Einführung in die Kontemplation

Ein Wochenende im Kloster Kontemplation als richtiger Weg, eine Gottesbeziehung zu spüren? Ein Versuch.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Bevor Campino von der Punkrock-Band DIE TOTEN HOSEN die 1996 erschienene Scheibe "Opium fürs Volk" komponierte, hatte er sich einige Zeit in einem Benediktinerkloster im Sauerland aufgehalten. Das hatte mich schon damals beeindruckt: der Anti-Established-Mann geht ins Kloster! In den Folgejahren sind mir Menschen persönlich begegnet, die sich auf "Kloster auf Zeit" oder zumindest auf einen mehrtägigen Aufenthalt im Schweigen in einer Abtei eingelassen hatten. Und immer wieder mal habe ich darüber gelesen, dass viele Klöster für den modernen Menschen der hektischen Zeit ruhestiftende Bildungsprogramme anbieten. Nun habe ich mich selbst zu einem Klosteraufenthalt entschlossen und habe den zweitägigen Kurs "Einführung in die Kontemplation" gebucht.

Kontemplation ist eine christliche Form der Meditation. Sie begreift sich als stilles Gebet, und der Übende verfolgt das Ziel, seine innere Stille zu spüren und darüber in Einklang mit Gott zu finden. Als von der Multitasking-Philosophie der Gegenwart geplagte Kreatur finde ich, das ist ein verheißungsvolles Anliegen.

Im Kloster finden sich mit mir noch 21 weitere Suchende ein, die den Kontemplationskurs gebucht haben. Zu meiner Überraschung sind es zum überwiegenden Teil Männer. Die meisten sind sicher über 50 Jahre alt, lediglich zwei jüngere Teilnehmer entpuppen sich als sogenannte Postulanten, die sich seit wenigen Monaten im Kloster aufhalten und offenbar gerade prüfen, ob das als dauerhafte Lebensform für sie in Betracht kommt. Auch die weiblichen Teilnehmerinnen befinden sich nach meinem Eindruck alle in der zweiten Lebenshälfte. Unser Kursleiter, ein Mönch, wird später anmerken, dass Kontemplation eher Menschen in der zweiten Lebenshälfte anspreche, da es in dieser Phase darum gehe, sich seinem Inneren zuzuwenden.

Und das versuchen wir in den kommenden zwei Tagen in insgesamt vier Übungseinheiten, die zwischen anderthalb und drei Stunden dauern. Ziel ist es zunächst, sich in aufgerichteter, aber bequemer Haltung auf einem Gebetskissen oder Bänkchen sitzend auf sich selbst zu konzentrieren. Wie man es aus so manchem Kurs für Autogenes Training, Yoga oder von der Meditationsreise kennt, sollen wir unsere Füße, Beine, Knie und dann vor allem den Atem wahrnehmen und uns dabei absichtslos auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Schon bald stellt sich die Schwierigkeit dieser scheinbar banalen Übung ein. Ein reger Gedankenfluss setzt ein, ich bleibe an den kleinsten Eingebungen hängen, bin gedanklich schon wieder beim Morgen, der Arbeit, dem letzten Telefonat, der politischen Lage, meinen Plänen für nächste Woche usw., usw.
Wenn ich versuche, meine Konzentration durch das Schließen der Augen zu steigern, werde ich umgehend müde. "Das Bewusstsein senkt sich ab", erklärt der Bruder. Wen das öfter treffe, der sei entweder wirklich übermüdet oder in dessen Seelenkeller befinde sich etwas, das nach dringender Auseinandersetzung rufe. Schmunzelnd bemerkt er, dies sei auch aus dem therapeutischen Kontext bekannt. Wenn der Patient auf der Psychotherapeutencouch einschlafe, sei dies ein sicheres Zeichen für den Versuch, sich dem therapeutischen Zugriff zu entziehen.
Ich werde nachdenklich. Eigentlich dachte ich, mein Seelenkeller sei ganz gut aufgeräumt. Ich beschließe, am Abend erst einmal früh schlafen zu gehen und abzuwarten, ob meine Müdigkeit nicht doch einfach die Folge einer uferlosen Unausgeschlafenheit ist.

So kommt es mir gerade recht, dass die Kursteilnehmer nach Abschluss der ersten Übungseinheit schweigen sollen. Der Kursleiter hält uns dazu an, das Schweigen während des gesamten Kurses zu praktizieren, auch außerhalb der Übungszeiten, da es – ähnlich wie das Fasten – der beste Weg sei, damit die Seele zu sich finde. Alle großen Weltreligionen, die sich unabhängig voneinander entwickelt haben, kennen ja diese beiden Methoden, um zu innerer Reinigung, Erleuchtung oder Ruhe zu finden. Wir sollen auch nicht lesen, Fern sehen oder gar am Smartphone herumspielen. Letzteres tue ich abends auf meinem Zimmer heimlich trotzdem. Schließlich gibt es keine Schulnoten für den Kurs und wenn überhaupt, dann beschummle ich mich allenfalls selbst.

Der folgende Morgen beginnt mit einem frühen Gottesdienst und der ersten Sitzübung noch vor dem Frühstück. In der großen Abteikirche finden sich im Klostergestühl die Brüder ein und singen im Wechsel Gebete. Den Text kann ich nicht zuletzt mangels des richtigen Gesangbuches nicht verstehen, aber die Atmosphäre in der kühlen, großen Kirche mutet besonders an. Mönchsgesänge kenne ich nur von der CD. Hier zwischen den Mauern ergreift mich ein wohliger Schauer.

Nach dem Frühstück gibt unser Lehrer uns einen kurzen historischen Abriss über die Entwicklung der Kontemplation in der katholischen Kirche. Dort habe sie immer eine Nische gehabt, während es in der evangelischen Kirche wenig Raum für die Praxis der Kontemplation gegeben habe. Der Kursleiter verweist dabei auf Martin Luther, der das Wort in den Mittelpunkt der religiösen Auseinandersetzung gestellt habe.
Ich bin evangelisch und bin aus mannigfachen Gründen darüber immer ziemlich froh gewesen. An diesem Vormittag aber ärgere ich mich über Martin Luther. Tatsächlich empfinde ich es als Defizit, dass die evangelische Kirche eine überwiegend verkopfte Religionspraxis entwickelt hat. Unsere Gottesdienste kommen mir nicht selten wie intellektuelle Vorträge vor, die den Verstand in der Textinterpretation schulen, die übrigen Sinne jedoch hungern lassen. Das Empfinden einer lebendigen Gottesbeziehung ist da eher schwierig. Im Internet lese ich, dass das kontemplative Gebet weniger auf das Gespräch mit Gott aus sei, denn auf das Lauschen. Als Evangelische bin ich offensichtlich taub. Welch ein Mangel!

Nach dem theoretischen Exkurs lernen wir den nächsten kontemplativen Schritt. Wir suchen uns ein zweisilbiges Wort aus, das wir uns im Rhythmus des Atems in der Stille achtsam zusprechen. Es wirkt wie ein Geländer und hilft mir, die Aufmerksamkeit etwas besser bei mir selbst zu halten und die Gedanken einzufangen.
Nach einigen Übungsrunden, die von achtsamem Gehen im Kreis und Feldenkrais-Übungen aufgelockert werden, bietet der Kursleiter uns die Möglichkeit, über unser Befinden zu reflektieren. Die Kursteilnehmer haben die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht, manche berichten von intensiven Empfindungen und der Wahrnehmung tatsächlicher Gottesnähe. Ich selbst kämpfe noch immer mit bleischweren Gliedern und absinkendem Bewusstsein. Ein kleiner Erfolg hat sich aber auch bei mir eingestellt. Ich habe etwas Abstand zu meinen sprunghaften Gedanken bekommen und bin ruhiger geworden als am Vortage.
Mehr als dieses Ergebnis wird sich bei mir auch nach Abschluss des Kurses am Folgetag nicht einstellen, an dem wir - sozusagen als Königsdisziplin - drei mal 25 Minuten üben, uns zu konzentrieren und absichtslos in uns hinein zu spüren.

Für einen Anfänger ist das vielleicht gar nicht so schlecht. Wie ich den Ausführungen unseres Lehrers entnehme, dauert es viele Jahre, bis man in der Kontemplation an den erstrebten Punkt der Gottesnähe kommt und sich das Gefühl einstellt, in Gott schon immer aufgehoben zu sein. Und was es nicht braucht, ist ein Wollen. Nichts ist zu erzwingen, sondern der Weg setzt sich fort, indem der Übende es geschehen lässt.

Dass ich die Kontemplation in dieser Weise weiter übe, bezweifle ich augenblicklich, da ich nicht die Ausdauer aufbringen werde, die täglichen Übungseinheiten in meinen Alltag zu integrieren. Dennoch war das Wochenende für mich ein wichtiger Impuls, um das bewusste Leben im Hier und Jetzt wieder mehr in meinen Fokus zu rücken. Das allein ist noch keine religiöse Erkenntnis, aber der Wunsch nach erlebter Spiritualität, so vermute ich, lässt sich am ehesten umsetzen, wenn man Zeiten der Ruhe mehr Raum gibt, ohne sie mit ablenkender Zerstreuung zu verwechseln.

Und noch ein Gedanke ist mir an diesem Wochenende gekommen: Religion wird in unserer Gesellschaft und in der veröffentlichten Meinung gegenwärtig überwiegend mit drei Dingen assoziiert: Extremer Islamismus, sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche und Indifferenz der Mehrheitsgesellschaft, die im Übrigen den aktiven Volkskirchenchristen als schrullig Vorgestrigen belächelt. Der moderne Mensch, so scheint es mir, präsentiert sich gern als einer, der die Religion bereits überwunden hat.
Auch ich selbst kann nicht von mir behaupten, dass ich immer vorbehaltlos glaube. Wenn ich über den christlichen Glaubensinhalt nachdenke, kommen mir zuweilen Zweifel. Dies scheint mir jedoch weniger ein Zeichen für persönliche Weiterentwicklung zu sein als vielmehr ein bedauerlicher Verlust einer Fähigkeit. Die Suche des Menschen nach Einbindung in ein größeres Ganzes, nach Spiritualität, Sinnhaftigkeit und Zuwendung zu einem höheren Wesen oder einer höheren Kraft zieht sich durch die Menschheitsgeschichte. Die unterschiedlichen Religionen sind dabei nach meiner Auffassung nur verschiedene Transparente, durch die man diese Fragen betrachtet. Dass die Welt ohne Religion eine bessere wäre, möchte ich hingegen bezweifeln.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Malahia Malahios

Aus der Mitte des Lebens in die Welt blickend, schreibend, singend, denkend...

Malahia Malahios

Kommentarfunktion deaktiviert

Die Kommentarfunktion wurde für diesen Beitrag deaktiviert. Deshalb können Sie das Eingabefeld für Kommentare nicht sehen.