Volkswirtschaftsleere

Uni Unser Autor studiert VWL, um zu verstehen, wie Ökonomie funktioniert. Die Vorlesungen bieten ihm nur Glaubenssätze an
Ausgabe 21/2018

Es ist die erste Woche meines Ökonomie-Studiums. Bisher hatte ich drei Vorlesungen, Einführungen, viel Organisatorisches. Aufregende Tage liegen hinter mir, neue Leute, ungewohnte Hallen. Ich hatte mich schon seit Langem auf das Studium gefreut, mir vorgestellt, wie ich täglich zur Uni gehen, angeregt über die Inhalte meines Studiengangs diskutieren und kritisch die herrschende Wirtschaftsideologie beleuchten würde. Dass nicht alles so weitergehen konnte, schien mir völlig klar zu sein. Zu viele Krisen, zu viele Probleme.

Freitagmittag, das Audimax ist voll. Zum ersten Mal „Einführung in die Volkswirtschaftslehre“. Die bisherigen Vorlesungen haben nicht den Anschein gemacht, Inhalte kritisch zu betrachten. Aber alles halb so wild, ist ja grade mal die erste Woche. Wenn irgendwo kritisiert und differenziert würde, dann doch wohl hier, immerhin soll die Veranstaltung dem Namen nach mein Studium einführend erklären. Doch zu Beginn geht es wieder nur um Organisatorisches: Passwort für den Onlineordner mit dem Vorlesungsmaterial, Sprechstunde, Literatur. Unter Literatur lediglich zwei Bücher namens „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre“. Kein Marx, kein Keynes.

Die Professorin spricht mit leiser Stimme, Begeisterung Fehlanzeige. Sie scheint wenig erpicht darauf zu sein, hier die neuen Erstsemester in die VWL einzuführen. Während sie die Themen vorstellt, die wir während des Kurses behandeln würden, sucht mein Blick vergeblich nach Grundsätzlichem: Wirtschaftstheorie. Aber hier geht es nur um Märkte, Arbeit, internationalen Handel. Dass das, was wir hier lernen sollen, nur Theorien sind, die zwar das derzeitige Denken dominieren, aber letztlich eben nur mögliche Erklärungen unter vielen sind, wird gar nicht erst erwähnt. Anderes, darüber Hinausgehendes wird ignoriert. Man wühlt ausschließlich im Sumpf der Neoklassik. Ich sinke langsam immer weiter in meinen Sitz, fange an mit meinen Kommilitonen zu quatschen oder auf dem Handy rumzutasten. Ein kurzer Blick nach oben, es ist die letzte Folie. Darauf steht unter dem Titel „Ziel der Veranstaltung“: Interesse wecken. Na dann!

Drei Monate später, am Ende des Semesters, ist mein Interesse noch immer nicht geweckt. Nach mehreren Anläufen habe ich es aufgegeben, zur „Einführung in die Volkswirtschaftslehre“ zu gehen. Ich kann dem drögen und kritiklosen Vortrag der Dozentin nicht mehr zuhören. Das Gleiche gilt auch für andere Vorlesungen. Übungen sind hilfreich, allerdings auch nur, um die Klausuren am Ende zu bestehen. Es scheint mir immer mehr, mein Studium bestünde nur darin, eine Prüfung nach der anderen zu schreiben, um am Ende einen Bachelor mit guter Note zu erlangen. Ob ich wirklich etwas über Wirtschaft und ihre Funktionsweisen verstanden habe, scheint der Universität egal zu sein. Kritisches Denken muss in Eigeninitiative abseits der Lehranstalt erworben werden.

Volkswirtschaftslehre wird bei uns nicht als Sozialwissenschaft, sondern als naturwissenschaftliche Tatsache gelehrt. Die physikalischen Gesetze: Alle maximieren ihren Nutzen, Präferenzen sind jedem bekannt oder können zumindest eindeutig ermittelt werden, Wirtschaftswachstum gibt und gab es überall, es ist also ein natürlicher Vorgang. Dass diese Glaubenssätze lediglich der vorherrschenden neoklassischen Denkschule entspringen, wird nicht hinterfragt. Vor- und Nachteile dieser „Gesetzmäßigkeiten“ werden lediglich in einem engen, aufs Ökonomische begrenzten Rahmen diskutiert, Ökologie und Nachhaltigkeit sind in der gängigen Theorie ausgeblendet.

Die Studenten sind frustriert

Anfangs hatte ich noch gedacht, dass sie in den Einführungskursen bloß aus Zeit- und Platzgründen fehlten und mir im Laufe meines Bachelors solche gesellschaftlich relevanten Debatten schon noch über den Weg laufen würden. Heute, gegen Ende meines Studiums, warte ich immer noch. Schnittstellen mit anderen Sozialwissenschaften wie Philosophie oder Soziologie werden ausgeklammert, auch wenn diese Aufschluss über manch unbeantwortete Frage geben könnten. Einzig ein Seminar namens „Philosophy of Economics“ diskutierte auf kritische Art Themen, die sonst in Stein gemeißelt schienen, etwas unterschiedliche Definitionen dessen, was ein „Markt“ ist und sein kann, oder die Bedeutung des Staates im wirtschaftlichen Prozess. Es war das mit Abstand intensivste und interessanteste Fach. Und die einzige Veranstaltung, in der die Namen Marx und Keynes fielen. Mir wurde plötzlich klar, dass ein Studium auch die intellektuelle Leidenschaft anfachen könnte. Und sollte nicht vor allem der Bachelor als Grundstudium genau diesen Zweck erfüllen?

Ich fragte mich bald: Bin ich mit meinem Eindruck alleine? Sind meine linke Prägung, mein Umfeld daran schuld, dass ich eigentlich richtige Inhalte als falsch ansehe? Aber das ist unwahrscheinlich. Während ich mit Kommilitonen diskutierte, merkte ich, dass auch sie ob der Einseitigkeit des Lehrplans frustriert sind. Dann lernte ich verschiedene Studierendeninitiativen kennen, die sich für mehr Pluralität im Studium einsetzen: die „KriWis“ an der Freien Universität oder „Was ist Ökonomie?“ an der Humboldt-Universität, beides Zusammenschlüsse, die über das gängig Gelehrte hinausblicken wollen und kritische Wirtschaftlerinnen zu Podiumsdiskussionen einladen. Eigentlich wäre Pluralität in der Wirtschaftswissenschaft ja wichtig, sogar bitter nötig, bedenkt man etwa das Unvermögen der vorherrschenden Denkart, reale Phänomene wie Wirtschaftskrisen oder die zunehmende Ungleichverteilung zu erklären.

Darauf reagiert der dogmatisch an seiner gewohnten Theorie – vielleicht wäre Ideologie der treffendere Ausdruck – festhaltende Universitätsbetrieb nur schwerfällig. Das Curriculum wird weiterhin von Mathematik-lastigen und neoklassisch voreingenommenen Vorlesungen dominiert. Sehr zögerlich nur werden heterodoxe Kurse wie das von mir besuche Seminar zur „Philosophie der Ökonomie“ angeboten.

Doch für mich selbst kommt dieses stellenweise Einlenken wohl zu spät. Auch meinen Plan, Volkswirtschaftslehre auch im Master zu studieren, habe ich verworfen. Wirtschaft könnte ein spannendes Feld sein, von dieser Ansicht hat mich auch mein Studium nicht abgebracht. Aber dazu müssten die Universitäten sich zu einer breiteren Interpretation ihrer Fachrichtung durchringen, neue Lehrstühle geschaffen oder alte verändert werden. Zuallererst müsste sich jedoch die Einsicht durchsetzen, dass die Wirtschaftslehre ein Problem hat, wenn sie sich von der realen Wirtschaft so weit entfernt und es nicht mal bemerkt.

Malte Thie studiert Volkswirtschaftslehre in Berlin

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