Die #baseballschlägerjahre sind nicht vorbei

#baseballschlägerjahre Die Zeit in welcher Neonazis mit Baseballschlägern Jagd auf Menschen machen sind nicht vorbei. Berichte aus dem Sachsen der letzten zehn Jahre

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Wenn Rechte auf Gegendemonstranten treffen: Chemnitz, August 2018
Wenn Rechte auf Gegendemonstranten treffen: Chemnitz, August 2018

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Der Hashtag #baseballschlägerjahre trendet, es entspinnt sich eine Diskussion um Verantwortung: Wer hätte damals was gekonnt und hat versäumt, wer von damals wählt heute wen. Eines vergisst die Diskussion: Die Baseballschlägerjahre sind nicht vorbei, und sie waren es nie.

Ich kann ähnliche Jugendgeschichten erzählen, aus Dresden, Bautzen, Chemnitz, und diese Geschichten sind keine 20, 30 Jahre her, sondern drei, einige sieben. Auch in meiner Jugend marodieren Nazibanden, brennen Unterkünfte, hallen „Sieg Heil“-Rufe durch Straßen – doch ich bin nicht im Alter zwischen 30 und 59, ich bin 22. In den Geschichten geht es um Orte, die noch in den Ohren klingeln und die in ihren Parallelen zu den 90er Jahren trotzdem seltsam abstrakt bleiben für die meisten, die nicht selbst dort standen.

Freital ist einer dieser Orte: während meine Klassenkamerad*innen für das Abi lernten, fuhr ich nach der Schule nach Freital, einmal mit der Bahn, bis Freital Potschappel, und nie wieder, denn dort standen schon die Faschos bereit. Von da an mit dem Auto, Eisenstangen im Kofferraum, wir parkten direkt neben dem Geflüchtetenheim um dort unsere Schutzwache anzutreten, kein unnötiger Meter durch Freital. Anderen wurden die Reifen zerstochen, wir fuhren zusammengekauert mit mehr Leuten als Gurten zurück, aber wir konnten ja niemanden dort lassen, allein, nachts in Freital. Wieder andere wurden verfolgt, von der Straße abgedrängt, konnten sich an Tankstellen flüchten und kamen mit eingeschlagenen Scheiben davon. Mit einem Baseballschläger eingeschlagen, übrigens.

In Freital lauerte die Dorfbevölkerung uns auf, hinter zugezogenen Gardinen ragten Handys aus den Fenstern und filmten uns ab, es war gespentisch sill und nur ab und zu pöbelte jemand auf uns herab. In die Stille hallten von fern Sprechchöre und kündigten die Faschos an. Organisiert, in schwarz und vermummt, aus dem umliegenden Käffern angekarrt, im Gleichschritt. Mit ihnen flogen Böller, Flaschen, Kugelbomben, und vor dem Heim standen wir, unsere Tücher hatte uns die spärlich anwesende Polizei längst wegen Vermummungsgefahr abgenommen, und wenn es abend wurde, kippte die Stimmung. Jeder Toilettengang wurde ein Spießrutenlauf, ins Heim durften wir nicht, Absprache der Einsatzleitung mit dem rechtslastigen Sicherheitsdienst.

Zusätzlich drehten wir Runden um das Heim, falls sich Nazis die bewaldeten Hänge hoch schlugen, und den Rest der Zeit standen wir, froren und hofften auf dem Morgen, gelegentlich auch auf eine Polizeistreife. Die Nächte waren lang, kalt und stimmten dystopisch, und morgens ging es zurück auf die Schulbank.

Ich kann Geschichten von Freund*innen erzählen, die in Bautzen aufwuchsen und dort eine Jugend zwischen Schlägen, Krankenhaus und Einschließen im Kinderzimmer verbrachten, kaum beachtet von Eltern, Lehrer*innen – Erwachsenen eben. Streit unter Jugendlichen, Jungs die sich prügeln. Die mit Eisenstangen bewaffnet auf dem Schulweg auflauern, die sich in der Schule mit Führergrüß und Sieg Heil begrüßen, ungestraft, unhinterfragt. Von Freuden, die ihr Abi nicht schreiben konnten, weil sie im Krankenhaus lagen. Von Freund*innen, für die ich einkaufen ging, wenn sie sich nicht vor die Tür trauten, deren Wunden ich versorgte und von gegenseitigen Fahrdiensten, wenn Rad und Bahn zu gefährlich waren. Ich habe meinen Freund, aufgewachsen in Chemnitz, nachts zitternd in den Armen gehalten, wenn die Gewalt wieder hoch kam: die Synagoge mit Steinen verteidigen, nachts, allein, ratlose Jugendliche die organisierten Nazisportgruppen gegenüber stehen, am Schlossteich rennen, Freund*innen heimlich im Kinderzimmer verarzten, denen die Hautlappen aus dem Gesicht hängen, weil die Faschos Fahrradketten dabei hatten.

Niemand von ihnen fährt häufiger als unbedingt notwendig in die alte Heimat zurück, und wenn, dann werden sie still, eilen mit gesenkten Köpfen durch Seitengassen, intuitiv. Viele sind weg gezogen: Erst aus den Käffern, in denen sie aufwuchsen und dann auch aus Dresden, weil es da noch immer „zu viel Stress“ gab, sprich Nazis in Jagdlaune.

Besorgt, vermummt, bewaffnet

Dresden 2015: Pegida, Schutzwache im barocken Ambiente vor der Semperoper, dort steht das Refugee Protest Camp, noch steht es. Davor wir, Eisenstangen, ausfahrbare Regenschirme, Knüppelfahnen, eingeteilte Nachtwachen. Tee und kalte Hände, stummes Beisammensitzen und Warten, unsicher, welche Nacht Angriffe bringen wird, welche ruhig bleibt. Fahrzeuge schleichen vorbei, alle springen auf, Kennzeichen merken, Gesichter in Halbdunkel erkennen, noch ist es nur Gepöbel, wieder hinsetzen, weiter warten. Drinnen schlafen die meisten, unruhig, immer wieder wacht jemand auf und geht selbst raus, sich überzeugen, dass die Luft rein ist.

Und dann wird die Pegida Demo aufgelöst, unter dem barocken Torbogen der Hofkirche und zeitgleich hinten durch den Zwinger stürmen die „besorgten Bürger“ hervor, vemummt, bewaffnet. Irgendwo stehen auch Polizisten, aber es sind wir, die die Nazis zurück schlagen, immer enger um das Camp scharren wir uns, nur einige, die kampferprobtesten, bilden den äußeren Ring mit Direktkontakt. Ich erinnere mich, wie ich da stehe, unsicher, nicht kampferfahren, die Anwendung von Gewalt widerspricht meinen jugendlichen Idealen, ahnungslos wie die schwere Stange zu händeln wäre. Wie ich mich frage, ob wir diese Nacht überstehen werden. Und was mit den Menschen hinter mir, in den kalten Zelten, mit dünnem Tee und dünnen Decken, passieren wird, wenn wir nicht stand halten.

Bremerstraße, eine Geflüchtetenunterkunft: Nazis werfen Baustellenzubehör, Böller, randalieren, rasten aus. Brüllen: Wir kriegen euch alle! Und meinen die Geflüchteten hinter uns, vielleicht auch uns, man weiß es nicht genau.

Und wieder stehen wir, Jugendliche und einige Antifas, vor dem Heim, der Lärm, Wurfgeschosse, Baustellenteile - Riesenteile, was müssen das für Gestalten sein die so ein Ding werfen können? - prasseln auf uns ein, hinter mir geht jemand zu Boden, eine Hand reißt mich zur Seite, neben mir kracht ein Flasche auf und zerspringt, von der Seite wird eine Frau mit blutüberströmtem Gesicht vorüber getragen. Irgendwo heult ein Krankenwagen auf, kommt jedoch nicht zu ihr durch. Zwischen uns und den Faschos stehen in Grüppchen überforderte Polizisten zusammen, ducken sich hinter ihre Schilde und geben keinen Ton mehr von sich. Sie haben keine Chance und stünden wir nicht mit offizieller Anmeldung hier, hätten sie einen ruhigen Abenddienst.

Meine erste Wohnung hatte ein Schutzkonzept, neben der Tür standen Knüppel, ich nenne nirgendwo offen meinen Namen, niemand von uns nutzt Facebook, Twitter, etc. denn niemand möchte von den falschen Leuten aufgespürt werden. Mit StreamBZ haben organisierte Faschos in Bautzen öffentlich medial ihre Jagden angekündigt, in Chemnitz unter dem Namen BalakavaKitchen. Sie inszenieren ihren Menschenhass und ihre Gewaltorgien, wir auf der anderen Seite legen uns in halböffentlichen Kreisen wie Kneipen Spitznamen zu, so steht es um die Gewalten- und Machtverteilung.

Wenn Dynamo spielt, fährt eine beachtliche Anzahl Menschen nicht Straßenbahn.

Freund*innen wurde von organisierten Nazis aus dem Umfeld der mittlerweile verbotenen „Skinheads Sächsische Schweiz“ mit Ansage ins Küchenfenster geschossen, es war keine Patrone auffindbar, die Polizei belächelte: Steinchen werfen, ein Kinderstreich.

Die Zeit der Baseballschläger ist nicht vorbei

Dieser Text will nicht aufrechnen oder vergleichen – Sondern er will einen vernachlässigten Aspekt in die Debatte einbringen und eine Linie aufzeigen, die sich von den geschilderten rechten Strukturen um die Nachwendezeit bis in die Gegenwart zieht.

2014 gründete sich Pegida, in den beiden Folgejahren ist die Anzahl rechtsmotivierter Übergriffe laut der Beratungsorganisation für Betroffene von rechtsmotivierter Gewalt "RAA Sachsen" allein in Dresden um über die Hälfte gestiegen. Auf das damalige Level ist sie bis heute nicht wieder gesunken. Das Potential ist also da und jene, die es zu entfachen vermögen, wissen das. Rechtsmotivierte Gewalt hat und hatte System, ist organisiert und fest in gesellschaftliche Strukturen eingebunden.

Die Gewalt heute mag ein anderes Gesicht haben, sich anders artikulieren und anders inszenieren – Sie steht jedoch in einem direkten Zusammenhang mit den sogenannten Baseballschlägerjahren um die Nachwendezeit. Die Öffentlichkeit sollte nicht den Fehler begehen, nur jene Gewalt zu benennen, welche bereits vergangen ist und deren Akteur*innen heute nicht oder kaum mehr zur Verantwortung gezogen werden können.

Sie ist eine logische Fortsetzung, die Täter*innen sind die Söhne und Töchter der prügelnden Jugendlichen von damals, die Kinder dieser in der Gesellschaft integrierten Nazis, die ebenjene Jugenzentren aufbauten und planten, in denen sich jetzt die nächste Generation zum Saufen und Zecken klatschen trifft.

Kontext: Als eine Ergänzung zu folgenden Artikeln.

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/sieg-heil-rufe-wiegten-mich-in-den-schlaf

https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/vorhang-auf

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