Ein Aufruf für endlich mehr Solidarität

#ZeroCovid Das Ziel müssen null Infektionen sein! Kritiker_innen werfen dieser Forderung vor, „halbtotalitär“ zu sein, bleiben aber einen Alternativvorschlag schuldig
Ausgabe 03/2021

Durch die Linke geht ein Aufatmen – dank #ZeroCovid. Die Corona-Pandemie stellte die gesellschaftlich progressiven Kräfte in den vergangenen 12 Monaten vor ein Dilemma: Machtkritik versus Solidarität. Einerseits gibt es ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber staatlichen Maßnahmen, noch dazu, wenn diese bürgerliche Freiheiten beschneiden und Grundrechte auszuhöhlen drohen – andererseits Solidarität mit gesellschaftlich benachteiligten Gruppen.

Beide Richtungen führten in ungute Fahrwasser: Wer den Schwerpunkt auf Machtkritik setzte, sah sich querfrontigem Applaus von Reichsbürger_innen und Verschwörungstheoretiker_innen ausgesetzt. Wer Solidarität hochhielt, verteidigte auf einmal restriktive staatliche Maßnahmen und argumentierte an der Seite von Merkel und Söder.

Die Pandemie scheint eine Situation zu sein, in der das alte Links-Rechts-Schema nicht mehr greift oder ein neues Schema erfordert – auf jeden Fall droht sie eine diskutierfreudige Linke zu zerreiben oder sie zumindest bewegungsunfähig zu machen.

Der Aufruf #ZeroCovid, unterschrieben von Menschen aus allen gesellschaftlichen Bereichen, darunter viele Kulturschaffende, bietet eine wissenschaftlich fundierte und konstruktive Kritik am Kurs der Regierenden. Er formuliert eine linke Alternative, die auf dem Solidargedanken beruht: Um die Schwächsten zu schützen, um insgesamt keinen Menschen mehr an die Pandemie zu verlieren, müssen alle zusammenstehen, muss die Reduzierung der Ansteckungen auf Null das Ziel sein – unter anderem mit einem Lockdown der Wirtschaft und Einspringen des Staates, finanziert durch Abgaben auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne und Einkommen, und das nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.

Die bisherige Eindämmungs-Realpolitik, die Kurve abzuflachen, zeigt kaum die gewünschte Wirkung. In den Todeszahlen steht Deutschland mittlerweile schlechter da als die USA, die in den vergangenen Wochen gern belächelt wurden – und was die Covid-Mutationen bringen, ist noch nicht abschätzbar, aber es steht zu befürchten, dass sie die Lage weiter verschärfen.

Kritiker_innen auch (oder gerade) von links werfen #ZeroCovid vor, autoritär oder gar „halbtotalitär“ zu sein, bleiben aber selbst ein alternatives Vorgehen schuldig – außer dem grummeligen Zugucken, wie Merkel und die Ministerpräsidenten ihre Maßnahmen scheibchenweise doch verschärfen. Dabei sterben weiter täglich Menschen, müssen sich Menschen mit Vorerkrankungen weiter zu Hause verschanzen, zerbrechen Eltern am Anspruch, gleichzeitig arbeiten und Kinder beschulen zu müssen, werden Existenzen von Wirten und Kulturschaffenden zerstört.

Klar ist: Die Lasten des derzeitigen Lockdowns sind nicht gerecht verteilt. Der Privatbereich der Menschen wird massiv eingeschränkt, aber die Wirtschaft muss am Leben erhalten werden.

#ZeroCovid fordert in dieser Situation Gerechtigkeit ein. Die Bekämpfung der Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. #ZeroCovid nimmt den Staat in die Pflicht, das Wohl des Menschen vor das Wohl der Wirtschaft zu stellen – und den Staat in den Dienst der Menschen, nicht der Wirtschaft. Das ist am Ende linke Politik. Es ist eine Alternative, die Leben retten und Leid mindern könnte.

Malte Göbel ist Textchef des Freitag und gehört zu den Erstunterzeichner_innen des #ZeroCovid-Aufrufs

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