Alles nur Bluff?

Nordkorea "Das ist nur eine eskalierende Serie rhetorischer Stellungnahmen", zitiert der SPIEGEL heute das US-Außenministerium zu Nordkoreas Drohungen. Ob man sich da nicht irrt?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Seit dem 7. März, als infolge des dritten Atomwaffentests die neuesten UN-Sanktionen gegen Nordkorea beschlossen wurden, sogar unter Mithilfe seines genervten Verbündeten China, vergeht kaum ein Tag, an dem Kim Jong Un nicht immer wüstere Drohungen gegen Südkorea und die USA ausstößt und alle bisherigen zarten diplomatischen Annäherungsversuche wie mit einer Planierraupe niederreißt.

Eine kurze Chronik der Eskalation:

  • Direkt nach dem UN-Beschluss wird der heiße Draht in den Süden gekappt.
  • Gleichzeitig wird der Nichtangriffspakt mit Südkorea aufgekündigt.
  • Am 12. März verlautet seitens Nordkorea, die Insel Baengnyeong werde das erste Angriffsziel sein.
  • Am 14. März behauptet Nordkorea, das Internet sei infolge eines feindlichen Hackerangriffs ausgefallen und man habe ein Manöver mit scharfer Munition in Grenznähe begonnen.
  • Zwei Tage später droht man mit einem Atomangriff per Langstreckenrakete, was später auf amerikanische Stützpunkte in Guam und Japan konkretisiert wird.
  • Am 27. März werden alle Telefonleitungen zum Süden gekappt.
  • Am 29. März versetzt Nordkorea die strategischen Raketen in Startbereitschaft.
  • Nur einen Tag später wird der Kriegszustand verkündet.
  • Am 2. April nimmt Nordkorea die Urananreicherung zum Bau neuer Atombomben wieder auf.
  • Ab dem 3. April wird das mit Südkorea betriebene Industriegebiet Kaesong mehr und mehr abgesperrt und stillgelegt.
  • Außerdem bewilligt Kim Jong Un einen nuklearen Angriff auf die USA.
  • Gleichzeitig werden mindestens zwei strategische Raketen an die Ostküste verlegt.
  • Am 5. April erhalten diverse Staaten den Hinweis, dass es besser sein könnte, das Botschaftspersonal zu evakuieren.

Bislang haben Südkorea und die USA auf diese lange Liste erheblicher Drohungen nur mit den üblichen Manövern und der strategischen Stationierung defensiver Einheiten z. B. zur Raketenabwehr reagiert. In offiziellen Stellungnahmen wird alles zu rhetorischem Geplänkel heruntergespielt.

Aber ist es wirklich so einfach? Der letzte Atomtest war definitiv ein Erfolg und wird von Wissenschaftlern auf bis zu 40 Kilotonnen Sprengkraft eingeschätzt, was verglichen mit den beiden vorangegangenen Tests eine erhebliche Verbesserung ist. Nun behaupten zahlreiche Nordkorea-Experten zwar, Nordkorea sei gar nicht in der Lage, nukleare Sprengköpfe für die Raketen herzustellen geschweige denn die Raketen sicher ins Ziel zu bringen. Wenn man bedenkt, dass der US-Auslandsgeheimdienst CIA angeblich keinen einzigen Mitarbeiter im Bürgerkriegsland Syrien hat, fragt man sich schon, wie es um die Aufklärung im viel stärker abgeriegelten Nordkorea gestellt ist. Satelliten können jedenfalls alleine kein zuverlässiges Lagebild erstellen, so dass man die Qualität solcher Expertenmeinungen hinterfragen muss.

In der Tat spricht einiges dagegen, dass es sich um die übliche Drohkulisse handelt. Bislang gab es immer ein, zwei Provokationen, dann war Ruhe. Dass die Drohungen immer heftiger werden, ohne auch nur irgendeinen Weg aufzuzeigen, die Eskalation zu unterbinden, ist neu. Viel wird auch argumentiert, Nordkoreas neuer Führer müsse seine Position erst noch festigen und gebe sich deshalb als harter Hund.

Könnte es nicht vielmehr so sein, dass der zu Beginn seiner Amtszeit medienwirksam mit Gattin und Entspannungsrhetorik angetretene Kim Jong Un selbst Opfer eines Putschs wurde und nur noch als nützlicher Idiot fungiert? In den Medien wurde von brutalen Säuberungsaktionen gegen Hardliner im Militär gesprochen, die diesen Kurs nicht mittragen wollten. Gut möglich, dass das mächtige Militär nun zurückgeschlagen und Kim Jong Un in die Schranken verwiesen hat und als Sprachrohr benutzt. Ohnehin scheint es im nordkoreanischen Militär genügend Irre zu geben, die sich ernsthaft auf den Endkampf freuen, der ihnen seit 60 Jahren verwehrt wird.

Ob die UN-Sanktionen aus nordkoreanischer Sicht nun irgendein Fass zum Überlaufen gebracht haben, sei dahingestellt. Es ging um Reiseverbote und Kontensperren. Bislang schätzte man auch in Nordkoreas Führungsclique westliche Dekadenz, z. B. in Form gepanzerter Mercedes-Limousinen oder teurer Cognacs, die man auf dubiosen Kanälen ins Land brachte. Sollte dies nun nicht mehr möglich sein, wer weiß, ob nicht auch ein Teil der gemäßigten Generalität deswegen zu den Hardlinern überläuft, weil es mit dem Luxus aus ist.

Die wichtigste Frage aber scheint zu sein, wie Nordkorea ohne totalen Gesichtsverlust aus dieser Krise hervorgehen will, zumal eben nicht einmal ersichtlich ist, wie Südkorea und die USA entgegenkommen könnten. Die Wahrung des eigenen Gesichts spielt in der fernöstlichen Kultur eine ungleich höhere Rolle als im Westen bis hin zu ritualisierten Selbstmorden und Verstümmelungen. Wie könnte eine fernöstliche Staatsführung nach einer derart unergiebigen Provokationsorgie einfach so weitermachen, als sei nichts gewesen? Die einzige Antwort ist: Gar nicht.

Als Folge muss man also eskalieren, bis es knallt. Natürlich ist das auf lange Sicht auch Selbstmord; das kleine Nordkorea stünde allein gegen praktisch alle außer Dennis Rodman. Aber wird Nordkoreas Vernichtungspotenzial nicht auch massiv unterschätzt. Aussagen wie die, dass Nordkorea ja gar nicht zu wirksamen Schlägen mit seinen Raketen in der Lage sei, sind bestenfalls arrogant. Nehmen wir als Beispiel doch Israel: Niemand zweifelt daran, dass dieses noch viel kleinere Land es geschafft hat, etliche funktionierende Atomwaffen und die dazugehörigen Trägersysteme zu entwickeln. Dabei gab es bislang keinen einzigen offiziellen Atomtest Israels, höchstens der sogenanne Vela-Zwischenfall über dem Südatlantik könnte einer gewesen sein.

Was spricht also dagegen, dass Nordkorea in Wahrheit vielleicht sogar schon über einige Dutzend einsatzbereiter Sprengköpfe verfügt und sie auch einsetzen will? Ziemlich wenig. Auch sollte man die nordkoreanische Armee im Allgemeinen nicht unterschätzen. Ja, große Teile ihrer Ausrüstung sind völlig veraltet, aber wenn in diesem apokalyptischen Land überhaupt etwas funktioniert, dann das Militär. Allein durch seine schiere Größe und hohe Motivation ist es in der Lage, dem Gegner weit mehr entgegenzusetzen als schon öfters zusammengebombte, demotivierte Zielscheiben wie die Iraker 2003. Qualität wird ab einem gewissen Punkt immer durch Quantität übertrumpft. Das bergige Terrain bietet ebenfalls erhebliche Vorteile und macht einen Blitzkrieg wie in der flachen Wüste nahezu unmöglich, selbst für das amerikanische Militär. Durch die mit Minen und Abwehranlagen gespickte demilitarisierte Zone kommt auch die US-Armee nicht so schnell durch. In dieser Zeit können die vielen Tausend nordkoreanischen Geschütze den Großraum Seoul erheblich beschädigen, viele Menschenleben und Milliardenwerte vernichten - selbst ohne Einsatz von Atomwaffen.

Es wäre also ein kapitaler Fehler, diese Krise zu verharmlosen. Die Nordkoreaner haben ihre Raketen startklar gemacht. Im Kalten Krieg hätten die Amerikaner an dieser Stelle ihre Bomber an die Grenze des sowjetischen Luftraums geschickt, um im Notfall ohne Verzögerung losschlagen zu können. Die Gefahr, eines Morgens mit einem Atompilz in den Nachrichten aufzuwachen, ist so real, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein Ausweg ist derzeit nicht ersichtlich.

Die Nordkoreaner sprechen davon, sie könnten ab dem 10. April die Sicherheit der ausländischen Botschaften nicht mehr garantieren. Man darf gespannt sein, mit welcher Eskalation sie uns danach überraschen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden