„Ich will Energie freisetzen“

Interview Philipp Schönthaler wagt sich als Schriftsteller dorthin, wo es wehtut – in die Welt des Unternehmensmanagements
Ausgabe 41/2016
Prototyp des Storytellings: Steve Jobs (rechts) 1983 mit einem Techniker und dem Apple Lisa
Prototyp des Storytellings: Steve Jobs (rechts) 1983 mit einem Techniker und dem Apple Lisa

Foto: Ted Thai/the life picture collection/Getty Images

Storytelling, das ist ein zweifelhaftes Modewort. Manche haben keinen Schimmer, nur wenige können wirklich sagen, was es eigentlich bedeutet. Als Erzählform soll Storytelling die derzeit genialste Zeitgeistwaffe für Unternehmen sein. Die Strategie: Geschichten rund um Marken zu entwickeln, ist überzeugender, als harte Fakten herunterzubeten. Entsteht hier gar eine neue Poesie? Philipp Schönthaler erklärt, warum Manager die besseren Erzähler sein können.

der Freitag: Herr Schönthaler, ob Nike, Danone oder die Deutsche Post – viele Unternehmen arbeiten mit dem sogenannten Storytelling. Was kann Storytelling und was nicht?

Philipp Schönthaler: Storytelling gilt heute als die wirksamste Kommunikationsmethode für Unternehmen. Gattungstheoretisch zählt Storytelling eher zu einer mündlichen Tradition des Erzählens. Interessant waren für mich die Versprechen und Projektionen, mit denen die Erzählung im Management aufgeladen ist. Im Gegensatz zu Statistiken kann sie Visionen freisetzen. Storyteller in Firmen knüpfen daran nun sehr konkrete Erwartungen. Steve Clayton, der als Chief Storyteller bei Microsoft angestellt ist, traut seiner Abteilung mit 25 Mitarbeitern letztlich sogar zu, den Kurs des Weltkonzerns lenken zu können.

Vor Ihrem Essay schrieben Sie einen Roman über die Welt des Managements. Warum haben Sie diese Reihenfolge gewählt, erst die Fiktion, dann die Theorie?

Nachdem ich das Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn geschrieben hatte, war ich mir unsicher, ob ich mich weiter mit der Managementwelt beschäftigen will. Damals gab es zudem eine kleine Welle von Büchern über Unternehmer. Gemeinsam war allen – meinen eigenen Roman wohl eingeschlossen –, dass Manager stets als böse Buben daherkommen. Ich habe überlegt, ob es sich Literatur mit diesem Reflex zu einfach macht. Gemeinsam mit der Entdeckung, dass sich ein Zweig des Managements selbst mit dem Erzählen beschäftigt und sich damit auf dem Feld meiner Kompetenz als Schriftsteller bewegt, waren das Mitauslöser für das Buch.

Philipp Schönthaler, Jahrgang 1976, schrieb 2013 mit Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn einen Roman über die Zumutungen des Arbeitslebens. Nun legt er mit Portrait des Managers als junger Autor (Matthes & Seitz, 168 S., 15 €) essayistisch nach

Sie sagen, das Storytelling sei aus einer literarischen Perspektive zu begrüßen, nicht zu verdammen. Sie raten zur Konfrontation, um aus der Position der Machtlosigkeit herauszukommen. Wie soll so ein Duell aussehen?

Ich denke, im Sinne Jean Baudrillards, eher an eine Strategie, die statt Analyse, Aufklärung oder Entlarvung eine Berührung mit ihrem Untersuchungsgegenstand sucht. Die Erzähltheorie besagt, dass man eine unwahre Erzählung zwar richtigstellen kann, ihren Bann bricht man dagegen nur mit einer neuen Erzählung. Wie schwer das sein kann, lässt sich am US-amerikanischen Wahlkampf beobachten. Keine der Enthüllungen konnte Donald Trump bislang diskreditieren. Spannend war etwa Michelle Obamas Rede auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten, bei der sie Trumps „Make America great again“ eine andere Erzählung entgegenzusetzen suchte, „Don’t let anybody ever tell you this country isn’t great“ – lass dir bloß von niemandem erzählen, dass dies kein großes Land ist. Bei aller Brillanz von Michelle Obamas Auftritt, sie vermag nicht den Bann von Trumps Slogan zu brechen. Eine Lektion, die sich daraus für eine Literatur ableitet, die aus ihrer Machtlosigkeit herauszutreten sucht, lautet flapsig formuliert: Man muss den gepflegten Rasen verlassen, auf den sich die Literatur aus einer Ansteckungs- oder Profanierungsangst vor Phänomenen wie dem Management gern zurückzieht.

Wie soll das aussehen?

Im Kleinen passiert das ja bereits – vielleicht weniger mit Autoren, aber mit Geisteswissenschaftlern. In seinem jüngsten Roman Satin Island berichtet Tom McCarthy zum Beispiel von einem Ethnologen in der Wirtschaft. Grundsätzlich geht es mir aber um eine Auseinandersetzung, in der die Rollen zwischen Gut und Böse oder Richtig und Falsch nicht von vornherein verteilt sind. Daher liefert das Buch auch weniger Antworten, es will vielmehr Energien freisetzen.

Sie sagen, Storytelling sei gerade im Zeitalter der Baudrillard’schen Hyperkomplexität ideal. Weil das Erzählen den kapitalistischen Entfremdungs- und Abstraktionsprozessen neue Bilder der Vergemeinschaftung entgegenstellt. Deswegen lösten die neuen Medien die alten nicht ab, sondern integrierten diese. Der digitale Wandel ist also gar keiner?

Doch, es gibt zweifelsfrei einen digitalen Wandel, auch wenn dieser, sofern man von der Digitalität als allgemeiner kultureller Logik ausgeht, lange vor dem Internet eingesetzt hat. Man findet derzeit zwei Positionen. Die eine Seite glaubt im Zuge der Computerisierung an die Macht der Zahlen und Daten, und zwar auch als Heilmittel gegenüber Erzählungen. Gleichzeitig hat die Erzählung eine Konjunktur erfahren, ein Beispiel ist der narrative turn in der Wissenschaft. Manche argumentieren sogar, dass unser Hirn auf narrative Strukturen programmiert sei. Hier siedelt sich auch das Storytelling an. Wenn ein Unternehmen wie Microsoft also eigens Positionen für Storyteller ausschreibt, legt dies den Schluss nahe, dass auch die Digitalökonomie nicht ohne die Erzählung auskommt.

Create your life

Als Storytelling wird inder Werbung und der Public-Relations-Branche das Erzählen von Geschichten rund um eine Marke bezeichnet. Durch Unterhaltung und Witz erzeugt man Aufmerksamkeit, vor allem aber nachhaltige Identifikation mit dem Produkt oder dem Unternehmen. Der 2011 verstorbene Apple-Chef Steve Jobs ist dafür ein berühmtes Beispiel. Storytelling will Marken in eine kollektive Erzählung einschreiben. Die Erzählung verwandelt Botschaften in Geschichten, in ein Lebensgefühl, sie affirmiert einen Zeitgeist oder kreiert ihn sogar. Als einer der ersten Storyteller gilt Red Bull. Der Energydrinkkonzern verdient mittlerweile mehr Geld mit Events als mit dem Absatz seiner Getränke. Zum Storytelling werden heute auch die Angestellten einer Firma ermuntert. Inzwischen gibt es für diese Arbeit ein definiertes Jobprofil und Stellenausschreibungen. Storytelling ist nicht zuletzt auch das Überlebenskonzept von Zeitungen. kk

Kann man „Erzählen“ nicht auch mit „Visionen“ übersetzen – ohne die wir alle verloren sind?

Erzählungen können Visionen beinhalten, gerade im Storytelling. Ich würde eher von Mythen sprechen, die unsere Gesellschaft und Kulturen grundieren – aber eben auch die Ökonomie und besonders die Digitalökonomie. Steve Jobs hat das verstanden, bekannt ist der Satz, mit dem er den Pepsi-Manager John Sculley zu Apple lockte: „Willst du für den Rest deines Lebens Zuckerwasser verkaufen oder eine Chance haben, die Welt zu verändern?“ Im Buch argumentiere ich, dass die Erzählung selbst zu einem Mythos geworden ist, der das Erzählen als anthropologische Konstante darstellt. Und hier treffen sich interessanterweise Storyteller wie Steve Jobs mit Literaten – etwa wenn Daniel Kehlmann in seiner Göttinger Poetikvorlesung vom „sprudelnden Erzählen“ spricht und dies damit gleichsetzt, was es heißt, Mensch zu sein. Das ist ebenso eine Überhöhung. Anders formuliert: Es gibt kein unschuldiges Erzählen.

Wie Sie berichten, finanzierte der US-amerikanische Geheimdienst in den 50ern Workshops für kreatives Schreiben. Schockiert Sie die Instrumentierung der Literatur durch die CIA?

Nein. Im sogenannten Ideen- oder Propagandakrieg ging es vor allem um die Verbreitung US-amerikanischer und liberaler Werte gegenüber der Sowjetunion und dem Kommunismus. Mir geht es hier aber darum, allgemein die Entstehungsgeschichte des kreativen Schreibens in den USA zu verstehen. Aufschlussreich ist jedoch die Tatsache, dass die liberale Ideologie während des Kalten Kriegs in den Schreibwerkstätten in eine konkrete Poetologie übersetzt wurde. Zum Beispiel wurde das Individuum gegenüber dem Kollektiv, die Freiheit gegenüber der politischen Doktrin oder das Sinnliche gegenüber der Theorie bevorzugt, und zwar, indem diese Ästhetik mit Lehrsätzen wie „show, don’t tell“ als allgemeine, zeitlose ausgegeben wurde. Dieser Sachverhalt ist viel brisanter als die letztlich eher geringen Geldsummen. Hier wäre die Lektion einmal mehr, dass es auch in der Literatur kein unschuldiges Erzählen gibt.

Das Gespräch führte Maike Wetzel

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