Verwechslungsgefahr

63. Berlinale Heute werde ich neben dem Look of Love auch mit dessen Sound konfrontiert und habe etwa eine halbe Stunde wegen jemandem, der gar nicht da ist, einen erhöhten Pulsschlag

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Auf diesem Bild haben sich Anne Hathaway und Hugh Jackman versteckt
Auf diesem Bild haben sich Anne Hathaway und Hugh Jackman versteckt

Foto: Maike Hank

Ich habe Kopf, Bauch, Rücken und Kreislauf – und vor allem schon wieder verschlafen. Also kein Film über den Deep-Throat-Star Linda Lovelace, und als ich endlich am Potsdamer Platz ankomme, sind auch bereits alle Tickets für die Vorführung am Sonntag fort. Es ist nicht so schlimm, ich hatte gestern ja genügend Pornografie und gegen Nachmittag wird Sex ohnehin schon wieder eine Rolle spielen. Im verzweifelten Kampf gegen meinen Körper nehme ich zwei Ibuprofen ein und trinke sehr viel Kaffee auf ex.

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Arvin Chens Film Will You Still Love Me Tomorrow? erzählt die Geschichte eines Ehepaares – Weichung und Feng –, das bereits fast ein Jahrzehnt lang verheiratet ist und einen kleinen Sohn hat. Fengs Mutter drängt auf ein weiteres Kind, doch die Ehe verläuft in dieser Hinsicht ziemlich ereignislos. Weichung wird gleich zu Beginn des Films zum Geschäftsführer eines Brillenladens befördert und dort lernt er schon bald einen sehr hübschen Flugbegleiter kennen, zu dem er sich sehr hingezogen fühlt. Weichung ist nämlich schwul, hat diesen Teil seiner Vergangenheit jedoch allen verheimlicht und seiner Ehe zuliebe ad acta gelegt. Er kleidet sich mittlerweile wie ein langweiliger Durchschnittsbürger, wie Stephen, einer seiner alten Freunde, deprimiert feststellt. Dieser versucht der Romantik wegen die Beziehung zwischen Weichungs Schwester und ihrem dümmlichen Freund zu retten und ermutigt Weichung dazu, wieder ein schwules Leben zu führen, beispielsweise, indem er seine Frau einweiht und verheiratet bleibt. Was dramatisch klingt, ist hier jedoch mit außergewöhnlicher Leichtigkeit, Humor und Verspieltheit inszeniert und Feng singt beim beruflichen Besuch einer Karaokebar dann auch jenes Lied, das dem Film seinen Titel gab und welches ich bereits beim ungeduldigen Schlangestehen zum Ohrwurm hatte.
Will you still love me tomorrow? ist ein wundervoller Film mit einem schönen, unkitschigen Ende und ich bereue es nicht, dass ich deswegen zu wenig Zeit habe, um noch einen Platz in The Necessary Death of Charlie Countryman zu bekommen. Wie Lovelace ist schlielßlich auch der einer jener Filme, die man ohnehin irgendwann regulär zu sehen bekommt.

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Weiter geht es außerplanmäßig mit dem griechischen Film The Eternal Return of Antonis Paraskevas von Regisseurin Elina Psykou. Hier täuscht der langjährige Frühstücksfernsehenmoderator Antonis seine Entführung vor, um den gesunkenen Marktwert wieder in die Höhe zu treiben. Er befindet sich währenddessen auf einer im Winter geschlossenen Ferienanlage, wo er regelmäßig um vier Uhr aufwacht (die Macht der Gewohnheit) und die Zeit totschlägt, indem er ein Molekularküchenset ausprobiert und den beiliegenden Erklärfilm nachdreht, alleine Tennisbälle übers Netz schlägt, mit einem heruntergekommenen Tretboot im seichten Swimmingpool katatonisch gegen die Wand fährt, alleine in der Karaokebar singt oder Spaghetti mit Ketchup isst. Zwischendurch verfolgt er auf im ganzen Hotel verteilten Fernsehgeräten die neuesten Entwicklungen zu seiner Entführung, beobachtet, wie seine Kollegen darauf reagieren.
Erst mag ich den Film und seine Tristesse, mag die Verzweiflung und Aufgeschmissenheit, die der alternde Antonis in sich trägt. Aber als sein Kumpel ohne Absprache viel zu früh die Öffentlichkeit von einer geplanten Geldübergabe informiert, rasiert Antonis sich Haare und Bart ab, macht sich aus dem Staub, streunt durch die Gegend und wird mir zunehmend unsymphathischer. Er begeht schließlich sogar einen Mord, als seine Identität aufzufliegen droht und das Ende des Films tritt unvermittelt ein und ist ziemlich uneindeutig. So gesehen habe ich kein befriedigendes Filmerlebnis, wenngleich es wirklich sehr gute Momente gab. Beispielsweise, als Antonis sich Ausschnitte einer Best-of-Antonis-Paraskevas-DVD ansieht, die nach dem Bekanntwerden seiner Entführung einer Illustrierten beigelegt wurde und dort unter anderem zu sehen ist, wie er beim Eurovision Song Contest für Griechenland die Punkte ansagen darf – und die 12 dann an Zypern geht.

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The Look of Love von Michael Winterbottom zeichnet das Leben von Paul Raymond nach – einer der reichsten Briten des letzten Jahrhunderts. Nachtclubs, Revues, Theaterstücke, Nacktmagazine und Immobilien haben ihn dazu gemacht. Ich muss zugeben, dass es mir nach den vielen bisher gesehenen kleinen Filmen gut tut, eine teuer produzierten Biografie zu gucken, bei der von vorne bis hinten alles durchgestaltet ist. Solche Filme leben ja immer sehr von Mode, Popart, der gut inszenierten Nacktheit schöner Frauen und vor allem der gut ausgewählten Musik. Das ist hier alles ordentlich umgesetzt und ich mag Steve Coogan in der Rolle des exzentrischen Engländers. Aber es gibt in diesem Genre bessere Filme – zum Beispiel Studio 54 oder Boogie Nights.

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Auf dem Weg ins Café komme ich am Seiteneingang des Hyatt Hotels vorbei. Es stehen besonders viele Menschen dort und warten. Es ist schwierig, vorbeizugehen ohne sich anstecken zu lassen, wenn man regelrecht spürt, dass es gleich soweit ist und irgendwelche famosen Schauspieler in die bereitgestellten Wagen steigen und so stelle ich mich dazu, obwohl ich mir nach dem eineinhalbstündigen Wartedesaster auf Meryl Streep im letzten Jahr geschworen hatte, mich nie wieder dergestalt zu entblöden. Nach fünf Minuten ist das Gekreische groß. Ich knipse fast ins Nichts, erblicke Anne Hathaway, irgendjemand spricht von Jude Law und gerade noch glaube ich, ihn in den Wagen einsteigen zu sehen, der kurz darauf direkt neben mir vorbei fährt. Ich sehe Jude Law neben dem Fahrer sitzen und bin peinlich berührt ob meiner teenageresken Aufgeregtheit. In Versalien verkünde ich auf Twitter der Welt, wen ich gerade gesehen habe.
Etwa eine halbe Stunde später merke ich, dass es sich stattdessen um Hugh Jackman handelte, da dieser gemeinsam mit Anne Hathaway in diesem schrecklichen Musicalfilm spielte, und dieses peinliche Erlebnis demonstriert mir doch recht eindrucksvoll, wie austauschbar und egal solche Ereignisse eigentlich sind.
Eigentlich. Jude Law steht dann selbstverständlich am Dienstag auf der Agenda.

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"Wenn das Leben noch keine Dramaturgie hat, braucht der Film sie auch nicht" steht in der Beschreibung von Keiko Tsuruokas The Town of Whales, doch das sehe ich anderes. Die Jugendlichen Machi, Tomohiko und Hotaru machen sich auf den Weg nach Tokio, um Machis Bruder zu finden, der vor sechs Jahren forting. Tomohiko ist in Machi verliebt. Hotaru in Tomohiko und Machi ist verstört wegen ihres Bruders. Die ständig wechselnden Launen der Jugendlichen nerven, man sieht praktisch nichts von Tokio und dann fehlt da eben auch jegliche Dramaturgie. Sayōnara.

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Auf dem Weg zur U2 komme ich an Klaus Kinskis Stern auf dem ohnehin so lächerlichen Walk of Fame vorbei. Danke Klaus, es tut nicht mehr weh steht auf einigen der Schildern, die die Teddys um den Hals tragen. Uff.

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Geschrieben von

Maike Hank

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Maike Hank

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