Technicolor, Baby!

Berlinale-Tagebuch Es ist nirgends schöner als daheim? Aber da gibt es doch keine große Kino-Leinwand!

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Technicolor, Baby!

Foto: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

I'm just a girl! Dies hier ist ein Nutzerinnenbeitrag.

Heute bin ich zum ersten Mal im Berlinale-Palast. Ich sitze dort am liebsten ganz oben, in der ersten Reihe, direkt an der Brüstung. Ich habe mittlerweile erhebliche Kinoknieschmerzen und kann nie länger als fünf Minuten in einer Sitzposition verharren. Doch das Geländer bietet mir eine hervorragenden Möglichkeit, die Füße abzustellen und die Beine in einen angenehmen Winkel zu bringen.

Nach dem Eröffnungsfilm sehe ich nun den zweiten Wettbewerbsbeitrag. Journal d’une femme de chambre (nicht die erste Verfilmung des gleichnamigen Romans) zeigt einen Ausschnitt aus dem Leben der Zofe Célestine, die vor rund 200 Jahren von Paris aufs Land zu einer neuen Anstellung geschickt wird. Der Titel lässt Anzügliches erahnen, mit dem Genre des anzüglichen Films wird aber höchstens kokettiert, obwohl es die meiste Zeit irgendwie um Sex geht.

Außer dass Célestine es hasst, zu dienen und subtil ihre Wirkung auf Männer einsetzt, um sich durchzuschlagen, erfahren wir nicht viel über sie. Das macht aber nichts, denn es genügt, ihr bei ihrem Alltag zuzusehen. Léa Seydoux ist wunderschön und ich hätte jetzt vielleicht auch gerne so eine Zofe in solch strengen Kleidern.

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Anschließend gehen der Lieblingsfreund und ich zum Essen in das neue Einkaufszentrum am Potsdamer Platz, das ich eigentlich aus Prinzip nicht betreten wollte. Keine Stadt braucht so viele Einkaufszentren. Darüber hinaus wurde ich den ganzen Dezember täglich zu jeder vollen und halben Stunde mit wirklich schlimmer Radiowerbung zu ebendieser 'Mall' terrorisiert. Als ich das Logo sehe, schnellen meine Augenbrauen nach oben. Die ersten Versuche der Logo-Entwicklung während meiner Ausbildung hatten diese in etwa die gleiche Qualität.

Wir umrunden den im Kreis angelegten 'Food Court' dann ganze drei Mal, bis wir uns endlich für etwas entscheiden können - das nur mäßig schmeckt. Zu viel Auswahl macht nicht glücklich.

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Danach haut mich der Wettbewerbsfilm Victoria um. Erst hinterher erfahre ich, dass Regisseur Sebastian Schipper ihn (drei Mal!) am Stück gedreht hat. Die Spanierin Victoria ist nur für drei Monate in Berlin und trifft nach dem Besuch eines Technoclubs auf vier Jungs, mit denen sie noch weiterzieht. Es ist jene Sorte Jungs, die ständig 'Alter' und 'Dicker' ans Ende ihrer Sätze hängt und Ärger provoziert.

'Noooaain, geh nicht mit!' will ich die ganze Zeit gen Leinwand rufen. 'Solche Typen vergwaltigen dich, rauben dich aus, tun dir nicht gut!' Ich habe ständig Angst um Victoria, die mich mit ihrer Mädchenhaftigkeit ein wenig an Björk erinnert.

Die vier Jungs gehen mir mit ihrem Gelaber und Geprotze so sehr auf die Nerven, dass ich überlege, die Zeit zum Schlafen zu nutzen. Es wird jedoch interessanter, als Victoria und der, der sich Sonne nennt, absetzen. So ruhig bleibt es jedoch nicht lang. Einer von den anderen muss eine Schuld begleichen und Sonne überredet Victoria, mitzumachen. Plötzlich ist das Ganze ist nicht mehr spielerisch, sondern knallhart - und ich bin drin in der Geschichte.

Dadurch, dass am Stück gedreht wurde und die Dialoge improvisiert waren, ist das Ganze sehr real und nah - hinzu kommt, dass Frederik Lau (Sonne) großartig spielt. Eigentlich dachte ich ja, dass Berlin neben Malls auch keine Berlin-Filme mehr braucht. Von wegen, dieser hier sollte einen Preis bekommen! (Hier gibt es ein Interview mit dem Regisseur und Ausschnitte.)

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Zwischen dem Ende von Victoria und dem Anfang von The Wizard of Oz liegen zehn Minuten. Und so kommt es, dass ich ausgerechnet jetzt in der ersten Reihe sitzen muss. Bevor es losgeht, wird gefragt wer den Film noch nicht gesehen hat. Mindestens ein Drittel zeigt auf. Wie geht das denn? Wie kann man diesen Film noch nie gesehen haben? "In Amerika kennen diesen Film eigentlich alle" erfahren wir. "Sie können jede beliebige Stelle daraus zitieren, das wird immer verstanden". Und tatsächlich ist mir auch schon aufgefallen, wie viele Oz-Referenzen es in anderen Filme und Serien gibt. Ich freue mich jedes Mal über sie.

Dass ich in der ersten Reihe sitze, strengt an und schmälert dann doch ein wenig den Genuss des Films. Es ist aber schon erstaunlich, wie viele Dinge ich nun zum ersten Mal sehe, obwohl ich 'Oz' vermutlich schon an die zwanzig Mal geschaut habe. Da ist zum Beispiel die Leinen-Struktur im Gesicht der Vogelscheuche oder die Warze am Kinn der bösen Hexe. Ich verliere mich vor allem in den Masken, Kostümen und Gesichtsausdrücken der Schauspieler_innen und muss ständig aufpassen, nicht mitzusingen oder mit den Füßen zu wippen. Über all meine Fragen, die wie immer aufkommen, blicke ich auch dieses Mal gütig hinweg. 'Oz' ist schließlich ein Märchen.

Anschließend sehe ich noch einen weiteren Film aus der Technicolor-Retrospektive. Leave her to Heaven ist ein Film Noir in bunt, deren zentrales Thema die Eifersucht ist. Ich kannte ihn noch nicht und bin sehr beeindruckt. Nun möchte ich eigentlich nur noch Sachen aus jener Zeit sehen, die mit dieser Technik produziert wurden. Welcher von diesen hier ist denn empfehlenswert?

Topic des Tages: Farbe
Erkenntnis des Tages: Filme im 4:3-Format wirken auf einer großen Leinwand erst einmal sonderbar.
Schlimmster Satz im Sitz neben mir: Wenn jetzt ein Porno käme, könnten wir hier vorne [Anm. in der ersten Reihe] gut vögeln.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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