Isolationshaft für Ältere?

Corona-Pandemie Politiker fordern die Fortdauer der Isolation für Ältere, damit Jüngere wieder "normal" leben können

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Die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid 19-Infektionen hatten von Anfang an den faden Beigeschmack einer als „Schutz“ deklarierten Ausgrenzung einzelner Gruppen. Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- oder Pflegeheimen durften nicht einmal mehr von engsten Angehörigen besucht werden, Obdachlosen wurde der Zugang zu Hilfeeinrichtungen verwehrt, in Gefängnissen wurden Besuche verboten, der Aufenthalt im Freien, die sog. Freistunde, untersagt und ein ganztägiger Zelleneinschluss angeordnet. Asylsuchende wurden in den Massenunterkünften isoliert, statt ihnen mehr Sicherheit in Einzelzimmern in vorübergehend geschlossenen Hotels zu bieten. Über die verpflichtenden Maßnahmen hinaus wurde älteren Menschen empfohlen, keine Einkäufe mehr zu tätigen und möglichst alle sozialen Kontakte zu vermeiden. Das alles mit der Begründung, für diese besonders infektionsanfälligen Konstellationen gebe es keinerlei Alternative.

Ganz anders sieht es mit dem Schutz für besonders gefährdete Ältere in den Begründungen von Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Schleswig aus, durch die Bewohner von Zweitwohnungen verpflichtet wurden, sofort das Land Schleswig-Holstein zu verlassen. So heißt es in der Begründung eines Beschlusses vom 23.03.2020 (Aktenzeichen 1 B 22/20):

„Die geltend gemachte Zugehörigkeit des Antragstellers und seiner Lebensgefährtin zu einer Risikogruppe aufgrund des Alters von 72 bzw. 71 Jahren und die Gesundheitsschädigung durch die Lungenkrankheit COPD bei der Lebensgefährtin stellen indes keine außergewöhnliche Härte dar, die es rechtfertigen würde, dem privaten Aufschubinteresse den Vorrang vor den geschilderten öffentlichen Interessen einzuräumen. Es ist zwar verständlich, wenn der Antragsteller sich und seine Lebensgefährtin vor jeglicher Risikoerhöhung schützen möchte, sie würden sich jedoch in Hamburg in einer Lage befinden, in der sich viele Personen dieser Altersgruppe mit nur einem Haushalt befinden.“

Dahinter steht die Auffassung, dass die privilegierten „Influencer“ von außerhalb möglichst schnell verschwinden sollen, gleichgültig, welche gesundheitlichen Folgen das für sie haben möge, obwohl sie sich schon 14 Tage auf dem Land in Quarantäne befunden haben und vorerst keine Gefahr für andere darstellen. Auch in Hamburg ist das Infektionsrisiko in der Villa in Blankenese oder Harvestehude niedriger als in der Hochhaussiedlung in anderen Stadtteilen!

Deshalb macht es hellhörig, wenn in der Sendung „ARD-Extra“ am 26.03.2020 Politiker sich dahingehend äußern, dass die Wirtschaft nach Ostern wieder hochgefahren werden müsse, dass aber Hochrisikogruppen weiterhin isoliert bleiben müssten. Es gehört wenig Fantasie dazu, sich auszumalen, dass das wohl die Menschen ab einem Alter von 65 Jahren treffen wird, die immerhin 24% der Bevölkerung Deutschlands ausmachen. Franz Müntefering als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen befürwortete das am 27.03.2020 im RedaktionsNetzwerk Deutschland schon recht eindeutig.

In Verbindung mit den eingangs geschilderten Maßnahmen in Alteneinrichtungen und Gefängnissen entsteht der Eindruck, Menschen, die nicht (mehr) „gebraucht“ werden, können als „besonders schutzbedürftig“ bedenkenlos längerfristig aus dem gesellschaftlichen Leben verbannt werden, um dem Rest der Bevölkerung nicht zur Last zu fallen. Das würde das System selbstverständlich sehr entlasten. Der anfälligste Teil der Bevölkerung wäre aus dem Wege geräumt und für die übrigen zu erwartenden Infektionsfälle würde die Anzahl der Intensivbetten ausreichen. Der sich hier ankündigenden Spaltung der Gesellschaft und Entmündigung älterer Menschen kann wahrscheinlich nur noch die Reiselust der Älteren und ihr Interesse am kulturellen Leben Einhalt gebieten, weil sie als Wirtschaftsfaktoren eben doch gebraucht werden.

Michael Alex

Diplom-Psychologe und Jurist (72 Jahre alt)

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Geschrieben von

Michael Alex

Psychologe und Jurist (Kriminologie), Rentner

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