Tag 8 – Ein Buch, das dich an einen Ort erinnert

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Vielleicht war es gestern ein wenig überzogen zu dem Schluss zu kommen, Bücher erinnerten mich nicht an Personen. Aber meist ist es dann eben doch ein Gemenge aus allen möglichen Eindrücken, zu denen unter anderem auch Orte gehören.

Die katholische Pfarrbücherei des Vororts, in dem ich aufwuchs, hatte immer Montags und Freitags geöffnet. Im Alter von zwölf Jahren war ich meist an beiden Tagen dort, da ich wenigstens eines der geliehenen Bücher gelesen hatte und gegen ein anderes austauschte. Ich weiß nicht mehr genau, was ich zu dieser Zeit las. Irgendwelche belanglosen Jugendbücher von Enid Blyton und im besten Fall Sachen wie Als Hitler das rosa Kaninchen stahl.

Ich konnte stundenlang die Buchrücken studieren, ich mochte den muffigen Geruch und mir gefiel es, dass alles seine alphabetische Ordnung hatte. Schon als ich noch viel, viel jünger war, hatte ich mit meinen paar Kinderbüchern oftmals Bücherei gespielt – wozu ich in jedem Buch mittels eines Tackers sogar eine Tasche angebracht hatte, in der sich die entsprechende Karteikarte des Buchs befand und die, lieh man sich im Spiel ein Buch aus, bei mir als Bibliothekarin verblieb. Dass ich mir mit der Perforation all meine Kinderbücher verhunzte, war damals nebensächlich. Ein einziges Buch aus dieser Zeit besitze ich noch.

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Die Pfarrbücherei wurde von Frau Schwarz, einer sehr dicken älteren Dame mit grauem Kurzhaarschnitt geführt, die sich darüber freute, dass ich so häufig da war und so fragte ich sie eines Tages, ob ich ihr bei der Büchereiarbeit helfen könne. Von da an war ich etwa zwei Jahre lang jeden Montag und jeden Freitag ein paar Stunden lang Teil der Pfarrbücherei. Ich lernte es, Bücher in Folie zu verpacken, sie zu nummerieren, die Karteikarten zu pflegen, Mahnungen zu verschicken. Manchmal war ich sogar ganz alleine dort und ich erinnere mich an den braunen Ölofen, der im Winter eine trockene Hitze in den Bücherreiräumen verbreitete.


Ich fing an, Bücher für Erwachsene zu lesen. Romanschwarten, die meist von Liebe handelten. Eine davon war Desirée von Annemarie Selinko und sie erzählte die Geschichte von Napoleon aus der Sicht einer Seidenhändlerstochter aus Marseille. Beide verband eine ungelebte Liebe, die sich durch das Buch hindurchzog, obwohl Napoleon später längst mit Josephine und Desirée selbst mit Napoleons Bruder einem General verheiratet war. Ich fühlte mich sehr erwachsen während ich das Buch las, zumal es ja nicht nur ein Liebesdrama, sondern – so dachte ich – ein ernst zu nehmender Historienroman war.


Warum und ab wann ich aufhörte, in der Bücherei zu helfen, weiß ich nicht mehr. Vermutlich war es der Pubertät geschuldet, den Tanzkursen und der ersten Verliebtheit. Ich habe keinen Bruch in Erinnerung, keine Verabschiedung. Frau Schwarz lebt mittlerweile nicht mehr, aber das Gebäude, in dem die Bücherei seinerzeit war, gibt es noch.



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Vor ein paar Jahren fiel mir eine Ausgabe des Buchs auf dem Flohmarkt in die Hände. Aus nostalgischen Gründen kaufte ich es, ohne lange darüber nachzudenken – und ohne es noch einmal zu lesen. Aber im Fernsehen lief einmal die Verfilmung mit Marlon Brando und Jean Simmons.






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Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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