktioniert. Immer wieder sehen wir auch Aufzeichnungen Cobains (Schriften, Gekritzel), die manchmal animiert wurden, so dass der Eindruck entsteht, wir könnten ihm beim Schreiben zusehen. Aus vielen seiner Zeichnungen werden bewegte, zum Teil verstörende Collagen gebastelt, und gegen Ende nehmen auch die Einblendungen von Zeitungsartikeln zu. Dazu immer wieder sehr viel Musik. Mal nur im Hintergrund, wo oft auch Variationen bekannter Stücke zu hören sind, mal gewaltig und raumeinnehmend, wenn Konzertaufnahmen gezeigt werden. Ich sah Nirvana leider niemals live.

„He didn't know that he looked better than Brad Pitt“ sagt Courtney Love in der Doku über ihn, und es ist tatsächlich erstaunlich, was für eine geradezu atemberaubende Ausstrahlung Cobain in vielen der gezeigten Aufnahmen hat. Sei es beim Spielen mit der Tochter Francis, während hingebungsvoller Auftritte oder bei Interview-Aufzeichnungen.

Was mich wundert: immer habe ich das Gefühl, dass Cobain älter ist als ich, und die Last eines schon viele Jahrzehnte andauernden, schweren Leben mit sich herumträgt. Nun mag das daran liegen, dass er ja tatsächlich älter war, als er sich umbrachte - nämlich zwei Tage vor meinem 24. Geburtstag – doch ich glaube, es liegt an ihm.

Als die Doku vorbei ist, bin ich emotional ziemlich aufgewühlt. Euphorie, Melancholie, Sehnsucht, die Zeit zurück zu drehen. Für mich, aber auch, um diesen großen Verlust aufhalten zu können.

*

So hoch emotionalisiert eile ich ins Hyatt. Dort findet die Pressekonferenz zu Werner Herzogs Queen of the Desert statt. Nach dem vielen Schnee gestern habe ich mich dagegen entschieden, ihn mir anzuschauen, aber Nicole Kidman möchte ich sehen.

Neben mir sitzt eine Journalistin und löchert mich mit Fragen: Kommen die gleich von rechts rein? Kann ich von hier, wo wir sitzen, Fotos machen? Stehen nachher noch nervige Leute auf und wollen Autogramme? Welche Pressekonferenzen hast du noch eingeplant? (Keine, ich lasse mich treiben, aber das verrate ich ihr nicht.) Gut, dass ich wenigstens professionell wirke und mir deshalb nicht ganz so klein vorkomme, als sie von Cannes erzählt, von Venedig und London. Ach ja richtig, es gibt Menschen, die machen so was die ganze Zeit.

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Neben Kidman und Herzog sitzen noch James Franco und Damian Lewis auf dem Podium. James Franco mag ich nicht mehr, seit er anfing, mehrfach täglich halbnackte Selfies zu veröffentlichen und "uns Girls" in der Cola-Werbung "wichtige Tipps" gibt. Ich bin mir ohnehin sicher, dass die Agentur eigentlich Ryan Gosling haben wollte, von dem es ja diverse "Hey, Girl"-Memes gibt, die dann für die Kamapgne adaptiert werden sollten.

Damian Lewis kenne ich primär als Nicholas Brody aus der TV-Serie Homeland, wo er mir die meiste Zeit mächtig auf die Nerven ging. Und nun sitzt er hier und sieht genau so aus wie ebenjene Figur und spricht auch wie Brody - wenn er denn überhaupt einmal dazu kommt, denn eigentlich richtet niemand eine Frage an ihn. Herzog ist jedoch so freundlich und spricht ihn irgendwann an, damit er auch etwas erzählen kann. Bei einer zweiten Gelegenheit findet dann in etwa folgender Monolog statt:

"Ich habe ja auch eine wahnsinnig lange Kuss-Szene mit Nicole gedreht [KUNSTPAUSE] die dann herausgeschnitten wurde. [KUNSTPAUSE] Ich meine, ich weiß ja nicht, ob es daran lag, dass ich so ein schlechter Küsser bin. [KUNSTPAUSE] Mir haben die Dreharbeiten zu dem Kuss auf jeden Fall viel Spaß gemacht.

Es ist nicht lustig, wie er das erzählt. Es wirkt aufgesetzt und ich finde es total unangebracht. Mensch Brody!

*

Mit dem Essen lasse ich mir so viel Zeit, dass ich versehentlich den nächsten Film verpasse. Also schlendere ich umher und treffe vor dem Hyatt auf Martin Tranquillini aus Italien.

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Es ist mittlerweile sehr kalt und Martin weiß, dass Herzog längst nicht mehr da ist. Dennoch steht er dort, wird ab und an fotografiert, und ich lasse mir von ihm die Geschichte erzählen, wie Herzog einmal schwor einen Schuh zu essen, wenn Errol Morris wider Erwarten Geld für Herzogs Film auftreiben würde. Danach musste er tatsächlich einen Schuh essen.

Martin will Herzog jedoch nicht als Geldgeber gewinnen, sondern als Darsteller in seinem Film. Ich lasse mir von ihm eine Karte geben, auf der steht, dass er sowohl Schauspieler als auch Regisseur ist. "Ich bin aber nicht nur wegen des Schildes hier", sagt er, "sondern eigentlich auf dem European Film Market, der im Rahmen der Berlinale stattfindet." In bocca al lupo, Martin!

*

Weil ich während des nächsten Films einschlafe, entscheide ich mich spontan dafür, mir die beiden danach auch nicht mehr zu anzusehen. Ich sehne mich nach Hause, wo ich zum Runterkommen erst einmal die Wohnung fege. Warum, das bei mir so gut funktioniert, habe ich vor kurzem hier aufgeschrieben. Währenddessen höre ich Nirvana. Ach Kurt.

Topic des Tages: Zzzz.
Erkenntnis des Tages: Brody lebt!
Schlimmster Satz im Sitz neben mir: Dieses Mal war ich schlimm, weil ich geschlafen und womöglich geschnarcht habe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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